Relikt oder Avantgarde
Winston Churchill, Wolfgang Amadeus Mozart und Friedrich der Große - sie alle waren Freimaurer. Trotz vieler großer Namen ist über diesen Männerbund kaum etwas bekannt, denn die Mitglieder geben sich selten in der Öffentlichkeit zu erkennen. Vor 290 Jahren bildeten sich die ersten Logen. Heute gibt es noch vier bis sechs Millionen Freimaurer auf der Welt.
"Ja, die Freimaurer, das sagt mir eigentlich recht wenig. Um präzise zu sein: gar nichts."
"So eine Loge, nicht. Die hatten ja auch einen etwas anrüchigen Geruch gehabt damals."
"Das erinnert mich jetzt gerade an das Buch ’Illuminati’ und noch an einen anderen Film, den ich mal gesehen habe, aber nicht sehr viel."
"Das ist ein Beruf, Maurer. Tja, Freimaurer? Vielleicht ist der arbeitslos."
Wolfgang Amadeus Mozart dachte wohl nicht an Mörtel und Kelle, als er 1790 "Die Zauberflöte" komponierte, in der Menschenliebe und Weisheit über dunkle Mächte triumphieren. Da war er bereits Mitglied der Wiener Freimaurerlogen "Zur wahren Eintracht" und "Zur gekrönten Hoffnung": strahlende Namen. Sie atmen den Glauben an die Zukunft einer freien, ethisch orientierten Bürgergesellschaft, die im 18. Jahrhundert ihren Siegeszug antrat.
Der Freimaurer Gotthold Ephraim Lessing nannte sie gar einen "Sprössling" des Bundes. Bis heute fühlen sich dessen Anhänger der großen Epoche verpflichtet.
"Es gibt so was wie ein Idealbild des Menschen, grundlegende Werte, die gelebt werden und die auch gelehrt werden, und das sind die klassischen Werte der Aufklärung, also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität und Humanismus. Durch den Rahmen, den wir schaffen, geben wir Menschen die Möglichkeit, an sich selber zu arbeiten, sich selber zu verbessern, und durch ihre ohnehin vorhandene Position in dieser Welt, als Bäckermeister oder als Rechtsanwalt oder was auch immer, diese Werte ein Stück weit zu verwirklichen und so Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung dieser Welt."
Der da redet, darf eigentlich gar nicht reden. Jan Hendrik Taubert spricht im Auftrag der Vereinigten Großlogen von Deutschland über das Anliegen der Freimaurer. Der 38-jährige Unternehmensberater hat als Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit eine schwierige Aufgabe, denn wie jeder Bruder hat er sich bei der Aufnahme in den Bund zur Verschwiegenheit verpflichtet: eine Tradition, die von den mittelalterlichen Dombauhütten, englisch Lodges, stammt, den Vorläufern der Logen.
Die Handwerker dort unterlagen nicht dem Zunftzwang, waren "freie Maurer". Sie lebten in einer abgeschlossenen Welt, die ihre Baupläne streng hütete und feste Rituale für Lehrlinge, Gesellen und Meister kannte. Während draußen Kirche und Obrigkeit ihr hartes Regiment führten, herrschte hier eine weitgehende Gedanken- und Redefreiheit.
Als das Zeitalter der Kathedralen endet, entsteht hieraus die vergeistigte Maurerei. 1717 bildet sich in England die erste Freimaurerloge. Bald erfasst die Bewegung den ganzen Kontinent. Einzelne Logen mit bis zu 100 Mitliedern schließen sich zu Großlogen zusammen. Ihre Anhänger sind nur noch selten Handwerker, müssen aber "freie Männer von gutem Ruf" sein, wie es in den "Alten Pflichten" aus England heißt, dem Grundgesetz der Bruderschaft. Bis heute entscheiden weltweit die englischen Freimaurer darüber, ob eine Loge als regulär gelten kann. Die wenigen Frauenlogen, die es auch gibt, werden nicht anerkannt.
In symbolischer Anlehnung an den Tempelbau König Salomons wollen die Freimaurer einen menschlichen Bau errichten, frei von Dogmen: den Tempel der Humanität. Der Zirkel verkörpert nun die umfassende Menschenliebe, das Winkelmaß die eigene Rechtschaffenheit und die Ordnung.
Aufnahmekandidaten, so genannte "Suchende", werden erst nach vorheriger Abstimmung als Lehrlinge in eine Loge aufgenommen. Nach Vertiefung in die freimaurerische Geisteswelt wird der Lehrling zum Gesellen befördert und schließlich zum Meister erhoben. Im Mittelpunkt stehen geheime Rituale, die den Freimaurer zum Verständnis der eigenen Seele führen sollen. Die Brüder, bekleidet mit dem Schurz der Steinmetze, nennen sie "Arbeit".
