Religion und Gewalt

Hollywood näher als dem Propheten

Unterstützer der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) mit Fahne.
Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) © AFP / TAUSEEF MUSTAFA
Von Rainer Kampling · 23.10.2014
Indem man Tätern wie den IS-Anhängern ihre Behauptung, sie handelten aus religiösen Motiven, abnimmt, sitzt man willig ihrer Selbstinszenierung auf, so Rainer Kampling. Dem müsse vielmehr vehement widersprochen werden.
Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich die Wahrnehmung der Religion tiefgreifend verändert. In der westlichen Welt wurde sie kaum noch als Beweggrund politischer Aktion in Betracht gezogen, vielmehr oftmals als anachronistisches Element der vormodernen Zeit angesehen, das sich im Prozess weltweiter Säkularisierung gleichsam verflüchtigen würde.
Die Bilder des brennenden World Trade Center in New York wurden so auch zu Ikonen einer Zeitenwende: Gewalttätige Akteure im Namen Gottes betraten die Bühne der Politik und erschütterten die gewohnte Ordnung und die bekannten Denkmuster.
Anders als bei sogenannten religiösen Konflikten wie etwa in Nordirland oder Sri Lanka ging es hier nicht um lokale Konflikte, sondern um eine Symbolhandlung gegen das, was für die Täter der Westen war. Ohne jede Achtung vor anderer und eigenem Leben erwiesen sie sich als das, was sie wohl waren: Menschen verachtend.
Wenn es in dieser Tragödie Momente einer Farce gab, dann die, dass die Attentäter sich selbst alle Mühe gaben, durch ihr Tun die Vorstellung vom religiösen Fundamentalisten zu erfüllen. Ihre Selbststilisierung als archaische Helden war und ist verlogenes Pathos.
Sich selbst zum nützlichen Idioten machen
Und dennoch werden die von ihnen angegebenen religiösen Beweggründe mehr oder weniger unhinterfragt akzeptiert. Oder aber: Sie werden als tatsächlich gegeben hingenommen, weil die Täter genau der Vorstellung entsprechen, die man sich von einem religiösen, zu allem entschlossenen Menschen macht. Das Vorurteil findet seine Bestätigung.
Zum Erbe der Aufklärung gehört eben auch die Meinung, dass man Religionen und religiöse Menschen zähmen müsse, um sie zu Bürgern einer modernen Gesellschaft zu machen. Die Mörder vom "11.09." und die, die ihnen nachfolgen, tun alles, um diese Ansicht zu bestärken.
Allerdings wird dabei eine andere Errungenschaft der Aufklärung schlicht vergessen: Das kritische Befragen von Positionen, Legitimationen und Argumenten. Indem man den Tätern ihre Behauptung, sie handelten aus religiösen Motiven, abnimmt, macht man sich indirekt zu den nützlichen Idioten, die sie brauchen. Man sitzt willig ihrer Selbstinszenierung auf.
Der Propaganda widerstehen
Die selbsternannten Gotteskrieger zelebrieren ihre angebliche Bindung an die Tradition mit grausamsten Hinrichtungsritualen. Aber das ist eben Inszenierung und Hollywood näher als dem Propheten. Denn in der Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen sind sie in der Wahl der Waffen überaus modern.
Es ist mehr als an der Zeit, der Propaganda zu widerstehen, und die tatsächlichen Beweggründe von kriegerischer Gewalt und Genozid aufzudecken. Und es ist ebenso an der Zeit, Religion vor ihren Usurpatoren zu schützen und Missbrauch Missbrauch zu nennen.
Bei denen, die das Wort vom allmächtigen und barmherzigen Gott ständig im Mund führen, kann es nicht weit her sein mit dem Glauben an die Allmacht Gottes, da sie ja meinen, er sei nicht in der Lage, selbst seine Ziele durchzusetzen. Sie bemächtigen sich seiner, vergewaltigen seine Autorität für eigene politische Interessen. Zu ihrer Menschenverachtung kommt tiefe Gottesverachtung hinzu.
Diese Verachtung Gottes ist nicht einer Religion allein vorbehalten. Auf den Koppelschlössern der deutschen Wehrmacht stand: Gott mit uns. Den vergangenen und gegenwärtigen Gottesverächtern muss man jedoch klar sagen: Nein, Gott ist nicht mit euch.
Rainer Kampling, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philosophie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.
Kampling, Rainer
Der Theologe Rainer Kampling© Christian Arlt
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