"Renaissance des Lesens" in Ägypten

Youssef Ziedan im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.09.2009
Die neue Bibliothek in Alexandria soll die Idee der alten Bibliothek als "Ort des Wissens" wiederbeleben, sagt Youssef Ziedan, Schriftsteller und Direktor der Abteilung für Manuskripte.
Dieter Kassel: Die Bibliothek von Alexandria war mal die größte und bedeutendste der Welt. Das allerdings ist rund 2000 Jahre her. Seit sieben Jahren gibt es in Alexandria in Ägypten wieder eine große Bibliothek und der Leiter der Manuskriptabteilung dieser neuen Bibliotheca
Alexandrina, der ist zur Zeit in Deutschland, konkret in Berlin, weil er Gast des Berliner Literaturfestivals ist, denn Youssef Ziedan arbeitet nicht nur in der Bibliothek, sondern er ist auch selber Schriftsteller und als solcher in Ägypten äußerst erfolgreich. Ich habe mich vor der Sendung mit ihm sowohl über seine schriftstellerische Arbeit als eben auch seine Arbeit an der Universität in Alexandria unterhalten, an der Bibliothek in Alexandria unterhalten und mal ein bisschen einen Vergleich aufgemacht, denn in der alten, historischen großen Bibliothek da gab es rund 70.000 Schriftrollen aus aller Welt und deshalb hab ich Youssef Ziedan gefragt, wie viele Schriften er eigentlich im Moment allein in seiner Abteilung verwaltet.

Youssef Ziedan: Man weiß heute, dass die Bibliothek von Alexandria eher eine Idee gewesen ist als ein Ort des Buchbestandes. Deswegen war sie auch eher wichtig als ein Ort des Wissens, wo Wissen gesammelt und aufbewahrt wurde, das Wissen um die Wissenschaften und um die Künste, war ein Ort für Wissenschaftler, die sich in dieser Bibliothek trafen und dort Wissen austauschten. Man sagt, dass die alte Bibliothek von Alexandria etwa 500.000 Schriften umfasst hat, aber wir dürfen uns darunter nicht unbedingt Bücher vorstellen im heutigen Sinn, sondern es waren Schriften, Schriftrollen in unterschiedlicher Form. Die neue Bibliothek von Alexandria sollte vor allem die Idee der alten Bibliothek wiederbeleben. In den 90er-Jahren begannen die Arbeiten daran und wir hatten damals im Sinn, die Idee der kulturellen Vielfalt und der Vielfalt auch in den Wissenschaften wiederzubeleben. Dabei ging es uns nicht in erster Linie um einen möglichst großen Bestand, sondern dass wir an die Idee der alten Bibliothek von Alexandria als einen Ort des Wissens anknüpfen. Wir haben in der heutigen, neuen Bibliothek den größten Lesesaal der Welt, aber wir haben zusätzlich zu dieser eigentlichen Bibliothek zwei akademische Zentren, die diese Bibliothek unterstützen – das ist zum einen die Abteilung der Handschriften, zum anderen aber auch das Handschriftenmuseum –, um das Erbe bekannt machen zu können, auch einer Öffentlichkeit vorstellen zu können. Ich leite seit 1994 beide Zentren. Wir haben dort 6000 Original-Handschriften und zusätzlich aus anderen Ländern etwa 50.000 Kopien.

Kassel: In die neue Bibliothek in Alexandria kommen inzwischen – seit sieben Jahren gibt es das neue Museum – 800.000 Menschen im Jahr. Was für Menschen sind denn das? Sind das tatsächlich Wissenschaftler oder sind das auch die sogenannten ganz normalen Menschen? Kommt wirklich jeder inzwischen?

Ziedan: Die neue Bibliothek von Alexandria macht ja sehr vieles. Wir haben zum einen den schon genannten, großen Lesesaal, der pro Jahr etwa 600.000 Besucher hat, dazu kommen aber auch noch die akademischen Besucher und diese Wissenschaftler kommen aus allen Teilen der Welt. Dazu gibt es aber in der Bibliothek insgesamt eine Vielzahl von künstlerischen Veranstaltungen. Wir hatten allein im letzten Jahr etwa 700 Veranstaltungen. Wir haben ein Jugendfestival, das jährlich stattfindet, und wir betreiben auch einen Kulturdialog und einen Dialog zwischen den Religionen. Die Besucher sind also sehr unterschiedlich in ihrer Zielsetzung und in ihrer Zusammensetzung, das fängt an beim normalen Leser und geht bis zum bekannten Wissenschaftler.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Youssef Ziedan, er ist der Direktor der Abteilung für Manuskripte der Bibliothek in Alexandria und er ist selber auch Romanautor inzwischen. Sie haben ein Buch geschrieben, das ist Ihr zweiter Roman, "Beelzebub" heißt der, wird irgendwann in den nächsten Monaten auch in Deutschland erscheinen. Das ist ein Buch, in dessen Mittelpunkt steht ein junger Christ, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts lebt. Sie haben sich wissenschaftlich mit verschiedenen Epochen, auch mit dieser, ja schon lange vorher beschäftigt. Was hat Sie bewogen, nun einen Roman zu schreiben?

