Ich glaube nicht
Was in westlichen Gesellschaften kaum ein Achselzucken hervorruft, ist in Pakistan tabu: Wer öffentlich bekennt, dass er vom Glauben abgefallen ist, riskiert in der islamischen Republik seine Reputation - und sein Leben.
Koranrezitationen überschallen das Gewusel im Bazar von Karachi, die beliebten Kassetten mit den frommen Botschaften kosten nur ein paar Rupien – in der Islamischen Republik Pakistan ist Religion nicht auf Moscheen beschränkt, sie durchdringt den Alltag.
Für den jungen Mann, der sich das Pseudonym Hazrat NaKhuda – zu deutsch Sankt Ungott - zugelegt hat, waren solche Rezitationen vor gar nicht so langer Zeit die einzigen Aufnahmen, die er sich anhörte.
"Als Junge war ich sehr gläubig. Ich bin in Saudi-Arabien zur Welt gekommen und habe dort die ersten 17, 18 Jahre meines Lebens verbracht. Zweimal bin ich nach Mekka gepilgert, zwanzig Jahre lang habe ich fünf Mal täglich gebetet, mit 13 habe ich angefangen, den Koran auswendig zu lernen, der Koran war meine erste Lektüre überhaupt."
Sein Freund, der aus Angst vor Repressalien seinen wahren Namen ebenfalls nicht nennen will und hier Nawaz heißen soll, wurde in Pakistan groß, seine Kindheit verlief ähnlich:
"So wächst man in Pakistan eben auf: Man selbst ist Muslim, der Nachbar ist Muslim und alle anderen sind ebenfalls Muslime."
... nämlich schätzungsweise 95 Prozent der pakistanischen Bevölkerung. Doch Hazrat und sein Freund Nawaz zählen sich nicht mehr dazu. Die beiden haben sich vom Islam abgewandt. Eine Wandlung, die in Pakistan Mut erfordert.
Wir treffen uns in einem Café in der Großstadt Lahore. Auf dem Menü stehen Fettuccine Alfredo und Chocolate Brownie Shake, die Klientel trägt Jeans und T-Shirt, es sind junge Leute der gebildeten Mittelschicht, genau wie die beiden Ingenieure.
Hier kommen sie manchmal mit Gleichgesinnten zusammen, abseits in der Raucherecke. Nur Nichtgläubige unter sich. Viel öfter treffen sie sich aber im Internet. Die Facebook-Gruppe "Pakistani Atheists and Agnostics" besteht aus Studenten, Wissenschaftlern, politischen Aktivisten.
Hazrath NaKhuda hat die Gruppe gegründet:
"Ich dachte anfangs, ich sei der einzige Atheist in Pakistan. Im Internet schrieben vor allem Westler für ein westliches Publikum. Es gab so gut wie nichts von Pakistanern für Pakistaner."
"Ich sehe keinen Beweis für die Existenz Gottes"
Inzwischen hat die Facebook-Gruppe mehr als 1100 Mitglieder – Agnostiker, die ohne Gottes-Beweise nicht glauben können, und Atheisten, die per se die Existenz eines höheren Wesens bestreiten – sie alle diskutieren rege, vor allem über ihre Motive, sich vom Glauben abzuwenden.
"Ich bin Agnostiker, weil ich ganz einfach so gut wie keinen Beweis für die Existenz Gottes sehe."
"Mir haben konfessionelle Differenzen, Sektiererei und der Umgang mit Frauen schon immer zu Denken gegeben. Dass die Religion die Benachteiligung von Frauen gutheißt, bestürzt mich. Religion wird vom Patriarchat dominiert, sie ist ein Werkzeug der Männer, um Frauen zu kontrollieren."
"Ich wurde als Atheist geboren, so wie alle anderen Menschen, dann begannen meine Eltern, mich mit Religion zu korrumpieren. Jedes Kind wird frei und rein geboren."
Offene Worte in einer geschlossenen Gruppe. Was in westlichen Gesellschaften kaum ein Achselzucken hervorruft, ist in Pakistan tabu. Wer öffentlich bekennt, dass er vom Glauben abgefallen ist, riskiert in der islamischen Republik seine Reputation und sein Leben.
Der 29-jährige Hazrat NaKhuda kann sich heute nicht an einen konkreten Auslöser für seine Abkehr von der Religion erinnern, irgendwann hätten sich einfach leise Zweifel an der Ausschließlichkeit des Islam eingestellt, die sich zu starker Skepsis an der Existenz Gottes auswuchsen.
