Religionsbetrachtung mit hohem Verstörungspotenzial
Norbert Bolz betrachtet Religion aus einer wohlwollenden Distanz heraus, mit der er Glauben und Vernunft zu vereinen sucht. Er glaubt, dass wir uns in der heutigen Zeit viele Ersatzgötter geschaffen haben. Darin folgen wir einer metaphysischen Sehnsucht, die nach Bolz ein menschliches Grundbedürfnis ist. "Eine Religion, die sich ernst nimmt, ist dogmatisch", betont Bolz.
Mal wird er in der Presse als "Theorie-Dandy", "Trendguru" und "Irritationsspezialist" bezeichnet, mal von Kollegen als "zynischer Zeitgeistphilosoph" beargwöhnt: Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft und Medienberatung an der Technischen Universität Berlin. Der Mann, soviel ist gewiss, macht von sich reden. Seitdem er 1989 seine Habilitation vorlegte, ist kaum ein Jahr vergangen, in dem er nicht ein weiteres Buch publiziert hat. Seine Arbeitsschwerpunkte sind vielfältig: von der Ästhetik Adornos über Kommunikations- und Medientheorien bis hin zur Wissenschaft vom Design.
In seinem neuen Buch "Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen" favorisiert der Philosoph und Religionswissenschaftler ein Verständnis von Religion, das Glauben und Vernunft verbindet und sich abhebt vom Zeitgeist: von selbstgefälligem "Gutseinwollen", von Fanatismus oder Zynismus.
Mit der Selbstcharakterisierung als "religiös unmusikalisch" greift Bolz einen Terminus auf, den der Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt und den Jürgen Habermas vor wenigen Jahren neuerlich in die öffentliche Diskussion eingeführt hat. "Religiös unmusikalisch" bezeichnet Distanz zur Religion ohne Verneinung, eine Art über sie zu sprechen, die nicht aus eigener (Glaubens)Praxis, sondern aus der Reflexion der Praxis anderer erwächst. Bolz, "weder antireligiös, noch irreligiös", argumentiert für das "Kultur gewordene Christentum". Unterstreicht - über weite Passagen hin fast päpstlicher als der Papst - die Notwendigkeit von Religion, ohne in der Lage zum eigenen Mitvollzug zu sein.
In fünfzehn Kapiteln analysiert der Autor den Zustand der modernen, säkularisierten, dadurch trivialisierten Gesellschaft, in der das Christentum sich auf eine bloße "Weltanschauung" reduziert hat. Für Bolz Kennzeichen von Auflösung, aber eben auch Rekonstruktion religiöser Tradition. Er stellt fest, dass metaphysische Sehnsucht, Verlangen nach Sinn und Transzendenz Grundbedürfnisse menschlicher Existenz seien. Gott sei zwar tot, wirke aber dafür umso mächtiger im Unbewussten.
"Die Götter, die aus dem Himmel der Religionen verdrängt wurden, kehren als Idole des Marktes wieder", diagnostiziert er. Der moderne Mensch meine wohl, ohne Religion leben zu können, schaffe sich aber ständig Ersatzreligionen und Ersatzrituale. Er verlagere sein religiöses Bedürfnis und erhoffe sich Erlösung nun von einer "gerechten Gesellschaft", von "heiler Natur" oder der Entdeckung des "wahren Selbst". Bolz' Bestandsaufnahme führt zu pointierten Feststellungen wie: "Das goldene Kalb um das heute getanzt wird, ist der Götze Mensch". Oder: "Man liebt die Menschheit, um Gott verdrängen zu können."
Der Autor will den Kern, das traditionelle Wissen der Religion reaktivieren. Er warnt vor einem zeitangepassten Christentum der "Gutmenschen", die Konflikte scheuten und zwischen Fundamentalismus und Sentimentalität einem Glaubenspluralismus frönten. Er warnt, heute agiere der Antichrist als Ethiker. Die Moralisierung der Religion sei sein Werk, ebenso die Erfindung von Werten wie "Soziale Gerechtigkeit" oder "Dialog der Kulturen". Dabei handele es sich allein um die Maske des Neids und die der geistigen Kapitulation.