"Wir sagen, wir arbeiten am rauen Stein. Also, wir begreifen uns als raue Steine, die sich, um Bindungen eingehen zu können, um Gesellschaften gestalten zu können, zunächst behauen müssen. Ich nehme den Spitzhammer und gucke an mir: Welche Ecken und Kanten habe ich denn, die mich trennen von den Menschen, die mich eher irgendwie ein Egoist sein lassen? Und diese Ecken der Unvollkommenheit abzuhauen, das ist der zentrale Begriff der Arbeit."
Viel mehr darf Taubert, der den Grad eines Meisters erreicht hat, nicht sagen. Aber das eigentliche Geheimnis sei in Wahrheit das individuelle Erlebnis einer Tempelarbeit. Außerdem sei doch alles, was da passiert, längst von Abtrünnigen aufgeschrieben. Jede Staatsbibliothek habe die im Angebot.
Wer die fantastischen Schauergeschichten von glaubwürdigen Berichten unterscheiden kann, der erfährt tatsächlich eine Menge über geheime Handgriffe, Klopfzeichen und Losungsworte, das Verbinden der Augen, den Einsatz von Licht und Dunkelheit bei den Ritualen, den Wortlaut von Wechselgesprächen und Gesängen.
Brüder, reicht die Hand zum Bunde
Diese schöne Feierstunde
Führ’ uns hin zu lichten Höh’n
Lasst, was irdisch ist entflieh’n
Uns’rer Freundschaft Harmonien
Dauern ewig, fest und schön.
"Hier im Vorbereitungsraum legen wir dann unsere freimaurerische Bekleidung an. Das heißt neben dem Smoking und dem weißen Binder weiße Handschuhe, in manchen Logen den Zylinder und den Schurz."
Die Türen zum Tempel der Berliner Loge "Victoria" öffnen sich ein langgezogener, fensterloser Raum ganz in Blau mit Stuhlreihen links und rechts, an der Wand im Osten eine Art Altar, dahinter der Platz für den Meister vom Stuhl, den Vorsitzenden der Loge, der die Rituale leitet.
Die Freimaurer sehen sich nicht als esoterische Sekte. Sie geben kein Heilsversprechen, sondern suchen Selbsterkenntnis und Weltverbrüderung im Diesseits. Eine Weltanschauung, deren religiöse Elemente unübersehbar sind. Zwei deutsche Großlogen bezeichnen sich als christlich und nennen Jesus ihren Obermeister. Auch in rein humanitären Logen wie der "Victoria" liegt die Bibel während der Rituale auf dem Tempelaltar - als ein Buch der heiligen Gesetze, die der "Große Baumeister aller Welten" erlassen hat.
"Es ist uns gleichgültig, welcher Religion du angehörst, welchen Gott du anbetest, welchem Buch der heiligen Gesetze du folgst. Hauptsache du sagst, es gibt so etwas wie das Göttliche und das spielt in deinem Leben irgendeine Rolle."
Preis und Dank dem Weltenmeister,
Der die Herzen, der die Geister
Für ein ewig Wirken schuf!
Licht und Recht und Tugend schaffen
Durch der Wahrheit heil’ge Waffen
Sei uns göttlicher Beruf!
"Die Freimaurer haben keinen eigentlichen Wahrheitsbegriff, oder deren Wahrheitsbegriff stimmt nicht mit dem der katholischen Kirche überein. Gott hat diese Welt geschaffen. Diese Welt funktioniert jetzt, läuft jetzt ab, aber es kann erst recht nicht so sein, dass der Einzelne mit Gott in Verbindung tritt. Und es kann erst recht nicht sein, dass es so etwas gibt wie eine übernatürliche Offenbarung. Offenbarung kann es also nur im Bereich des Natürlichen geben. Und diese Weltanschauung führt zu einem Relativismus. Sie ist tolerant gegenüber der Wahrheit und Ideen. Das heißt, sie akzeptiert sowohl das Falsche wie das Richtige."
Reinhold Sebott ist emeritierter Professor für Kirchenrecht und hat sich lange mit dem schwierigen Verhältnis der katholischen Kirche zur Freimaurerei befasst. Anders als die Protestanten zählte der Vatikan von Anfang an zu ihren schärfsten Gegnern.
