Daddeln und trauern
In World of Warcraft gibt es auf einer Insel einen Gedenk-Hain für den verstorbenen Schauspieler Robin Williams. Und auch in anderen virtuellen Welten wird immer öfter an real existierende Weggefährten erinnert oder religiöse Symbole tauchen auf.
"Das US-Konsulat total verwüstet und ausgebrannt. Aufgebrachte und fanatisierte Lybier hatten das Gebäude gestern Nacht gestürmt."
12. September 2012. In Benghazi, Libyen, fällt ein aufgebrachter Mob in das US-Konsulat ein. Vier Amerikaner kommen ums Leben. Unter den Toten ist auch Sean Smith, ein Mitarbeiter des diplomatischen Corps. Zwei Tage nach dem Angriff werden die Leichname in der Andrews Air Force Base vom damaligen Präsident Obama und seiner Außenministerin Clinton in Empfang genommen.
Sie werden "VileRat" vermissen
Clinton schließt in ihrer Rede nicht nur Smiths Familie, Freunde und Kollegen in dieser Welt ein, sondern betont den Verlust, der sein Tod für seine zahllosen Partner, Gegner und Mitspieler in einer virtuelle Welt bedeutete. Smith war nicht nur im realen Leben Diplomat, auch in der virtuellen Science-Fiction Welt von "EVE Online" war er ein Meister der kniffligen Verhandlungen, geheimen Absprachen und überraschender Coups. Unter dem Namen "VileRat" spielte er gemeinsam mit anderen um Macht und Reichtum.
Als der Tod Sean Smiths in der EVE Community bekannt wurde, waren viele Spieler geschockt und trauerten. Durch seine zentrale Rolle hatten sehr viele Spieler regelmäßig Kontakt zu ihm, Gegner wie Mitstreiter schätzten ihn gleichermaßen. Da in den Programmcode von "EVE Online" keine Möglichkeit eingebaut ist, Trauer auszudrücken, nutzten die Spieler die im Spiel zur Verfügung stehenden Werkzeuge und widmeten sie um.
"Also ein Weg war, dass sich die Spieler versammelt haben und dann sogenannten Cynos angezündet haben. Das ist so ein In-Game Item, [..] wie so ein Leuchtfeuer, das kann man auch relativ weit sehen, und hat eben ‘nen sehr starken graphischen Effekt."
Tobias Knoll ist Religionswissenschaftler an der Universität Heidelberg. Sein Institut beschäftigt sich intensiv mit der Wirkung von religiösen Themen, Symbolen, und Traditionen in neuen Medien, auch Computerspielen. Der Fall Sean Smith war für die Religionswissenschaftler besonders aufschlussreich.
"Und diese Cynos wurden dann wirklich en masse, also wirklich zu hunderten, zu tausenden wurden diese Cynos angezündet, um eben wie so’n Leuchtfeuer zu dienen, und gleichzeitig wie ‘ne Kerzenwacht. Also das sagen die Spieler von "EVE Online" auch selber, wenn man ein Cyno anzündet ist das wie wenn man ‘ne Kerze anzündet für jemanden. Zumindest sagen das die Spieler, seitdem sie das gemacht haben für Vile Rat."
Gedenkstätte im Computerspiel
Oliver Steffen, Religionswissenschaftler an der Universität Bern:
"Also das ist bekannt, diese Trauerrituale, auch in anderen Spielen, ich kenne es aus, z.B. auch aus World of Warcraft, wo einfach auch Spielkameraden, wenn jemand aus ihrer Gruppe stirbt, also im realweltlichen Leben stirbt, die dann etwas unternehmen, in diesem Spiel, zu seinen Ehren, zu seinem Gedenken sozusagen.
Also die lassen dann ihre Figuren irgendwelche spezielle Kleidung tragen, lassen sie irgendwelche Handlungen ausführen, also z.B. irgendwelche magischen Tricks ausführen, und das sind ja eigentlich Spielelemente die da genutzt werden, die nicht speziell designed worden sind für irgendeine Trauerfeier. Und die werden dann sozusagen umfunktioniert für das."
