Warum in Stralsund fast keine Juden leben
Stralsund hat eine reiche jüdische Geschichte. Doch nach dem Krieg hat sich dort nie wieder eine jüdische Gemeinde konstituiert - weil kaum Juden in der Stadt wohnen wollen. Eine Suche nach den Gründen.
Der Alte Markt in der einstigen Hansestadt Stralsund ist breit und einladend. Manchmal kann man Möwen hören, die den Platz überfliegen, zum Hafen ist man in wenigen Minuten von hier aus gelaufen. Stralsund ist Unesco-Weltkulturerbestadt. An den Häusern der historischen Innenstadt und den anderen beeindruckenden Sehenswürdigkeiten sieht man schnell, warum das so ist. Doch es gibt noch ein anderes Stralsund.
"Von der jüdischen Gemeinde in Stralsund, die in den 1930er-Jahren ungefähr 160 Mitglieder zählte, waren direkt nach dem Krieg nur noch sehr wenige Juden in Stralsund übrig geblieben. Ein Großteil von ihnen ist deportiert worden, ein anderer Teil musste emigrieren oder ist untergetaucht."
Das sagt die in Stralsund lebende Judaistin Nadine Garling. Wie die aktuelle Situation heute ist, beschreibt der Fotograf Jörg Zink:
"In Stralsund gibt es meiner Meinung nach vier bis fünf Leute jüdischen Glaubens, mehr nicht."
Für die Neugründung einer Gemeinde braucht es mindestens zehn männliche Juden
Zu diesen vier oder fünf Leuten jüdischen Glaubens zählt auch Jörg Zink. Für ihn ist es nicht leicht, sagt er, seinen Glauben heute aktiv leben zu können. Denn eine Synagoge gibt es nicht, wegen der geringen Personenzahl unter zehn auch keine Gemeinde.
"Ich übe meinen Glauben aus, indem ich, wenn Shabbat ist, nach Rostock fahre, in die Synagoge, und ich versuche es auch hier zu halten in Stralsund."
Doch nach dem Krieg und dem Ende des Nazi-Terrors gab es schon einen Neuversuch zu einer Gemeinde, sagt Nadine Garling.
"Auf die Initiative hin von Heinrich Cohn, einem Textil-Unternehmer, dessen Familie hier in Stargard ein Warenhaus betrieb. Er hat in Berlin überlebt und ist nach dem Krieg mit seiner Familie zurückgekehrt, ist Geschäftsführer des ehemaligen Kaufhauses Wertheim geworden und hat 1947 mit 21 anderen Juden versucht, eine neue Gemeinde zu gründen. Der Versuch der Neugründung scheiterte aber."
Grund war und ist, für die Neugründung einer Gemeinde braucht es eine Minjan, also zehn männliche Juden.
"Und angeblich waren unter den 22 Juden nicht ausreichend männliche Mitglieder. Das müsste man nachprüfen im Stadtarchiv."
Doch im nahen Rostock etwa gelang es 1992 eine neue jüdische Gemeinde anzusiedeln. Und davor schon, Ende der 1940er-Jahre, in Schwerin.
"Auch dort war es schwierig, und heute gibt es in Schwerin eine florierende Gemeinde mit nahezu 900 Mitgliedern."
Mit der Kippa durch die Stadt laufen? Lieber nicht
Doch auch wenn es bislang nicht gelang, Juden nach Stralsund zu holen, so ist die Stadt aufmerksam, was ihre jüdische Vergangenheit angeht. Als Beispiel dafür führt Rolf-Peter Zimmer, Präsident der Bürgerschaft in Stralsund, die über 50 Stolpersteine an, die man überall sieht.
"Diese Aktion gibt es seit 2006. Und da kommen jedes Jahr immer neue dazu. Wir haben die Stele, die hier im Johanniskloster steht. Und den jüdischen Friedhof, der jüdische Friedhof wird auch von der Stadt gepflegt und finanziell unterstützt. Der ist 2006/2007 vollkommen neu renoviert worden. Wir haben ja noch die Plakette an dem Standort, wo früher die Synagoge war, und die ist ja gleich nachdem wir sie angebracht hatten, ein halbes Jahr später gestohlen worden. Und die ist erneuert worden."
Jörg Zink, der maßgeblich an der Stolpersteinverlegung beteiligt ist, sagt, dass man ihn seitens der Verwaltung immer dabei unterstützt hat.
"Also wenn die Stolpersteinverlegung dran ist, Datum steht fest, dann schicken die auch Leute hierher, Bauamt, die die Löcher ausheben und auch wieder zumachen. Und das funktioniert."
Und doch, auf die Frage hin, ob er mit der Kippa durch die Altstadt laufen würde, schüttelt Jörg Zink bedächtig den Kopf.
"Weiß ich nicht, ich glaube eher nicht. Das ist das Problem hier, Vorurteile, da würden wahrscheinlich dumme Sprüche kommen von den Leuten, auch von den Stralsundern, die ich kenne. Haben sie mir auch so schon ins Gesicht gesagt. Das war im Zusammenhang mit den Stolpersteinen. Da wurde mir gesagt: 'Die Israelis sind ja nicht viel besser als die Nazis. Die haben den Eichmann einfach verhaftet, einfach so.' Alles solche Dinge. Das sind manchmal Blicke, Wörter, die verletzen. Und deswegen mit der Kippa rumlaufen in Stralsund, weiß ich nicht."