Religion und Brauchtum

Wenn der Priester die Opfergaben verspeist

Furchterregende Gesellen treiben in St. Englmar (Bayern) ihr Unwesen. Mit kunstvoll handgeschnitzten Masken und wilden Pelzgewändern ziehen in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig in vielen Gemeinden im Bayerischen Wald Hexen, Teufel und Dämonen lautstark durch die Straßen, um die bösen Geister zu vetreiben.
Rauhnacht im bayrischen St. Englmar - Mit handgeschnitzten Masken und Pelzgewändern ziehen Hexen, Teufel und Dämonen lautstark durch die Straßen. © picture alliance / dpa / Armin Weigel
Von Udo Pollmer · 06.01.2017
In den so genannten Rauhnächten, den zwölf Nächten zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, werden bis heute in einigen Regionen Deutschlands die Geister ausgetrieben und Opfer gebracht. Udo Pollmer meint, diese Opferspeisen kämen vor allem den religiösen Eliten zugute.
Wenn nach der Wintersonnenwende die Tage wieder länger werden, beginnen die sogenannten Rauhnächte. Die letzte ist heute am 6. Januar. Damit endet die spukhafte Zeit zwischen den Jahren. Oft hießen die Rauhnächte auch Rauchnächte, weil man – bevor das neue Jahr begann – die bösen Geister in Haus und Stall ausräucherte. Das Heulen der Winterstürme wurde als Zeichen dämonischer Kräfte gewertet. Man glaubte, die Wilde Jagd aus verlorenen Seelen sause durch die Lüfte, angeführt von der Dämonin Frau Perchta, auch Frau Precht genannt.

Peitschen als gesundheitsfördernde Maßnahme

Die Perchtenumzüge im Süden Deutschlands, bei denen junge Burschen mit wüsten Hexenmasken durch die Dörfer ziehen, erinnern folkloristisch an die einst so gefürchtete Geisterschar. Im Volksglauben half dagegen vor allem Radau, Lärmbelästigung können die bösen Geister gar nicht leiden. Die Silvesterknallerei erinnert noch an diese Vorstellung. Mangels Böllern wurde früher das Vieh vor den Hexen und damit vor Krankheit mit Peitschenknallen geschützt. Generell zählte früher das Peitschen zu den gesundheitsfördernden Maßnahmen. Schläge mit Gerten waren so angesagt wie heute Diäten. Bei den Damen sollte es die Fruchtbarkeit erhöhen.
Um es sich nicht mit dem bösen Weib Perchta zu verderben, versuchten die Menschen, die dämonische Horde mit Essen zu beschwichtigen. Praktischerweise kamen die Speisen vielerorts gleich aufs Dach, damit die fliegende Gesellschaft bequem Essen fassen konnte. Meist wurde ihnen Grütze und Fisch angeboten, manchmal auch Klöße, Küchlein und Bier. Leider fehlen Berichte darüber, was mit den Speisen geschah, die die wilden Gäste stehenließen. Schlussendlich dürfte einiges davon in den Mägen der edlen Spender gelandet sein.

Kinder als Opfer für gute Ernte

Ein Opfer bringen klingt nach Selbstüberwindung und Glaubensstärke. Viele Religionen fordern von ihren Gläubigen Speis und Trank als Opfer. Natürlich kommt für Geister und Götter nur das Beste und Edelste auf den Altartisch. Da wurden und werden immer noch Stiere, Schafe und Ziegen rituell geschlachtet, ein symbolischer Teil – ein paar Stirnhaare des Stieres – auf glühende Kohlen gelegt und verbrannt. Wenn der Rauch in den Himmel stieg – dort wo die Götter in den Wolken hausen – stimmte er diese freundlich.
Was vielen Menschen heute befremdlich klingen mag, bedeutete einen enormen humanitären Fortschritt: Denn früher wurden Menschen geopfert, vor allem Kinder, um gute Ernten zu erbitten, damit der Rest der Familie satt würde. Im Alten Testament findet sich noch ein deutlicher Hinweis darauf: Abraham, der seinen Erstgeborenen Isaak zum Altar führt. Eines schönen Tages – vermutlich als die Gläubigen mehr Vieh als Kinder ihr Eigen nannten – genügte es, seinem Gott stattdessen ein Lamm oder einen Ziegenbock zu opfern.

Die besten Fische für die Alten

Doch was passierte mit dem Fleisch der Opferlämmer, das nicht in Rauch aufging? Das pflegten die Priester in Erfüllung ihrer Pflichten zu verspeisen. Ihre Macht verdankten sie in Hochkulturen gewöhnlich astronomischen Kenntnissen, also der Fähigkeit den Willen des Himmels zu deuten. Dem gemeinen Volk war es unheimlich, wenn eine Sonnenfinsternis angekündigt wurde und auch eintrat. Da wirkte die Ermahnung, zur Besänftigung des Götterzorns fleißig Opfer darzubringen.
Ursprünglich genügte statt Astronomie die pure Angst. Frank Hurley, australischer Forschungsreisender, berichtet um 1920 aus Neuguinea vom Stamm der Namau: Dieser wurde mit schrecklichen Bildnissen und Flechtwerken eines gefürchteten Krokodils, Kopiravi genannt, in Schach gehalten. Die Kopiravi standen im Allerheiligsten, eine düstere Hütte voller Fledermäuse. Wer nicht spurte, dem drohten die Hüter der Bildnisse mit Unheil, Krankheit und Tod. Damit hielten, versichert Hurley, "die alten Männer des Stamms die jungen Männer, Frauen und Kinder in Unterwürfigkeit. Auf diese Weise schöpfen die Alten das Fett ab; sie bekommen die besten Fische, Fleischspeisen und Kokosnüsse, die vor den Kopiravi als Opfergabe niedergelegt werden."
Wie viele Religionen mögen wohl auf diese Weise entstanden sein? Mahlzeit!
Literatur:
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