In der freieren Atmosphäre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Androhung der Exkommunikation zwar aus dem kanonischen Strafrecht herausgenommen. Nach einer Erklärung der Glaubenskongregation unter ihrem damaligen Präfekten Joseph Ratzinger leben katholische Freimaurer aber weiterhin im "Stand der schweren Sünde". Bis heute müssen Kirchenangestellte mit der Kündigung rechnen, wenn ihre Mitgliedschaft in einer Loge bekannt wird. In einer Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz von 1980 finden sich aber auch anerkennende Worte.
"Das Eintreten der Freimaurerei für die humanitäre Idee, die Arbeit der Freimaurerei für Wohltätigkeit, drittens das Symbolverständnis, also dass man die Dinge dieser Welt auch wie eine Art Symbol für die jenseitige Welt ansehen soll. Schließlich respektiert die katholische Kirche, dass es sehr viele einzelne Freimaurer gegeben hat, die herausragend sind. Und schließlich akzeptiert die katholische Kirche, begrüßt es auch, dass die Freimaurer gegen den Materialismus angegangen sind und auch immer wieder angehen."
Ihr, auf diesem Stern die besten
Menschen all’ im Ost und Westen
Wie im Süden so im Nord!
Wahrheit suchen, Tugend üben,
Gott und Menschen herzlich lieben,
Das sei unser Losungswort!
"Für mich war das so, dass ich meine islamischen Wurzeln nicht vergesse, aber trotzdem den Fortschritt mit annehmen möchte. Für mich ist es nicht ein Ausschluss, dass der Islam hierarchisch und dogmatisch ist und die Freimaurerei genau das Gegenteil ist, sondern ein Übergang, wovon ich mir beides, das Beste nehmen kann. Jeder Mensch hat ja gewisse Vorurteile und ich habe gelernt durch die Freimaurerei, mich von diesen Vorurteilen zu befreien, und ich verstehe immer mehr, was es bedeutet, toleranter zu sein gegenüber Weltanschauungen."
Kenan Yilmaz ist Kampfkunstlehrer. Sogar rechtsradikale Jugendliche könne er inzwischen zu vernünftigen Gesprächen bewegen, meint der Deutsch-Türke aus Berlin. Der 34-Jährige ist Freimaurerlehrling und hat über die Beschäftigung mit dem Republikgründer und Freimaurer Atatürk zur Loge gefunden. Offenbar können die Ideen der abendländischen Aufklärung aufgeschlossenen Muslimen wie ihm eine geistige Heimat bieten - und die Möglichkeit zu ungewöhnlichen Freundschaften.
"Wenn ich den Leuten hier erzählen würde, ich sitze hier mit 60-, 70-, 80-, 90-jährigen Menschen zusammen und sage zu denen ’Bruder’, die würden dann sagen: Das geht doch gar nicht. Der eine ist Anwalt bei uns, der andere ist Polizist, der eine ist Opernsänger. Also, wir sind so verschiedene Menschen in verschiedenen Altersgruppen, verschiedenen Religion, verschiedenen Rassen. Das ist unglaublich schön, mit so Leuten sich auszutauschen."
"Wenn sich Männer in einem geschlossenen Männerkreis miteinander austauschen, dann entsteht eine ganz andere Energie, nämlich eine rein männliche Energie, eine Tiefe, die oft in gemischten Gruppen oder wenn Frauen dazukommen so nicht entsteht. Was nicht heißt, dass das schlechter wäre. Es ist nur anders. Es ist einfach eine andere Qualität von Tiefe. Und da einfach mal zu gucken: Wie gehen eigentlich andere Männer mit ihrem Leben um, wie haben sie es vielleicht auch geschafft, durch Täler hindurchzugehen. Das in einem normalen Kontext, einem Stammtisch zu erwarten, das ist oft mit Glück und mit Zufall verbunden, dann Männer zu finden, die sich wirklich öffnen, weil sie viel zu viel Angst davor haben, ihr Gesicht zu verlieren."
Deshalb diene die Verschwiegenheit einer Atmosphäre des absoluten Vertrauens unter den Brüdern. Ihre Gegner haben der Freimaurerei nie geglaubt, dass es ihr dabei vor allem um die Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen gehe. Die verschwiegene Gemeinschaft sei in Wahrheit eine verschworene, hieß es besonders aus rechten Kreisen, bis hin zu Verbot und Verfolgung.
Das alte Schreckgespenst von den Beherrschern des Planeten, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, kitzelt in Büchern und Filmen immer wieder die Fantasien eines Millionenpublikums. Allerdings trugen nicht nur Schöngeister den Schurz wie Goethe oder Liszt, nicht nur Individualisten wie Charles Lindbergh oder Louis Armstrong, sondern auch handfeste Machtpolitiker. Und natürlich darf die Menschenliebe zum Beispiel eines Harry S. Truman, der den Einsatz der Atombombe befahl, hinterfragt werden.