"Eine Religion, die sich ernst nimmt, ist dogmatisch", betont Bolz. Diese schrill dialektische Betrachtungsweise hat ein hohes Verstörungspotential. Das macht das Buch interessant. Man muss nicht den apodiktischen Standpunkt des Autors teilen, wird aber gezwungen sein, sich der Beschaffenheit seiner Religion zu vergewissern. Wer sein Leben verstärkt am christlichen Glauben orientiert, ist in den Augen von Norbert Bolz beneidenswert: ein Don Quixote, dem die Gesundheit seiner Identität wichtiger ist als Realitätsgerechtigkeit.
Rezensiert von Carsten Hueck
Norbert Bolz: Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen
Wilhelm Fink Verlag, München 2008
163 Seiten, 12,90 EUR
In seinem neuen Buch "Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen" favorisiert der Philosoph und Religionswissenschaftler ein Verständnis von Religion, das Glauben und Vernunft verbindet und sich abhebt vom Zeitgeist: von selbstgefälligem "Gutseinwollen", von Fanatismus oder Zynismus.
Mit der Selbstcharakterisierung als "religiös unmusikalisch" greift Bolz einen Terminus auf, den der Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt und den Jürgen Habermas vor wenigen Jahren neuerlich in die öffentliche Diskussion eingeführt hat. "Religiös unmusikalisch" bezeichnet Distanz zur Religion ohne Verneinung, eine Art über sie zu sprechen, die nicht aus eigener (Glaubens)Praxis, sondern aus der Reflexion der Praxis anderer erwächst. Bolz, "weder antireligiös, noch irreligiös", argumentiert für das "Kultur gewordene Christentum". Unterstreicht - über weite Passagen hin fast päpstlicher als der Papst - die Notwendigkeit von Religion, ohne in der Lage zum eigenen Mitvollzug zu sein.
In fünfzehn Kapiteln analysiert der Autor den Zustand der modernen, säkularisierten, dadurch trivialisierten Gesellschaft, in der das Christentum sich auf eine bloße "Weltanschauung" reduziert hat. Für Bolz Kennzeichen von Auflösung, aber eben auch Rekonstruktion religiöser Tradition. Er stellt fest, dass metaphysische Sehnsucht, Verlangen nach Sinn und Transzendenz Grundbedürfnisse menschlicher Existenz seien. Gott sei zwar tot, wirke aber dafür umso mächtiger im Unbewussten.
"Die Götter, die aus dem Himmel der Religionen verdrängt wurden, kehren als Idole des Marktes wieder", diagnostiziert er. Der moderne Mensch meine wohl, ohne Religion leben zu können, schaffe sich aber ständig Ersatzreligionen und Ersatzrituale. Er verlagere sein religiöses Bedürfnis und erhoffe sich Erlösung nun von einer "gerechten Gesellschaft", von "heiler Natur" oder der Entdeckung des "wahren Selbst". Bolz' Bestandsaufnahme führt zu pointierten Feststellungen wie: "Das goldene Kalb um das heute getanzt wird, ist der Götze Mensch". Oder: "Man liebt die Menschheit, um Gott verdrängen zu können."
Der Autor will den Kern, das traditionelle Wissen der Religion reaktivieren. Er warnt vor einem zeitangepassten Christentum der "Gutmenschen", die Konflikte scheuten und zwischen Fundamentalismus und Sentimentalität einem Glaubenspluralismus frönten. Er warnt, heute agiere der Antichrist als Ethiker. Die Moralisierung der Religion sei sein Werk, ebenso die Erfindung von Werten wie "Soziale Gerechtigkeit" oder "Dialog der Kulturen". Dabei handele es sich allein um die Maske des Neids und die der geistigen Kapitulation.
"Eine Religion, die sich ernst nimmt, ist dogmatisch", betont Bolz. Diese schrill dialektische Betrachtungsweise hat ein hohes Verstörungspotential. Das macht das Buch interessant. Man muss nicht den apodiktischen Standpunkt des Autors teilen, wird aber gezwungen sein, sich der Beschaffenheit seiner Religion zu vergewissern. Wer sein Leben verstärkt am christlichen Glauben orientiert, ist in den Augen von Norbert Bolz beneidenswert: ein Don Quixote, dem die Gesundheit seiner Identität wichtiger ist als Realitätsgerechtigkeit.
Rezensiert von Carsten Hueck
Norbert Bolz: Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen
Wilhelm Fink Verlag, München 2008
163 Seiten, 12,90 EUR