Ziedan: Meine Beziehung zur Literatur ist ja nicht ganz neu, ich habe bereits eine ganze Anzahl von Büchern über den Sufismus geschrieben, in literarischer Form aber auch in meiner Eigenschaft als Literaturkritiker. Im Jahr 2006 erschien mein erster Roman, "Der Schatten der Schlange", in dem ich mich mit dem wandelnden Frauenbild in unserer Gesellschaft befasse, das sicherlich ein wenig anders ist, als es in europäischen Gesellschaften der Fall ist, aber auch deswegen, weil unsere Gesellschaften historisch ein wenig weiter zurückreichen. Im Jahr 2008 schließlich schrieb ich, veröffentlichte ich mein neues Buch "Azazil" – "Beelzebub", das ein großes Echo von Anfang an gefunden hat. Das Buch hat zu einer gewissen Unruhe in Ägypten geführt, hat aber auch einen großen Verkaufserfolg erzielt. Warum habe ich dieses Buch geschrieben? Weil ich glaube, dass der Stoff, um den es hier geht, Teil und ein wichtiger Teil unserer ägyptischen Geschichte ist.

Kassel: Ist der Erfolg diese Buches - es erscheint inzwischen in Ägypten in der 14. Auflage, Sie haben den sogenannten arabischen Booker-Preis dafür bekommen und es wird vor allem auch sehr viel diskutiert über dieses Buch in Ihrem Land - ist das für Sie ein Beweis dafür, dass ägyptische Leser sich eben doch – oder überhaupt Menschen in Ägypten –, sich eben doch mit der Vergangenheit, mit der Geschichte, mit der Frage, wo sie herkommen, beschäftigen wollen? Denn es gibt ja auch Stimmen, die sagen: So weit zurückgucken, das müssen wir gar nicht.

Ziedan: Beides trifft zu. Es gibt eine große Zahl von Menschen, die sich für diese Themen interessieren, und es gibt Leute, die sagen: Wir sollten uns darum nicht mehr bemühen. Also beides trifft zu. Das ist auch Ausdruck der großen Widersprüche in unserer Gesellschaft auf einer phänomologischen Ebene. Wir haben in Ägypten ja auch eine Vielzahl ausländischer Bildungsinstitutionen wie die American University, wir haben aber auch eine französische und eine deutsche Universität. Die Abgänger dieser Bildungsinstitutionen bilden eine neue Generation von Lesern, die sehr viel lesen und die eigentlich fast alles lesen, nicht nur mein Buch. Die Bestseller in Ägypten sind beispielsweise das Buch "Das Wissenschaftszeitalter" vom Nobelpreisträger Ahmed Zewail, das Buch "Whatever else happened to the Egyptians?" von Galal Amin oder der Romanbestseller "Taxi" von Khaled Al Khamissi, das Buch "Das Haus Yacoubian" von Alaa Al-Aswani, all diese Bücher haben über zehn Auflagen hinter sich. Das heißt, wir haben es zum einen mit einer Renaissance des Lesens aufgrund einer verbesserten Bildungssituation zu tun, auf der anderen Seite gibt es aber auch die alte Garde, die immer alles so belassen möchte, wie es ist und die sich vor dem Nachdenken fürchtet. Das äußert sich zum Teil auch in Gewalt. Mein Buch ist aber ein Buch, das gegen die Gewalt gerichtet ist.

Kassel: Sie haben internationale Organisationen jetzt erwähnt, die drei Universitäten zum Beispiel in Ägypten. Lassen Sie uns noch über eine internationale Organisation reden, die auch sehr wichtig war für die Entstehung der neuen Bibliothek in Alexandria, die Unesco. In den nächsten Tagen oder maximal Wochen wird der neue Generalsekretär der Unesco bestimmt und einer der Kandidaten ist der ägyptische Kulturminister Faruk Hosni, auch ein Kollege von Ihnen, er ist ja selber auch Autor. Und in Europa wird über diesen Mann ja sehr viel diskutiert, gerade aus Frankreich kamen Vorwürfe, er sei israelfeindlich, sei ein Antisemit, weil er einmal in einer Debatte in Kairo gesagt hat, er werde persönlich dafür sorgen, dass keine hebräischen Bücher in die neue Bibliothek kommen. Wie beurteilen Sie denn diese Debatte um Hosni, aus ägyptischer Sicht?

Ziedan: Dieser Vorwurf stimmt eigentlich gar nicht. Dazu muss man aber auch sagen, dass Faruk Hosni mit der Bibliothek von Alexandria direkt gar nichts zu tun hat, auch noch nicht einmal der Präsident Ägyptens könnte irgendein Buch verbieten oder der Direktor der Bibliothek von Alexandria, und das ist auch nie passiert. Es wurde nie ein Buch verboten, es wurde nie ein Verbot ausgesprochen, dass ein bestimmtes Buch in die Bibliothek kommt. Wir haben sogar die "Satanischen Verse", wir haben das Buch "Kamasutra" in der Bibliothek, wir haben selbstverständlich auch jüdische Bücher. Die arabische Kultur, das arabische Erbe insgesamt ist ohne den christlichen und jüdischen Beitrag gar nicht zu verstehen. Wir haben Thora-Handschriften und wir haben eine Vielzahl jüdischer Bücher in der Bibliothek. Faruk Hosni, ich glaube, dass mittlerweile die Wogen sich geglättet haben, dass auch Frankreich mittlerweile eine neutrale Position eingenommen hat, sogar Israel, wenn ich auf dem neuesten Stand bin. Faruk Hosni ist ein Kosmopolit. Er hat lange Zeit das Ägyptische Kulturzentrum in Rom geleitet, war aber auch in Frankreich ansässig, und ich glaube nicht, dass jemand, der Herrn Hosni wirklich kennt, ihn als Antisemiten bezeichnen kann. Darüber hinaus muss man auch sagen, dass er als Araber und Ägypter ja eigentlich selbst ein Semit ist.

Kassel: Herr Ziedan, ich danke Ihnen sehr, dass Sie zu uns gekommen sind und ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg, sowohl für Ihre Arbeit in der Bibliothek als auch für Ihre Arbeit als Schriftsteller!

Ziedan: Danke!