Nawaz ging es ähnlich, ein Studienaufenthalt in Großbritannien habe ihm die Augen geöffnet:
"In England erlebte ich zum ersten Mal eine multikulturelle Umgebung, ich traf alle möglichen Leute jeden Glaubens, von überall her. Das Bild, das einem in Pakistan eingeimpft wird, dass nämlich Nicht-Muslime so was wie Dämonen sind, das ging sofort zu Bruch."
Die Lektüre von Richard Dawkins hat die beiden Freunde in der Abkehr von der Religion bestärkt. Der britische Biologe und überzeugte Atheist argumentiert auf empirisch naturwissenschaftlicher Basis gegen theistische Glaubensformen – also gegen den Glauben an Götter – und hat so in Pakistan viele Anhänger gewonnen. Die Website seiner Stiftung ist inzwischen gesperrt, seine Bücher jedoch weiterhin erhältlich.
Nawaz bezeichnet sich heute als Agnostiker, sein Freund Hazrat NaKhuda verneint die Existenz Gottes vehement. Doch der Bruch mit dem Islam fiel ihm emotional sehr schwer:
"Als ich schon ziemlich davon überzeugt war, dass es keinen Gott gibt, wollte ich immer noch diese Sicherheit, dass ein Allmächtiger über mich wacht. Ich weiß noch, wie ich damals weinend in eine Moschee lief und zu beten versuchte und wie sich immer wieder eine innere Stimme meldete und sagte: Wem zum Teufel machst Du eigentlich was vor?"
Theoretisch kann der Unglaube mit dem Tod bestraft werden
Sich selbst und seiner Familie wollte er nichts mehr vormachen, trotz des Risikos. Es ist schon vorgekommen, dass Familien einen Glaubensabtrünnigen verstoßen haben. Doch Hazrats engste Verwandte akzeptieren seine Entscheidung, auch seine Ehefrau, die er als liberale Muslimin bezeichnet. Ihre Kinder sollen sich einmal selbst für oder gegen die Religion entscheiden können:
"In Pakistan werden sie reichlich religiöser Indoktrination ausgesetzt sein. Islamunterreicht ist in jeder pakistanischen Schule Pflicht. Davon werden die Kinder also genug haben, sie werden auch wissen, dass ihr Vater nicht gläubig ist, ihre Mutter aber sehr wohl. Das sollte von Anfang an Zweifel säen. Aber ich werde sie ihren eigenen Weg gehen lassen."
Das gesellschaftliche Umfeld in Pakistan ist allerdings deutlich weniger tolerant. Die Sharia schreibt für Muslime, die vom Glauben abfallen, die Todesstrafe vor. Und auch im pakistanischen Recht kann Apostasie als Blasphemie gedeutet werden, und steht so unter Strafe.
Der Anwalt Shegan Ijaz betreibt eine Kanzlei in Lahore. Den Paragrafen 295 des pakistanischen Strafgesetzbuches, der den Vorwurf der Gotteslästerung regelt, muss er nicht lange suchen.
"295 a: wer vorsätzlich und böswillig handelt, um die religiösen Gefühle Anderer zu verletzen, indem er ihre Religion oder ihre religiösen Überzeugungen verletzt, dem drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Oder 295 c: regelt den Gebrauch abfälliger Äußerungen bezüglich des Heiligen Propheten, darauf steht Todesstrafe oder lebenslange Haft."
Hazrat NaKhuda, zu deutsch "Sankt UnGott", könnte sich allein schon mit der Wahl seines Pseudonyms strafbar machen; dass er und seine Freunde von den Pakistanischen Agnostikern und Atheisten aus Spaß am ersten April den Geburtstag Gottes begehen, bringt sie ebenfalls in Konflikt mit pakistanischem Recht.
Die Rechtslage allerdings halte ihn nicht davon ab, sich öffentlich zu seiner Weltanschauung zu bekennen oder sich mit seinem echten Namen zu äußern, sagt Hazrat, schließlich kenne er gute Anwälte, außerdem sei in Pakistan noch nie jemand, der dem Glauben abgeschworen hat, von Staats wegen gehenkt worden.
"Aber schon in der ersten Nacht im Gefängnis würde mich wahrscheinlich entweder ein Mithäftling oder einer der Wärter umbringen. Man müsste mich in Einzelhaft stecken, damit ich überlebe. Aber wenn ich dann doch freikäme, würde ich auf der Straße erschossen werden."
Selbst Anwälte überlegen sich, ob sie die Verteidigung eines Blasphemie-Beschuldigten übernähmen, aus Angst, selbst in die Schusslinie des Mobs zu geraten.
