Rembrandts Lehrer

Von Anette Schneider |
Die Hamburger Kunsthalle präsentiert zurzeit 25 Gemälde von Rembrandts Lehrer Pieter Lastmann (1583-1633). Zu Lebzeiten galt er und nicht Rembrandt als der berühmteste Maler seiner Zeit. Die Schau geht deshalb der Frage nach, ob Lastmann mittlerweile zu Recht in Rembrandts Schatten steht.
Seine Bilder haben oft etwas von Theaterinszenierungen: Durch dunkle Wolken bricht effektvoll Licht und bescheint die kostbare Kleidung der Protagonisten. In Gruppen stehen Menschen beisammen und kommentieren oder erzählen mit übergroßen Händen und in heftiger Gebärde das Geschehen.

Dies, so erklärt Ausstellungskuratorin Martina Sitt, seien typische Merkmale Pieter Lastmans, der als einer der ersten Holländischen Maler Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, aus der Mythologie und römischen Geschichte malte.
„Lastmann versucht die Komplexität der Erzählung, die man ganz aufwendig und langsam hintereinander hören würde, in ein visualisierten Moment zu verbannen. Und das ist wirklich seine Leistung: aus diesen vielschichtigen Momenten ein Nebeneinander, aber auch durch die Gestik und die Personen, wie sie sich benehmen, in ihrer Körpersprache ausdrücken, einen Raum zu erschaffen, mit Licht zu arbeiten und viele Momente aus der Theaterwelt einzuarbeiten in diese narrativen Szenen.“
Lastmann, 1583 geboren und 1633 gestorben, lebte in Amsterdam. 1604 hatte er Italien bereist, dort Bilder von Rafael und Caravaggio gesehen und die römische Architektur studiert. Zurück in Amsterdam griff er das erworbene Wissen in seiner Malerei auf, ließ Versatz- und Erinnerungsstücke in seine Szenerien einfließen und galt schnell als bedeutendster Historienmaler Amsterdams. Vermutlich 1624 ging Rembrandt eben deshalb bei Lastmann in die Schule.
„Ich wollte Rembrandt auf die Spur kommen, indem ich einmal ihn ein bisschen in die Tradition stelle, aus der er kommt. Auch Rembrandt ist nicht das originale Genie, das nur aus sich selbst heraus Themen entwickelt. Sondern er geht, nach Abschluss seiner Lehrzeit auf eigene Rechnung zu Pieter Lastmann, damals dem erfolgreichsten Historienmaler seiner Zeit, weil er ganz eigene Themen aufgreift und erstmals ins Gemäldeformat übersetzt. Rembrandt leistet sich sozusagen die letzten Monate, bevor er sich als Meister selbstständig macht, in diesem Atelier zu sein und man kann eben sehen, dass er sich sein ganzes Leben immer wieder mit diesem Maler auseinander setzt und an ihm reibt.“
25 Gemälde von Lastmann trug Martina Sitt für die Ausstellung zusammen, denen sie hauptsächlich Radierungen Rembrandts zum selben Thema gegenüberstellt. Lastmann sieht man dabei als den großen Erzähler, der seine Geschichten wie auf einer Bühne inszeniert, seine Figuren in kostbare Gewänder kleidet und sie mit großen Gesten das Geschehen vorantreiben lässt.
„Dieses Erzählen greift Rembrandt auf und versucht über die Körpersprache, die Lastmann im Bild entwickelt, hinausgehend dann die Figuren zu verdichten, indem er so eine Art innerer Handlung offensichtlich macht. Also er versucht ihnen eine Mimik zu verleihen, er versucht die bei Lastmann übergroßen Hände zu vermeiden, und stattdessen eben Rembrandt-typisches mimisches Aussehen zu nutzen, um innere Prozesse offensichtlich werden zu lassen.“
Während Lastmann etwa in seinem Bild „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ die Heilige Familie üppigst gewandet und sehr fotogen auf einem Felsen vor idyllischer Landschaft präsentiert reduziert Rembrandt die Komposition: statt der Landschaft zeigt er einen Baum, unter der Maria mit dem Kind Schutz vor der Sonne sucht und ihm besorgt zu essen gibt, während Joseph ihr ein weiteres Brot reicht. Immer wieder kann man sehen: Lastmann erzählt – Rembrandt spitzt zu. In der Geschichte Abrahams und Isaacs zeigt Lastmann fast gemächlich die Vorbereitungen zur Opferung – Rembrandt hingegen sucht den dramatischsten Moment: die Hand brutal ins Gesicht des Sohnes gedrückt streckt der Vater so den Hals Isaacs, um im nächsten Augenblick mit der bedolchten Hand hineinzustechen – da erst schreitet der Engel ein und schlägt dem Vater die Waffe aus der Hand.
„Rembrandt kann sozusagen in aller Ruhe den nächsten Schritt angehen und sieht sicherlich – da er ja später auch als Porträtmaler hauptsächlich erfolgreich wird – sieht in den Physionomien ein großes Spielfeld, in denen er neue Akzente setzen kann.“
Während Lastmann Zeit seines Lebens auf traditionelle Weise malt, beginnt Rembrandt bereits hier mit Farben und der Auflösung der Form zu experimentieren, um Gefühle und innere Abläufe sichtbar zu machen. Diese moderne Vorstellung von Kunst wird möglich durch die gesellschaftlichen Umwälzungen in Holland: 1609 hatte Nordholland das Joch der spanischen Besatzer abgeschüttelt. Nicht mehr Adel und Kirche hatten das Sagen sondern ein selbstbewusstes Bürgertum. Das aber wollte keine Historienbilder mehr – sondern sich und seine eigene Welt auf Leinwand sehen. Frans Hals, drei Jahre nach Lastmann geboren, war einer der ersten, der hierfür neue Themen entwickelte. Wenig später folgten Vermeer und die Genremaler. Es begann eine grundlegende Veränderung von Kunst und Kunstvorstellung: weg vom historischen und religiösen Bild hin zu weltlichen und Alltags-Themen. Diese Entwicklung, so zeigt die Ausstellung, ging spurlos an Pieter Lastmann vorbei: Bis zu seinem Tod im Jahr 1633 blieb er seinen alten Themen verhaftet.


Service:
Die Lastmann-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle ist vom 13.04.06 bis 30.07.06 zu sehen.