Religiosität in der israelischen Popmusik

Langer Bart und Schläfenlocken statt nacktem Oberkörper

Kobi Oz und die Teapacks aus Israel nahmen 2007 auch am Eurovision Song Contest in Helsinki teil - heute beschäftigt sich der Popmusiker auch mit religiösen Fragen
Kobi Oz und die Teapacks aus Israel nahmen 2007 auch am Eurovision Song Contest in Helsinki teil - heute beschäftigt sich der Popmusiker auch mit religiösen Fragen © picture alliance / dpa / Lehtikuva Nukari
Von Igal Avidan · 31.03.2017
Religion spielt in der israelischen Popmusik zunehmend eine Rolle. Felix Papenhagen von Institut für Jüdische Philosophie an der Universität Hamburg hat darüber sogar seine Doktorarbeit geschrieben. Eine seiner Erkenntnisse: Religiöse Popmusiker haben es nicht immer einfach.
Im Herbst 1982 feierte ein schmächtiger Junge in der israelischen Wüstenstadt Sderot mit 13 Jahren seine Bar Mizwa. Der bebrillte Junge, der einen weißen Anzug (und eine weiße Fliege) trug, sagte die Segenssprüche. Er weigerte sich jedoch, in der Synagoge gemeinsam mit seinem Großvater aus der Thora vorzulesen. Kobi Oz besuchte damals die säkulare Schule und wollte Israeli sein.
Als der Großvater, der aus Tunesien stammende Kantor und Rabbiner Chaim Messika, starb, fand man bei ihm Kassetten, auf denen er liturgische Gesänge aus seiner Heimat aufbewahrt hatte. Inzwischen wurde Oz mit seiner Pop-Band "Tea Packs" ein Star. Erst mit 40 Jahren wagte er es, sich zu seinen jüdischen Wurzeln zu bekennen. Kobi Oz integrierte den Gesang seines Großvaters in sein Lied "Elohai", Hebräisch für "mein Gott".
"Mein Gott, wenn Du meine Gebete hörst, kann man vielleicht meinen Opa grüßen? / Sag ihm, dass die sefardische Mäßigung, die er praktizierte, sich in radikalen Fanatismus verwandelte / Aber trotz allem knistert die Toleranz unter der Oberfläche / Schau, langsam kommen die Menschen aus der Spannung und wollen eigentlich zusammen sein in dieser großen Synagoge, die Erez Israel heißt."

Großes Vakuum nach der Ermordung von Jitzhak Rabin

Die zunehmende Religiosität in der israelischen Musik begann Ende der 1990er-Jahre, sagt Felix Papenhagen.
"Es wird immer von einem großen Vakuum überhaupt nach dem Ableben des Zionismus gesprochen, nach einer neuen Sinnsuche und auch aber von einer großen Depression, einer großen Hoffnungslosigkeit nach der Ermordung von Jitzhak Rabin. Man darf nicht vergessen, dass Israel das Einwanderungsland par exzellente ist. Juden aus allen Herrenländern sind darauf angewiesen, in Israel miteinander auszukommen und finden hier als einer der kleinsten gemeinsamen Nenner tatsächlich die Religion."
Langes lockiges Haar, dick aufgetragener roter Lippenstift werden heute auf der Bühne zunehmend mit Kopftuch und langen Ärmeln kontrastiert; ein nackter Oberkörper gegen einen langen Bart, Schläfenlocken und Kippa eingetauscht.

Blick in den Schrank mit den heiligen Büchern

Den Blick in den Schrank mit den heiligen Büchern – so der Titel der Doktorarbeit – wagten gerade renommierte Pop- und Rockmusiker. Ihr musikalischer Selbstfindungsprozess würde jedoch ohne die tatkräftige finanzielle Förderung einiger israelischer Institutionen kaum in eine CD münden, sagt Felix Papenhagen.
"Solche Institutionen und Vereine spielen meiner Ansicht nach eine große Rolle dafür, dass sich säkulare Musiker mit dem Thema Religion neu oder auf eine neue Art und Weise auseinandersetzen. Beit Avichai ist so eine Art Stiftung, hauptsächlich finanziert durch ausländische Gelder, um die jüdische Identität der israelischen Bevölkerung zu stärken. Sie finanzieren diese Konzertreihen und nicht selten sind aus diesen Konzertreihen auch CDs hervorgegangen."
Renommierte Musiker wie Ariel Zilber, die auch in ihrem Privatleben zur Religion zurückkehren, haben es sehr schwer. Denn ein religiöses Leben zu führen steht im Widerspruch zum Alltag eines Pop- oder Rockmusikers.
"Er hat erst versucht, religiöse Texte dazu die Melodie zu schreiben und es hat überhaupt nicht geklappt. Und er war wirklich in einer Krise. Überhaupt der ganze Tagesablauf war ganz anders als ein Rock'n'Roller ehemals gelebt hat. Er ist abends auf der Bühne und dann lange Feiern. Und heute muss man als Religiöser sehr früh aufstehen und in die Synagoge gehen und gemeinsam beten und dann muss man das Tagesblatt lernen und dann gibt's religiöse Aufgaben zu erledigen, so dass er schon eine Zeitlang gar keine Kraft mehr gefunden hat, überhaupt Musik zu machen und Klavier zu üben und Trompete zu üben."