"Es ist kein Geheimnis, dass etwa 15 amerikanische Präsidenten Mitglieder der Freimaurerei waren, dass die amerikanische Verfassung ein Werk von Freimaurern ist, dass das englische Königshaus sehr eng mit der Freimaurerei verbunden ist und so weiter. Dass wir da an relevanten Positionen mit unserem Gedankengut vertreten sind, das ist natürlich schon eine der Aufgaben der Freimaurerei. Wir beobachten ja die Verhältnisse sehr genau. Und überall dort, wo wir meinen, dass ein über ideologische und Parteigrenzen hinweg vernünftiger Kompromiss in einer Sache zum Wohle der Menschheit gefunden werden soll, da versuchen wir aktiv zu werden, und das, glauben wir, gelingt uns auch."
Michael Kraus ist Großmeister der österreichischen Logen. Weltweite Befehlsstrukturen in der Freimaurerei gibt es seiner Meinung nach nicht. Eine Loge ist autonom, in Deutschland und Österreich unterliegt sie, ganz profan, dem Vereinsrecht.
Der Meister vom Stuhl wird von den Mitbrüdern gewählt. Die Namen ihrer Mitglieder halten die Logen gegenüber Staat und Öffentlichkeit allerdings geheim. Es steht aber jedem Bruder frei, sich zu bekennen. Michael Kraus warnt vor einer, wie er meint, zu großen Öffnung der Freimaurer, die er bei seinen Brüdern in Deutschland zu sehen glaubt.
"Die Deutschen haben nach dem Krieg das Bedürfnis, der Welt zu erklären, dass es keinen Grund gab die Freimaurerei zu verfolgen und zu verdammen. Und da haben die die Türen aufgemacht, haben gesagt: Bitte kommt doch und seht doch mal, das was wir tun ist ja gar nicht schlecht. Aber da darf man halt nicht übersehen, dass dieses vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragene Gutmenschentum bei den Menschen, auf die es ankommt, dann doch nicht den Effekt erzielt, den man sich verspricht, nämlich Bereitschaft herzustellen, mitzumachen. Es ist ja die Wirksamkeit der Freimaurerei in der Gesellschaft keine Frage der Quantität, sondern immer eine Frage der Qualität. Also, uns ist es lieber, wir haben einige wenige richtige Leute als viel zu viel falsche Leute."
So gelassen sehen es die Brüder hierzulande nicht. Gerade die deutschen Freimaurer haben große Nachwuchsprobleme. Anfang der dreißiger Jahre hatten sie rund 80.000 Mitglieder. Heute sind es nur noch etwa 14.000. Das Durchschnittsalter in den rund 460 Logen liegt zwischen 50 und 60. Offenbar finden immer weniger junge Leute Gefallen an der Sinnsuche in einer verborgenen Männerwelt mit theatralisch anmutenden Ritualen. Trotzdem, so Jan Hendrik Taubert, suche man sich seine Lehrlinge sehr genau aus.
Ein Grund dafür sei die weit verbreitete Annahme, dass die Logen nur humanistisch verbrämte Netzwerke zur Förderung ökonomischer Interessen sind. Mitgliedsbeiträge von 300 bis 400 Euro im Jahr legen nicht eben den Verdacht auf elitäre Kapitalistenzirkel nahe, doch Taubert leugnet nicht, dass sogenannte Geschäftsmaurerei vorkommen kann. Er glaubt aber an ein sensibles Gespür vor der Aufnahme eines neuen Bruders.
"Es gibt dann eine Kommission, die trifft sich dann mit dem Suchenden und führt einfach ein sehr intensives Gespräch, und da kriegt man dann sehr schnell auch raus: Mit welcher Motivation möchte der Suchende eigentlich Bruder werden? Was treibt ihn? Wenn er ausschließlich berufliche Vorteile sich zum Beispiel erhofft oder wenn er irgendwelche weltlichen Belohnungen dafür erwartet, dann ist das Tor schon fast zu. Dann wird dieser Mensch in der Maurerei nicht glücklich und er wird auch das, was er erwartet, nicht bekommen."
Taubert ist überzeugt, dass immer wieder Suchende anklopfen werden, die es ernst meinen. Er glaubt nicht, dass die diskrete Gesellschaft demnächst in der Kuriositätenkammer der Geschichte endet. Vielleicht hat er Recht. In einer Zeit, in der die Sehnsucht nach Spiritualität allem Anschein nach wieder stärker wird, könnten auch die Logen eine Renaissance erleben. Solange es ihnen um eine gerechtere Welt geht, kann das Refugium der verschwiegenen Männer in toleranten Gesellschaften seinen Platz haben, ob als Relikt oder Avantgarde.