Noch einmal der Jurist Shegan Ijaz:
"Blasphemie in zweifellos ein Vergehen, aber in Pakistan wird dieses Gesetz benutzt, um Interessen durchzusetzen. Es ist missbraucht worden, auch von Klerikern. In Pakistan reicht meist schon der Vorwurf der Gotteslästerung zur Verurteilung. In den Augen der breiten Bevölkerung gilt allein der Vorwurf schon als Beweis, dass jemand den Akt verübt hat. Und wenn er ihn verübt hat, dann muss er bestraft werden."
Auch nach Erkenntnissen der pakistanischen Menschenrechtskommission wird der Vorwurf der Gotteslästerung oft aus Gründen erhoben, die mit der Beleidigung des Propheten oder des Koran überhaupt nichts zu tun haben, sagt ihr Generalsekretär I A Rehman:
"Nach unserer Erkenntnis werden Blasphemie-Verfahren in vielen Fällen angestrengt, um persönliche Rechnungen zu begleichen, um Konkurrenz auszuräumen oder aus konfessionellen Differenzen."
Was tut die Regierung gegen den religiösen Extremismus?
Die Gesetze stammen aus Zeiten der britischen Kolonialherrschaft, Militärdiktator Zia ul Haq verschärfte sie im Zuge seiner Islamisierung des öffentlichen Lebens in den 1980er-Jahren. Seither steht auf die Beleidigung des Propheten oder des Koran die Todesstrafe.
Worin eine solche Beleidigung besteht, legt das Gesetz nicht eindeutig fest. Damit ist es Wasser auf den Mühlen islamischer Fundamentalisten. Immer öfter geraten Hindus, Christen, Ahmadiyya und schiitische Muslime, eine Minderheit in Pakistan, ins Visier der Extremisten und müssen Selbstjustiz fürchten.
Doch nach Einschätzung des Menschenrechtlers Rehman wird sich daran wenig ändern, weil die Regierung sich dem religiösen Extremismus nicht stelle.
"Die Regierung hat gar nicht die Mittel, um sich die Militanten vorzunehmen. Und die extreme Welle der Intoleranz hat Sympathisanten und Unterstützer überall im Lande."
Pakistans Politiker fürchten wohl, dass sie dasselbe Schicksal erleiden wie Salman Taseer. Der Gouverneur des Bundesstaates Punjab wurde 2011 von einem Leibwächter ermordet, weil er die Überarbeitung der Blasphemie-Gesetze forderte. Sein Mörder wurde sogar von manchen Anwälten bejubelt. Die fundamentalistische Parallelgesellschaft, die den konsequenten Umbau von Staat und Gesellschaft Pakistans betreibt, hat längst die Mittelschicht erreicht.
Die Abwendung vom Islam sei jedoch selten eine Reaktion auf den anschwellenden Extremismus und die damit einhergehende Intoleranz in Pakistan, sagt der Atheist Hazrat NaKhuda. Sein Freund Nawaz pflichtet ihm bei, wendet aber ein:
"Der Extremismus gibt uns schon das Gefühl der Dringlichkeit. Dass wir etwas dagegen tun müssen. Wir setzen uns mit Gleichgesinnten zusammen, auch mit gleichgesinnten Muslimen. Aber es ist sehr frustrierend: Je schlimmer es wird, desto mehr will man was machen, weiß aber nicht wie."
So müssen Pakistans Agnostiker und Atheisten ihre Weltanschauung weiterhin verbergen. Es ist eine Gratwanderung, wenn man sich dem Zwang zur Religionsausübung nicht beugen will wie Hazrat NaKhuda.
"Neulich frage mich ein Kollege: Warum gehst Du eigentlich nie zum Freitagsgebet, ich sehe Dich da nie, Du bleibst immer am Schreibtisch, was ist los?"
Hazrat wurde den Mann mit einem Witz los. Doch solche Frömmigkeitskontrolle ist ebenso unangenehm wie die ständige Selbstverleugnung.
Vor allem an hohen Feiertagen und im Ramadan treffen die Mitglieder der Facebook-Gruppe sich deshalb auch real. Irgendwie sind wir wie die Anonymen Alkoholiker, scherzt Nawaz zum Abschied:
"Es ist eine Selbsthilfe-Gruppe, denn ob wir es zugeben oder nicht, es geht an die Substanz, wenn man nicht man selbst sein darf, wenn man sich jeden Satz genau überlegen muss, wenn man vor den meisten Menschen nicht 100 Prozent man selbst sein darf."