Mittlerweile bietet World of Warcraft sogar die Möglichkeit, die Avatare − also die "Spielfiguren" verstorbener Mitspieler – als Gedenkstätte in dieser Fantasy-Welt aufzustellen. Bekanntestes Beispiel: Dem begeisterten World of Warcraft-Spieler Robin Williams ist ein Gedenk-Hain auf einer kleinen Insel südlich von Grommashar in Nagrand gewidmet. Das Phänomen "Religion in Computerspielen" ist aber nicht auf Trauerrituale begrenzt, wie Tobias Knoll erklärt:
Gott verleiht Tiefe
"Jetzt ist Religionswissenschaft aber ‘ne empirische Wissenschaft, d.h. wir wollen uns mit was auseinandersetzen, das greifbar ist, also wir wollen Sachen haben die nachweisbar sind, die validierbar sind oder die auch eben widerlegt werden können, (…) D.h. wir müssen schauen, wo kann man sich da an ‘ne Religion annähern. Und da wo Religion tatsächlich sichtbar und greifbar wird ist vor allem das Element Kommunikation. Da wo über Religion gesprochen wird und sich mit Religion auseinandergesetzt wird, da können wir sehen und greifen wie einzelne Menschen, aber auch Gruppen von Menschen Religion verstehen, und wie sie Religion leben."
Oliver Steffen hat das Buch "Gamen mit Gott" geschrieben, in dem er untersucht, wie Religion in Computerspielen auftaucht. Er beschreibt, dass die Darstellung religiöser Praktiken oder Bilder oft genutzt wird, um der jeweiligen Spielwelt eine größere Tiefe zu verleihen. Vor allem in Fantasy-Spielwelten bietet sich die Einbindung spiritueller Elemente an. Wenn es da keine Magier und Priester gibt, fehlt etwas. Aber natürlich kommen auch "echte" Religionen in Spielen vor, sagt Oliver Steffen:
"In Mainstream Games, wenn es um realweltliche, traditionelle Religion geht, dann wird die häufig als Parodie oder als Feindbild gezeigt. Also denken wir an die bekannte Actionspielreihe ´Assassin‘s Creed`, also Religion funktioniert hier quasi als ein Deckmantel für eine Verschwörung, die von diesem sagenumwobenen Geheimorden der Templer ausgeht. Wenn man Religion eher in das Regelwerk eingebunden sieht, das wär in diesen Strategiespielen, Aufbauspielen wie ´Anno 1404` beispielsweise, dann trägt sie eher zur Optimierung bei, von irgendwelchen spielrelevanten Werten und Ressourcen."
Gewinnen für Gott
Eine völlig andere Dimension hat es, wenn religiöse Praktiken von den Spielern in ein Game hineingetragen werden. Das können die beschriebenen Trauerfeiern oder Gedenkstätten sein. Andere gehen da noch viel weiter, weiß Oliver Steffen:
"Ich würde schon sagen, dass Gaming ganz klar auch eine religiöse Handlung sein kann, aber das entscheide jetzt nicht ich als Religionswissenschaftler, sondern das entscheiden natürlich die Spielenden. Also es gibt bspw. christliche Spieleclans, die sich das Spielen und Gewinnen in Onlinegames für Gott, oder für Jesus, auf die Fahne geschrieben haben. (…) Das wird teilweise mit biblischen Angaben begründet, also z.B. mit Paulus, der diese Wettkampfmetapher ziemlich stark betont an einer Stelle jedenfalls wo er sagt es geht eben darum zu trainieren, zu üben, sich zu messen, um eine unvergängliche Krone dann auch zu gewinnen."
Atmosphärisches Accessoire
Diese Sichtweise ist natürlich auf einen kleinen Kreis Gamer begrenzt Trotzdem, da sind sich die Religionswissenschaftler einig, ist Religion in virtuellen Welten genau so allgegenwärtig wie in der Realwelt, für junge Gamer vielleicht sogar noch viel präsenter: Sie wird als atmosphärisches Accessoire eingesetzt, sie symbolisiert Geschichte, sie bietet Rituale, die angesichts von Tod und Krankheit Trost spenden. Religionswissenschaftler Oliver Steffen sieht darin auch eine Chance:
"Und eine Religion, die es sich zur Aufgabe macht, gerade junge Menschen in viele ihrer Lebensbereiche zu begleiten, dann macht das Sinn ja, sich diesem Thema zuzuwenden. Und man hat dann natürlich hier auch die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler über Games, und über Religion in Games, nachdenken zu lassen. Und das ist etwas was Computerspielerinnen und Computerspieler häufig nicht wirklich tun."