"So eine Loge, nicht. Die hatten ja auch einen etwas anrüchigen Geruch gehabt damals."
"Das erinnert mich jetzt gerade an das Buch ’Illuminati’ und noch an einen anderen Film, den ich mal gesehen habe, aber nicht sehr viel."
"Das ist ein Beruf, Maurer. Tja, Freimaurer? Vielleicht ist der arbeitslos."
Wolfgang Amadeus Mozart dachte wohl nicht an Mörtel und Kelle, als er 1790 "Die Zauberflöte" komponierte, in der Menschenliebe und Weisheit über dunkle Mächte triumphieren. Da war er bereits Mitglied der Wiener Freimaurerlogen "Zur wahren Eintracht" und "Zur gekrönten Hoffnung": strahlende Namen. Sie atmen den Glauben an die Zukunft einer freien, ethisch orientierten Bürgergesellschaft, die im 18. Jahrhundert ihren Siegeszug antrat.
Der Freimaurer Gotthold Ephraim Lessing nannte sie gar einen "Sprössling" des Bundes. Bis heute fühlen sich dessen Anhänger der großen Epoche verpflichtet.
"Es gibt so was wie ein Idealbild des Menschen, grundlegende Werte, die gelebt werden und die auch gelehrt werden, und das sind die klassischen Werte der Aufklärung, also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität und Humanismus. Durch den Rahmen, den wir schaffen, geben wir Menschen die Möglichkeit, an sich selber zu arbeiten, sich selber zu verbessern, und durch ihre ohnehin vorhandene Position in dieser Welt, als Bäckermeister oder als Rechtsanwalt oder was auch immer, diese Werte ein Stück weit zu verwirklichen und so Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung dieser Welt."
Der da redet, darf eigentlich gar nicht reden. Jan Hendrik Taubert spricht im Auftrag der Vereinigten Großlogen von Deutschland über das Anliegen der Freimaurer. Der 38-jährige Unternehmensberater hat als Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit eine schwierige Aufgabe, denn wie jeder Bruder hat er sich bei der Aufnahme in den Bund zur Verschwiegenheit verpflichtet: eine Tradition, die von den mittelalterlichen Dombauhütten, englisch Lodges, stammt, den Vorläufern der Logen.
Die Handwerker dort unterlagen nicht dem Zunftzwang, waren "freie Maurer". Sie lebten in einer abgeschlossenen Welt, die ihre Baupläne streng hütete und feste Rituale für Lehrlinge, Gesellen und Meister kannte. Während draußen Kirche und Obrigkeit ihr hartes Regiment führten, herrschte hier eine weitgehende Gedanken- und Redefreiheit.
Als das Zeitalter der Kathedralen endet, entsteht hieraus die vergeistigte Maurerei. 1717 bildet sich in England die erste Freimaurerloge. Bald erfasst die Bewegung den ganzen Kontinent. Einzelne Logen mit bis zu 100 Mitliedern schließen sich zu Großlogen zusammen. Ihre Anhänger sind nur noch selten Handwerker, müssen aber "freie Männer von gutem Ruf" sein, wie es in den "Alten Pflichten" aus England heißt, dem Grundgesetz der Bruderschaft. Bis heute entscheiden weltweit die englischen Freimaurer darüber, ob eine Loge als regulär gelten kann. Die wenigen Frauenlogen, die es auch gibt, werden nicht anerkannt.
In symbolischer Anlehnung an den Tempelbau König Salomons wollen die Freimaurer einen menschlichen Bau errichten, frei von Dogmen: den Tempel der Humanität. Der Zirkel verkörpert nun die umfassende Menschenliebe, das Winkelmaß die eigene Rechtschaffenheit und die Ordnung.
Aufnahmekandidaten, so genannte "Suchende", werden erst nach vorheriger Abstimmung als Lehrlinge in eine Loge aufgenommen. Nach Vertiefung in die freimaurerische Geisteswelt wird der Lehrling zum Gesellen befördert und schließlich zum Meister erhoben. Im Mittelpunkt stehen geheime Rituale, die den Freimaurer zum Verständnis der eigenen Seele führen sollen. Die Brüder, bekleidet mit dem Schurz der Steinmetze, nennen sie "Arbeit".
