Religion im Zeitalter der Globalisierung

Von Stefanie Oswalt |
Die Bahá'í - die Anhänger einer vergleichsweise jungen Religion - sind liberal, sie predigen die Nächstenliebe, verfolgen eine humanitäre Vision sozialen Fortschritts und pochen auf Gewaltfreiheit und Gleichberechtigung. Zugleich integrieren sie Verstand und Wissenschaft in ihrem Glaubensgebäude. Das scheint ein Bedürfnis unserer Zeit zu treffen, denn ihr Glaube findet weltweit regen Zulauf.
Der Karmelberg in Haifa. Blau in Blau verschwimmen Meer und Himmel am Horizont. Am Ende der Bucht liegt die ehemalige Kreuzfahrer-Stadt Akko, wo der Stifter der Bahá'í-Religion Bahá'ull'áh 1892 in Gefangenschaft starb. Am Eingang der Bahá'í-Gärten drängen sich Pilger und Touristen.

"Dass wir hier in Haifa sind, ist gewissermaßen ein Unfall der Geschichte. Bahá'ull'áh war in Teheran, er verkündete, ein Bote Gottes zu sein und sie verbannten ihn nach Akko, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Deshalb ist hier unser Weltzentrum, unser geistiges und administratives Zentrum ..."

Sally Weeks. Die Amerikanerin hat vor drei Jahren ihren Journalisten-Job bei einem Provinzblatt aufgegeben und ist ans Weltzentrum der Bahá'í nach Haifa gekommen. Nun führt sie Kollegen aus aller Welt durch den paradiesischen Garten hinunter zum Schrein des Bab, dem wichtigsten Heiligtum der Bahá'í. Mit seiner goldenen Kuppel gilt es längst als Wahrzeichen Haifas. Sally Weeks möchte, dass mehr Menschen von den revolutionären Lehren Bahá'ulláhs und seines Vorläufers, des Bab, erfahren.

"Der ganze Zweck des Bahá'í Glaubens ist es, die Religionen zu vereinen. Wir glauben, dass die Gründer der Hauptreligionen alle Boten des gleichen Gottes sind – sei es nun Jesus, Moses, sei es Moses, Mohammed, Krishna oder eben Bahá'u'lláh... Wir erkennen alle diese Religionen als wahre Religionen an."

Bahá'u'lláh, erklärt Sally Weeks, sei quasi ein Update von Judentum, Christentum und Islam. Weil sich die Menschheit durch Wissenschaft und Technik weiter entwickelt habe, so der Glaube der Bahá'í, sandte Gott den Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts einen neuen Offenbarer für die Anforderungen der modernen Welt. Weil auch die sich weiterentwickelt, sei in etwa 1000 Jahren mit einer weiteren Manifestation Gottes zu rechnen.

"Bahá'ulláh geht davon aus, dass die Menschen heutzutage angehalten sind dazu, selbstständig nach der Wahrheit zu suchen. Das heißt die Menschen haben die Reife, jeder für sich, individuell, die Wahrheit zu finden und der Klerus, beispielsweise die Mullahs im Iran, wird dadurch obsolet ... Das alleine schon, dass die Priesterschaft aufgehoben wird, ist eine Riesenrevolution in allen Religionen, aber vor allem in der islamischen Welt."

Sagt Sasha Dehghani, Religionswissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin. Doch die Lehren der Bahá'í Religion bergen noch weiteren Zündstoff, wissen Peter Amsler und Alinah Kazemzadeh vom Geistigen Rat der Bahá'í in Berlin:

"Vor allem ihre eher humanistisch-aufklärerischen Werte. Zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Bahá'í sind nicht verschleiert. Wir haben keine Geschlechtertrennung, wenn wir uns treffen."

Kazemzadeh_"Es gibt auch in den Bahá'í-Schriften die Aussage ... dass wenn es in einer Familie Kinder – also einen Jungen und ein Mädchen gibt und die Familie nur Geld hat, um ein Kind finanziell zu unterstützen oder ausbilden zu lassen, sollte man das Mädchen ausbilden, weil sie die Ausbilderin oder die Erzieherin der nächsten Generation ist."

Dass die Bahá'í durch diese neuen Lehren in Konflikt mit dem Islam geraten, wundert Religionswissenschaftler Dehghani nicht:

"Alle großen Religionen haben untereinander diese extremen Reibungspunkte in dem Geburtsmoment ... Im Falle der Bahá'ís ist es ganz ähnlich wie im frühen Christentum. Das heißt, wir sind jetzt im Jahr 160 nach Bahá'u'lláh – also vom Kalender - und diese 160 Jahre waren die Bahá'í im islamischen Raum eigentlich kontinuierlich verfolgt."