"Hier sind wir, die Verzweifelten"

Bereits 1982, während des ersten Libanonkriegs, drückte Ariel Zilber die Verzweiflung und Orientierungslosigkeit der Israelis aus. In seinem Schlager "Hine anu ha-mejuashim" – "Wir, die Verzweifelten" – blickt er daher mit Sehnsucht auf die biblische Zeit und die Urväter zurück.
"Hier sind wir, die Verzweifelten / Im Leben tun wir uns schwer / Aber wir beschweren uns nicht / nur fragen wir uns: Gott, wie geht das Leben vorbei / Wie alle Propheten Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verfolgten / Während ich nur nach Geld jage / So sind wir in tiefer Trauer versunken / Und wir unternehmen auch nichts / Und unser Weg – wohin führt er?"
Noch 1999 veröffentlichte Ariel Zilber eine CD zusammen mit arabischen Musikern. Dann begann sein Weg in die Religion und die rechtsextreme politische Ecke. Er komponierte sogar die Hymne der ultraorthodoxen Gruppe Neturei Karta mit dem Refrain: "Wir ignorieren die Gesetze der Ketzer."
Felix Papenhagen widmete seine Doktorarbeit auch dem einzigen seiner sechs Protagonisten, der überraschend verstarb: Gabriel Belchassan. Wenige Israelis kennen diesen Punk, weil er ein kompromissloser Künstler war, der aber lebenslang mit seiner religiösen Umgebung im Dorf Talmei Elijahu in der Negev-Wüste haderte:
"Und als er drei, vier Jahre alt war, ist das ganze Dorf beinahe kollektiv zum Glauben zurückgekehrt. Und er ist als einer von elf Kindern noch in eine säkulare Schule gekommen. Und die anderen mit der Familie sind religiös geworden. Er hat immer wieder versucht, sich von Gott abzuwenden, hat aber gar keine säkulare Sprache gehabt in seinem Umfeld, um darüber sprechen zu können. Seine ganzen Lieder sind alle von absolut religiöser Sprache geprägt. Er braucht gar nicht nachgucken in den Psalmen, er hat alles intuitiv, alles im Kopf und spielt mit diesen Zitaten und den Versatzstücken und macht etwas Eigenes daraus und kritisiert auch eben stark die Religion."

"In Honig gepackte Beruhigungsmittel"

So zum Beispiel in seinem Lied "Kadurej hargaa bi-dvash", Hebräisch für "In Honig gepackte Beruhigungsmittel". Im Titel offenbart Gabriel Belchassan, dass er Antidepressiva nimmt.
"Ich bin frühmorgens runtergegangen, um Schokolade und Zigaretten zu kaufen / Ich sah Beter auf dem Weg zu Slichot (den Gebeten der Buße und Reue) / um unserem Gott zu erklären, dass wir versuchen, ihm zu verzeihen / für alle schrecklichen Tage, die er uns erschaffen hatte / für all die Tränen, Wut, Frust und Verzweiflung/ Bereschit, Im Anfang, hat die Erde den Menschen geschaffen / am zweiten Tag schuf der Mensch Gott / und am dritten Tag die Mikrowelle."
Gabriel Belchassan verstarb 2013 mit nur 37 Jahren. In einem seiner letzten Interviews hinterließ der Liedermacher seinen Kollegen eine Art Testament.
"Seid sehr genau in euren Liedern und steckt eure ganze Seele hinein. Denn eines Tages werden die Menschen diese wie ein Thorabuch hochhalten."
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