"Wir sagen, wir arbeiten am rauen Stein. Also, wir begreifen uns als raue Steine, die sich, um Bindungen eingehen zu können, um Gesellschaften gestalten zu können, zunächst behauen müssen. Ich nehme den Spitzhammer und gucke an mir: Welche Ecken und Kanten habe ich denn, die mich trennen von den Menschen, die mich eher irgendwie ein Egoist sein lassen? Und diese Ecken der Unvollkommenheit abzuhauen, das ist der zentrale Begriff der Arbeit."
Viel mehr darf Taubert, der den Grad eines Meisters erreicht hat, nicht sagen. Aber das eigentliche Geheimnis sei in Wahrheit das individuelle Erlebnis einer Tempelarbeit. Außerdem sei doch alles, was da passiert, längst von Abtrünnigen aufgeschrieben. Jede Staatsbibliothek habe die im Angebot.
Wer die fantastischen Schauergeschichten von glaubwürdigen Berichten unterscheiden kann, der erfährt tatsächlich eine Menge über geheime Handgriffe, Klopfzeichen und Losungsworte, das Verbinden der Augen, den Einsatz von Licht und Dunkelheit bei den Ritualen, den Wortlaut von Wechselgesprächen und Gesängen.
Brüder, reicht die Hand zum Bunde
Diese schöne Feierstunde
Führ’ uns hin zu lichten Höh’n
Lasst, was irdisch ist entflieh’n
Uns’rer Freundschaft Harmonien
Dauern ewig, fest und schön.
"Hier im Vorbereitungsraum legen wir dann unsere freimaurerische Bekleidung an. Das heißt neben dem Smoking und dem weißen Binder weiße Handschuhe, in manchen Logen den Zylinder und den Schurz."
Die Türen zum Tempel der Berliner Loge "Victoria" öffnen sich ein langgezogener, fensterloser Raum ganz in Blau mit Stuhlreihen links und rechts, an der Wand im Osten eine Art Altar, dahinter der Platz für den Meister vom Stuhl, den Vorsitzenden der Loge, der die Rituale leitet.
Die Freimaurer sehen sich nicht als esoterische Sekte. Sie geben kein Heilsversprechen, sondern suchen Selbsterkenntnis und Weltverbrüderung im Diesseits. Eine Weltanschauung, deren religiöse Elemente unübersehbar sind. Zwei deutsche Großlogen bezeichnen sich als christlich und nennen Jesus ihren Obermeister. Auch in rein humanitären Logen wie der "Victoria" liegt die Bibel während der Rituale auf dem Tempelaltar - als ein Buch der heiligen Gesetze, die der "Große Baumeister aller Welten" erlassen hat.
"Es ist uns gleichgültig, welcher Religion du angehörst, welchen Gott du anbetest, welchem Buch der heiligen Gesetze du folgst. Hauptsache du sagst, es gibt so etwas wie das Göttliche und das spielt in deinem Leben irgendeine Rolle."
Preis und Dank dem Weltenmeister,
Der die Herzen, der die Geister
Für ein ewig Wirken schuf!
Licht und Recht und Tugend schaffen
Durch der Wahrheit heil’ge Waffen
Sei uns göttlicher Beruf!
"Die Freimaurer haben keinen eigentlichen Wahrheitsbegriff, oder deren Wahrheitsbegriff stimmt nicht mit dem der katholischen Kirche überein. Gott hat diese Welt geschaffen. Diese Welt funktioniert jetzt, läuft jetzt ab, aber es kann erst recht nicht so sein, dass der Einzelne mit Gott in Verbindung tritt. Und es kann erst recht nicht sein, dass es so etwas gibt wie eine übernatürliche Offenbarung. Offenbarung kann es also nur im Bereich des Natürlichen geben. Und diese Weltanschauung führt zu einem Relativismus. Sie ist tolerant gegenüber der Wahrheit und Ideen. Das heißt, sie akzeptiert sowohl das Falsche wie das Richtige."
Reinhold Sebott ist emeritierter Professor für Kirchenrecht und hat sich lange mit dem schwierigen Verhältnis der katholischen Kirche zur Freimaurerei befasst. Anders als die Protestanten zählte der Vatikan von Anfang an zu ihren schärfsten Gegnern.
In der freieren Atmosphäre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Androhung der Exkommunikation zwar aus dem kanonischen Strafrecht herausgenommen. Nach einer Erklärung der Glaubenskongregation unter ihrem damaligen Präfekten Joseph Ratzinger leben katholische Freimaurer aber weiterhin im "Stand der schweren Sünde". Bis heute müssen Kirchenangestellte mit der Kündigung rechnen, wenn ihre Mitgliedschaft in einer Loge bekannt wird. In einer Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz von 1980 finden sich aber auch anerkennende Worte.
