Religion geht durch den Magen

Von Gerald Beyrodt |
Liebe geht durch den Magen und Religion auch. Die Ausstellung "Koscher und Co" im Jüdischen Museum in Berlin thematisiert die Besonderheiten jüdischen Essens - mit Seitenblicken auf andere Religionen.
Koscher leben bedeutet: trennen. Milchiges von fleischigem Essen zu trennen, denn beides darf nicht bei derselben Mahlzeit gegessen werden. Und koscher bedeutet: Erlaubte von verbotenen Speisen zu trennen. Erlaubt sind zum Beispiel geschächtetes Rindfleisch, Gemüse und zahlreiche Fischsorten. Verboten sind unter anderem Kaninchen und Schweinefleisch.

Wasser steht am Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte: Gott trennt das Urmeer von dem Land. Er trennt Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Wochentage und Schabbat. Wer koscher lebt, erinnert sich jeden Tag an den jüdischen Grundsatz der Unterscheidung.

Die Ausstellung "Koscher und Co" im Jüdischen Museum Berlin zeigt, was Juden am Neujahrstag Rosch ha-Schana essen: nämlich Granatapfel. Der ist so süß, wie das neue Jahr werden soll. Die vielen Kerne sollen außerdem an die 613 Gebote in der Tora erinnern. Zu sehen sind spezielle Teller, die Juden verwenden, wenn sie sich beim Pessachfest an den Auszug aus Ägypten erinnern. Darüber hinaus werden weitere Gebrauchsgegenstände gezeigt wie Wasserbecher für das Ritual des Händewaschens vor der Mahlzeit oder auch Schächtmesser. In zahlreichen Videos erklären Juden ihren Alltag, leider oft in problematischer Tonqualität. Hier ein koscherer Schlachter. Er erklärt, dass das Schächtmesser immer scharf sein muss, um die Tiere zu schonen.

Yakubov: "In unser Glaube ist verboten, Tiere zu schlagen, und zweitens, die Tiere wehtun. Deswegen das Messer muss scharf und glatt sein. Dieses Messer man kann nicht hier kaufen, es ist nur in Israel speziell produziert."

Zahlreiche koschere Produkte werden industriell gefertigt: etwa koschere Gummibärchen, koschere Zahnpasta und koscherer Frischkäse. Herkömmliche Produkte können zum Beispiel Schweinegelatine oder andere unkoschere Fleischreste enthalten.

In Ländern wie den USA und Israel sind alle koscheren Lebensmittel mit einem Zeichen versehen. Wie Juden in Deutschland einkaufen, weiß Kuratorin Michal Friedlander:

"Hier in Deutschland, wenn man genau kuckt, sieht man einige Produkte, wo ein Koscher-Stempel sich versteckt. Zum Beispiel auf Cornflakes, sieht man das auf der Seite, wenn man kuckt, auf Heinz Ketchup und auch auf Underberg. Aber weil es gibt nicht so viel Bedarf und nicht so viele Juden in Deutschland, es gibt eine Koscherliste, und die Rabbiner in Deutschland haben sich zusammengesessen und entscheiden, welche Produkte koscher sind. Man hat die auf die Liste und dann man kuckt nach. Man hat das schon im Kopf, wenn man täglich einkaufen geht."

Heutige Jüdinnen und Juden gehen höchst unterschiedlich mit den Speisegesetzen um: Manche achten fast gar nicht auf eine koschere Lebensweise. Andere nur zeitweilig. Manche verzichten lediglich auf Schweinefleisch. Andere leben vegetarisch. Wieder andere haben zwei Spülmaschinen und getrenntes Geschirr, damit Milchiges und Fleischiges auf keinen Fall miteinander in Berührung kommen. Sie könnten sich im Leben nicht vorstellen, etwas Unkoscheres zu essen.

Wo die Speisegesetze herkommen, zeigt die Ausstellung auch. Zahlreiche Tora- und Talmudzitate finden sich an den Wänden. Ein eigener Raum zum Thema Opfer befasst sich vor allem mit den Ritualen im Tempel im alten Jerusalem. Den zerstörten die Römer vor fast 2000 Jahren. Seit dieser Zeit hat sich das Judentum grundlegend verändert. Während nur ausgewählte Menschen den Tempel betreten konnten, nämlich Priester, sind Synagogen für jedermann offen. Das Wort Synagoge bedeutet schlicht: Versammlungsort. Einen eigenen Priesterstand gibt es nicht mehr - nur gemeindliche Lehrer: Rabbiner. Die Priester im Tempel opferten Tiere. Die Gemeindemitglieder in der Synagoge beten: allerdings zu den alten Opferzeiten des Tempels. Heute soll jedes jüdische Heim ein eigener Tempel sein. Immer noch nehmen viele Speisevorschriften Bezug auf die Zeit des Tempels. Michal Friedlander:

"Zu den Schabbat-Mahlzeit und zu festlichen Mahlen wird Challa-Brot gegessen und es gibt viele Ritualen, die man macht, die irgendwie einen Zusammenhang zum Tempel in der Antike haben. Zum Beispiel man tunkt das Brot in Salz und die Speiseopfer waren damals auch gesalzt. Und auch man wäscht die Hände, bevor man das Brot isst."

Lang ist die Liste der Versuche, die Kaschrut, also das System der jüdischen Speisevorschriften, rational zu erklären: Koscheres Essen soll Trennkost gewesen sein, bevor es das Wort Trennkost gab. Das Verbot von Schweinefleisch soll Gesundheitsgründe haben, denn Schweinefleisch enthält Trichin. Doch aus Sicht der Ausstellungsmacher führen solche Erklärungsversuche nicht weit. Kuratorin Miriam Goldmann:

"Also, die Kaschrut zu verstehen, geht nur über die Religion. Und mit der Vernunft und dem Verstand und der Wissenschaft hat es insofern nichts zu tun, als diese Religion den Glauben verlangt, und dieser Glaube hilft mir dann auch, Gesetze einzuhalten. Gerade im Judentum geht es darum, nicht nur ein Glaubensbekenntnis zu sprechen, die Religion zu leben, tagtäglich, in dem wie ich mich verhalte, in dem was ich tue, wann ich nicht arbeite und was ich esse. Und der Grund, dass die Hygiene oder diätische Gesichtspunkte Ursprung sein könnten für die Kaschrut, das kann man tatsächlich abweisen, weil unsere Hygienevorstellungen zum Beispiel ja auch aus dem 19. Jahrhundert stammen, das hat damals überhaupt keine Rolle gespielt, es ging darum, sich zu dem einen Gott zu bekennen und die Gesetze der Religion zu befolgen."

"Koscher und Co" heißt die Ausstellung, weil außer dem Judentum auch andere Religionen vorkommen, etwa der Islam. Muslime schächten ebenfalls und verzichten auf Schweinefleisch. Projektleiter Bodo-Michael Baumunk:

"Ich finde es einfach interessanter, wenn man diese Vergleiche zieht. Zumal, wenn Sie den Koran lesen, das islamische Speisegesetz bezieht sich direkt auf die Tora. Also Allah sagt dann so ungefähr: Damals habe ich dieses und jenes Speisegesetz erlassen, nun erlasse ich ein neues. Also es gibt diese Beziehung zwischen den Religionen auf vielen Ebenen."

Wie jüdische Küche schmeckt, können Besucher im Lichthof des Museums testen, bei Gemüse, Käse, Brot und Fisch. Fleisch gibt es nicht, denn koscher leben bedeutet: Fleisch und Milch trennen Getreu dem biblischen Gebot: "Koche kein junges Vieh in der Milch seiner Mutter."