Was "Verfolgung" konkret heißt, war unlängst auf einer Demonstration für Bürgerrechte im Iran vor dem Brandenburger Tor zu erfahren. Exiliraner und Bahá'í forderten hier gemeinsam die Freilassung von sieben führenden Bahá'í, die seit zwei Jahren im Iraner Evin-Gefängnis unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden und auf eine Verurteilung warten. Ingo Hoffmann, Sprecher der Bahá'í in Deutschland für Menschenrechtsfragen:

"Es gab im 19. Jahrhundert Zehntausende von Menschen, die umgebracht wurden und seit der islamisch-iranischen Revolution ist also die Verfolgung wieder ganz intensiv betrieben worden ... und seit Ahmadinedschad an der Regierung ist, wurden also die Schrauben immer enger gezogen und die Bahá'í sind eigentlich vogelfrei im Iran ... Bahá'í haben keine Hochschulerlaubnis. Es werden Friedhöfe zerstört."

Sasha Dehghani floh als Sechsjähriger mit seiner Bahá'í-Familie aus Teheran nach Deutschland. Das war 1980, ein Jahr nach dem Sturz des Schahs.

"Wir sind enteignet worden, was die Häuser angeht, wir haben Familienmitglieder, die im Gefängnis vor diese Wahl gestellt wurden, zum Islam rückzukonvertieren oder dass sie getötet werden, haben wir auch Familienmitglieder zu diesem Zeitpunkt verloren."

300.000 Bahá'í leben heute unter schwierigen Bedingungen im Iran. Aber längst hat sich die Religion aus dem islamischen Raum heraus über die ganze Welt verbreitet. 5,2 Millionen Bahá'í verzeichnet das 2009 erschienene "Bahá'í-Handbuch" des Bonner Religionswissenschaftlers Manfred Hutter. Vor 50 Jahren gab es nur 213.000 Bahá'í weltweit. Heute sind es je eine Million in Nordamerika und Afrika und drei Millionen in Asien. Hutter verweist auf enorme Missionserfolge in den Ländern der Dritten Welt, vor allem in Bolivien, Uganda und Indien. Hier fallen die Lehren Bahá'u'lláhs, seine Aufforderung zur Bildung und Erziehung, um die Menschen ethisch aber auch wirtschaftlich weiter zu bringen, auf besonders fruchtbaren Boden. So initiieren die Bahá'í etwa Frauenförderungsprojekte in Indien, gründen in Kolumbien Schulen im ländlichen Raum, um die Landflucht zu stoppen. Wie alle Projekte der Bahá'í stehen sie Angehörigen aller Konfessionen offen.

Auch in Deutschland wachsen langsam die Gemeinden. Etwa 6.000 Bahá'í gibt es hierzulande, Exiliraner sind darunter, aber auch viele Deutsche. Tendenz steigend. Einer von ihnen ist Alexander Blom, 28 Jahre, Filmstudent und im Augenblick in Elternzeit.

"Es gibt keinerlei Riten, wie es ja eben auch keinerlei Klerus gibt, der eine bestimmte Religiosität vorgibt oder vorlebt. Die Kultur, die sich in einer Gemeinde entwickelt, die entsteht eben nur aus der Vielfalt der Gemeindemitglieder."

Weil Bahá'í bis auf wenige Ausnahmen keine institutionalisierten Andachtsräume haben, treffen sie sich meistens privat zur Feier der 19-Tage-Feste oder zu ihren Andachten. In Berlin Kreuzberg etwa versammeln sich jeden Mittwoch 10 bis 20 Gläubige in der Altbauwohnung von Familie Blom. Sie singen und lesen sich gegenseitig aus den Heiligen Schriften Bahá'u'lláhs vor.

"Oh du gütiger Herr, vereinige alle. Gib, dass die Religionen in Einklang kommen und vereinige die Völker, auf dass sie einander ansehen wie eine Familie und die ganze Erde wie eine Heimat. Oh, dass sie doch in vollkommener Harmonie zusammenlebten. Oh Gott, erhebe das Banner der Einheit der Menschen. Oh Gott, errichte den größten Frieden. Schmiede du, oh Gott, die Herzen zusammen."

Nur durch den Kontakt mit anderen Menschen werde es zu der von Bahá'u'lláh verheißenen Einheit aller Menschen kommen, glaubt Alexander Blom. Und durchs Tun, fügt Peter Amsler hinzu.

"Alles, was ich tue für das Gemeinwohl, für Dinge, die größer, die wichtiger sind als ich selbst, für meine Familie, für mein Gemeinwesen, in der Arbeit, das ist auch ... ein Äquivalent wirklich zum Gottesdienst. Worte gibt es viele... Und in den Schriften heißt es immer wieder: Die Menschheit ist müde, immer wieder diese schönen Worte zu hören. Die Menschheit will Taten sehen."