"Das Eintreten der Freimaurerei für die humanitäre Idee, die Arbeit der Freimaurerei für Wohltätigkeit, drittens das Symbolverständnis, also dass man die Dinge dieser Welt auch wie eine Art Symbol für die jenseitige Welt ansehen soll. Schließlich respektiert die katholische Kirche, dass es sehr viele einzelne Freimaurer gegeben hat, die herausragend sind. Und schließlich akzeptiert die katholische Kirche, begrüßt es auch, dass die Freimaurer gegen den Materialismus angegangen sind und auch immer wieder angehen."
Ihr, auf diesem Stern die besten
Menschen all’ im Ost und Westen
Wie im Süden so im Nord!
Wahrheit suchen, Tugend üben,
Gott und Menschen herzlich lieben,
Das sei unser Losungswort!
"Für mich war das so, dass ich meine islamischen Wurzeln nicht vergesse, aber trotzdem den Fortschritt mit annehmen möchte. Für mich ist es nicht ein Ausschluss, dass der Islam hierarchisch und dogmatisch ist und die Freimaurerei genau das Gegenteil ist, sondern ein Übergang, wovon ich mir beides, das Beste nehmen kann. Jeder Mensch hat ja gewisse Vorurteile und ich habe gelernt durch die Freimaurerei, mich von diesen Vorurteilen zu befreien, und ich verstehe immer mehr, was es bedeutet, toleranter zu sein gegenüber Weltanschauungen."
Kenan Yilmaz ist Kampfkunstlehrer. Sogar rechtsradikale Jugendliche könne er inzwischen zu vernünftigen Gesprächen bewegen, meint der Deutsch-Türke aus Berlin. Der 34-Jährige ist Freimaurerlehrling und hat über die Beschäftigung mit dem Republikgründer und Freimaurer Atatürk zur Loge gefunden. Offenbar können die Ideen der abendländischen Aufklärung aufgeschlossenen Muslimen wie ihm eine geistige Heimat bieten - und die Möglichkeit zu ungewöhnlichen Freundschaften.
"Wenn ich den Leuten hier erzählen würde, ich sitze hier mit 60-, 70-, 80-, 90-jährigen Menschen zusammen und sage zu denen ’Bruder’, die würden dann sagen: Das geht doch gar nicht. Der eine ist Anwalt bei uns, der andere ist Polizist, der eine ist Opernsänger. Also, wir sind so verschiedene Menschen in verschiedenen Altersgruppen, verschiedenen Religion, verschiedenen Rassen. Das ist unglaublich schön, mit so Leuten sich auszutauschen."
"Wenn sich Männer in einem geschlossenen Männerkreis miteinander austauschen, dann entsteht eine ganz andere Energie, nämlich eine rein männliche Energie, eine Tiefe, die oft in gemischten Gruppen oder wenn Frauen dazukommen so nicht entsteht. Was nicht heißt, dass das schlechter wäre. Es ist nur anders. Es ist einfach eine andere Qualität von Tiefe. Und da einfach mal zu gucken: Wie gehen eigentlich andere Männer mit ihrem Leben um, wie haben sie es vielleicht auch geschafft, durch Täler hindurchzugehen. Das in einem normalen Kontext, einem Stammtisch zu erwarten, das ist oft mit Glück und mit Zufall verbunden, dann Männer zu finden, die sich wirklich öffnen, weil sie viel zu viel Angst davor haben, ihr Gesicht zu verlieren."
Deshalb diene die Verschwiegenheit einer Atmosphäre des absoluten Vertrauens unter den Brüdern. Ihre Gegner haben der Freimaurerei nie geglaubt, dass es ihr dabei vor allem um die Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen gehe. Die verschwiegene Gemeinschaft sei in Wahrheit eine verschworene, hieß es besonders aus rechten Kreisen, bis hin zu Verbot und Verfolgung.
Das alte Schreckgespenst von den Beherrschern des Planeten, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, kitzelt in Büchern und Filmen immer wieder die Fantasien eines Millionenpublikums. Allerdings trugen nicht nur Schöngeister den Schurz wie Goethe oder Liszt, nicht nur Individualisten wie Charles Lindbergh oder Louis Armstrong, sondern auch handfeste Machtpolitiker. Und natürlich darf die Menschenliebe zum Beispiel eines Harry S. Truman, der den Einsatz der Atombombe befahl, hinterfragt werden.
