„Religion ist Ehrfurcht "

Von Adolf Stock |
Es gibt unzählige Bücher, die Thomas Manns Werk und seine privaten Seelennöte analysieren oder beschreiben. In dieser Umgebung ist Heinrich Deterings Buch ein Glücksfall, denn es hilft, Thomas Mann auch in seinen letzen Lebensjahren zu verstehen, als er im kalifornischen Exil zu einem humanistisch geprägten Demokraten wurde.
Es gibt sicher andere Schriften, die uns Thomas Mann emotional näher bringen als das jetzt erschienene Buch, aber wer die Irrwege und Zerrissenheiten des Großdichters auch nur in Ansätzen kennt, wird auf Anhieb verstehen, welche Genugtuung es für Thomas Mann sein musste, mit der Hinwendung zu den Unitariern, all das Verworrene und Ungereimte unter einen Hut zu bringen.

Unter dem Dach der Unitarier konnte Thomas Mann viel vereinen: Die Erinnerung an das protestantische Lübeck, die Hoffnung auf einen religiös begründeten Humanismus, aber auch höchst Privates, wie die homoerotischen Tagträume des Dichters, sowie die Ehe mit einer Jüdin, was im Hause Mann nicht allzu gern zum Thema wurde.

Für Thomas Mann standen die Unitarier auch für den amerikanischen Traum, der Mitte des letzten Jahrhunderts im Angesicht des Zweiten Weltkriegs eine politische Hoffnung war. Die Geschichte der Unitarier beginnt Ende des 18. Jahrhunderts in Großbritannien. Die radikalen Reformer glaubten nicht an die Lehre des dreieinigen Gott. Für sie wurde der Jesus der Bergpredigt zum Vorbild.

In Amerika gehörte Thomas Jefferson zu den ersten Unitariern, der in seinen Schriften Moral, Politik und Religion zu einen verstand. Hier liegen die Wurzeln für eine amerikanische Religiosität, die Thomas Mann im kalifornischen Exil so anziehend und überzeugend fand. Eine Haltung, die allerdings gegen die Zumutungen der McCarthy-Ära verteidigt werden musste, damals, als wild gewordene Kommunisten-Jäger das Bild von einem humanen Amerika zu überschatten drohten.

Als Thomas Mann im Exil auf die Unitarier traf, hatten sie sich längst zu einer Glaubensgemeinschaft entwickelt, bei der es mehr um eine humanistische Haltung ging als um einen streng christlichen Glauben.

Detering beschreibt zunächst einen entflammten Wagnerianer, der Religion ganz im Sinne der deutschen Romantik als eine Auseinandersetzung mit dem Tod verstand. Deutsche Todessehnsucht, die sich bis zur Wehleidigkeit steigern konnte. 1971 wurde die Novelle „Tod in Venedig“ zur Steilvorlage für ein melancholisches Film-Epos, in dem sich Regisseur Luchino Visconti mit betörender Mahler-Musik im Hintergrund an Thomas Manns eher dunklen Seiten abarbeiten konnte.

Auch im Kontrast hierzu schreibt Heinrich Detering, wie wichtig Walt Whitman für Thomas Mann werden sollte. Ein Dichter, der sich im 19. Jahrhundert mit unglaublichem Pathos ein stolzes Amerika zusammenreimte. Als Sohn eines Zimmermanns behielt er auch dann noch Bodenhaftung, wenn er Shakespeare oder die alten Griechen las. 1855 waren die ersten Gedichte der Sammlung „Grashalme“ erschienen. Zum Schluss waren es 400 Gedichte, in denen Walt Whitman feiert, was dem späten Thomas Mann so ausnehmend wichtig war: die Einheit von Demokratie, Religion und Humanismus.

„Religion ist Ehrfurcht , – die Ehrfurcht zuerst vor dem Geheimnis, das der Mensch ist“, schreibt Thomas Mann 1947. Die Unitarier haben seine Vorstellungen von Demokratie und Humanität religiös beglaubigt, mit einer weltzugewandten Religion, die Stellung bezog und kämpferisch war.

Dafür war Thomas Mann dankbar. Ein Enkel wurde unitarisch getauft, seine jüngste Tochter wurde unitarisch getraut, und Seelsorger und Freund Stephen Hole Fritchman gab Heinrich Mann das letzte Geleit. Auch Thomas Manns Bruder hat den Unitariern viel zu verdanken. Sie halfen ihm bei der Flucht vor den Nazis. Aus Humanität.

Heinrich Detering: Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im kalifornischen Exil. Mit einem Essay von Frido Mann
Frankfurt am Main 2012, S. Fischer Verlag, 350 Seiten, 18, 99 Euro

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