"Es ist kein Geheimnis, dass etwa 15 amerikanische Präsidenten Mitglieder der Freimaurerei waren, dass die amerikanische Verfassung ein Werk von Freimaurern ist, dass das englische Königshaus sehr eng mit der Freimaurerei verbunden ist und so weiter. Dass wir da an relevanten Positionen mit unserem Gedankengut vertreten sind, das ist natürlich schon eine der Aufgaben der Freimaurerei. Wir beobachten ja die Verhältnisse sehr genau. Und überall dort, wo wir meinen, dass ein über ideologische und Parteigrenzen hinweg vernünftiger Kompromiss in einer Sache zum Wohle der Menschheit gefunden werden soll, da versuchen wir aktiv zu werden, und das, glauben wir, gelingt uns auch."
Michael Kraus ist Großmeister der österreichischen Logen. Weltweite Befehlsstrukturen in der Freimaurerei gibt es seiner Meinung nach nicht. Eine Loge ist autonom, in Deutschland und Österreich unterliegt sie, ganz profan, dem Vereinsrecht.
Der Meister vom Stuhl wird von den Mitbrüdern gewählt. Die Namen ihrer Mitglieder halten die Logen gegenüber Staat und Öffentlichkeit allerdings geheim. Es steht aber jedem Bruder frei, sich zu bekennen. Michael Kraus warnt vor einer, wie er meint, zu großen Öffnung der Freimaurer, die er bei seinen Brüdern in Deutschland zu sehen glaubt.
"Die Deutschen haben nach dem Krieg das Bedürfnis, der Welt zu erklären, dass es keinen Grund gab die Freimaurerei zu verfolgen und zu verdammen. Und da haben die die Türen aufgemacht, haben gesagt: Bitte kommt doch und seht doch mal, das was wir tun ist ja gar nicht schlecht. Aber da darf man halt nicht übersehen, dass dieses vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragene Gutmenschentum bei den Menschen, auf die es ankommt, dann doch nicht den Effekt erzielt, den man sich verspricht, nämlich Bereitschaft herzustellen, mitzumachen. Es ist ja die Wirksamkeit der Freimaurerei in der Gesellschaft keine Frage der Quantität, sondern immer eine Frage der Qualität. Also, uns ist es lieber, wir haben einige wenige richtige Leute als viel zu viel falsche Leute."
So gelassen sehen es die Brüder hierzulande nicht. Gerade die deutschen Freimaurer haben große Nachwuchsprobleme. Anfang der dreißiger Jahre hatten sie rund 80.000 Mitglieder. Heute sind es nur noch etwa 14.000. Das Durchschnittsalter in den rund 460 Logen liegt zwischen 50 und 60. Offenbar finden immer weniger junge Leute Gefallen an der Sinnsuche in einer verborgenen Männerwelt mit theatralisch anmutenden Ritualen. Trotzdem, so Jan Hendrik Taubert, suche man sich seine Lehrlinge sehr genau aus.
Ein Grund dafür sei die weit verbreitete Annahme, dass die Logen nur humanistisch verbrämte Netzwerke zur Förderung ökonomischer Interessen sind. Mitgliedsbeiträge von 300 bis 400 Euro im Jahr legen nicht eben den Verdacht auf elitäre Kapitalistenzirkel nahe, doch Taubert leugnet nicht, dass sogenannte Geschäftsmaurerei vorkommen kann. Er glaubt aber an ein sensibles Gespür vor der Aufnahme eines neuen Bruders.
"Es gibt dann eine Kommission, die trifft sich dann mit dem Suchenden und führt einfach ein sehr intensives Gespräch, und da kriegt man dann sehr schnell auch raus: Mit welcher Motivation möchte der Suchende eigentlich Bruder werden? Was treibt ihn? Wenn er ausschließlich berufliche Vorteile sich zum Beispiel erhofft oder wenn er irgendwelche weltlichen Belohnungen dafür erwartet, dann ist das Tor schon fast zu. Dann wird dieser Mensch in der Maurerei nicht glücklich und er wird auch das, was er erwartet, nicht bekommen."
Taubert ist überzeugt, dass immer wieder Suchende anklopfen werden, die es ernst meinen. Er glaubt nicht, dass die diskrete Gesellschaft demnächst in der Kuriositätenkammer der Geschichte endet. Vielleicht hat er Recht. In einer Zeit, in der die Sehnsucht nach Spiritualität allem Anschein nach wieder stärker wird, könnten auch die Logen eine Renaissance erleben. Solange es ihnen um eine gerechtere Welt geht, kann das Refugium der verschwiegenen Männer in toleranten Gesellschaften seinen Platz haben, ob als Relikt oder Avantgarde.