Relevanter Realismus
Matthias Politycki hat gemeinsam mit seinen Schriftstellerkollegen Martin R. Dean, Thomas Hettche und Michael Schindhelm ein "Manifest für einen Relevanten Realismus" in der "Zeit" veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund fordert er, dass sich Autoren stärker mit gesellschaftspolitischen Themen befassen sollten.
Heise: Schriftsteller sollen sich einmischen. sie sollen die gesellschaftliche Wirklichkeit wahrnehmen und sich nicht mehr ständig um sich selber drehen, das fordern Martin R. Dean, Thomas Hettche, Michael Schindhelm und Matthias Politycki von Ihren Autorenkollegen. Sie selber gehören der so genannten 78er Generation an. 78er Generation bedeutet, dass sie ihre Jugend in den 70er Jahren verlebt haben. Sie stehen sozusagen zwischen den Altforderen der Literatur, wie Walser und Gras und den Jungen, die jetzt auf den Buchmarkt drängen. Die 78er, die haben sich bis jetzt mehr oder weniger dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht sehr stark in Erscheinung getreten sind und auch nicht miteinander verbunden waren. Das hat sich allerdings verändert, seit sie sich einmal im Jahr, Schriftsteller dieser Generation mit Kritikern und Lektoren im bayrischen Schloss Elmau treffen und über Literatur diskutieren. Und daraus entstehen dann ganz verschiedene Projekte. Zum Beispiel haben sich die eben genannten Autoren zusammengetan, um in der Wochenzeitschrift, "Die Zeit" die Frage zu beantworten: Was soll der Roman? Welches sind eigentlich seine Aufgaben? Ich begrüße jetzt Matthias Politycki, Guten Morgen.
Politycki: Guten Morgen.
Heise: Vier Schriftsteller, die gemeinsam ein Manifest schreiben. Ist das die Abkehr vom Einzelkämpfertum am heimischen Schreibtisch?
Politycki: Gut dass Sie das Wort Manifest gleich ansprechen: Wir haben kein Manifest geschrieben. Wir haben ein Positionspapier geschrieben, um uns vorzubereiten auf unser Treffen und das haben wir vorgetragen, dort auf Schloss Elmau und dann wurde auch hitzig diskutiert und genau so war es auch gemeint. Es ist nicht ganz unbezeichnend für den Journalismus, dass sofort eigentlich hinter unserem Rücken ein Manifest draus gemacht wird. Das kriegt eine ganz andere Aura. Das kommt dann so daher, als sei es schon überall wasserdicht. Das kann es nicht sein, denn wir sind vier sehr unterschiedliche Menschen, die auch nicht mehr ganz jung sind, sondern in der Mitte des Lebens stehen, die raufen sich nicht so schnell zusammen und schon gar nicht in jedem Detail. Deswegen, mir ist wohler, wenn Sie sagen, es ist ein Positionspapier, was jetzt nicht heißen soll, dass ich klemmen will, ich stehe zu der Position. Nur das Wort Manifest hat so eine Aura, die gefällt mir nicht ganz.
Heise: Also gut, man kann noch ein bisschen dran drehen, es ist im Entstehen, also Positionspapier. Sie sagen in diesem Positionspapier, Autoren sollen sich einmischen. Es heißt wortwörtlich auch "parteiisch" werden. Sind Sie ein bisschen vom Wahlkampffieber ergriffen.
Politycki: Na ja, jeder ist ein bisschen davon ergriffen. Es lässt sich ja gar nicht leugnen, aber es geht weniger um parteipolitisches Engagement, obwohl man tatsächlich auch in dieser Hinsicht angefragt wird neuerdings, nein, es geht eigentlich um ein parteiisch werden jenseits großer Volksparteien oder auch kleiner Splitterparteien, einfach nicht mehr diesen gesellschaftlichen Aspekt unseres Lebens so ausklammern, wie wir es Jahrzehntelang aus gutem Grund getan haben. Ich habe aus einer der Antworten mir rausnotiert, sie ist von Andreas Meier, einem Schriftsteller, den ich eigentlich sehr schätze, der schreibt wörtlich, "Nein, ich arbeite nicht dafür, dass diese Gesellschaft hier sich auf die Füße stelle". Ich finde das schade, weil sehr viele so denken und wir fanden das gerade spannend, oder nicht nur spannend, eigentlich notwendig, andersherum mal zu denken, denn wer, wenn nicht wir, wenn alle immer nur sagen, ich arbeite nur für mein eigenes Ding. Ja, dann wird bestenfalls das eigene Ding noch eine Weile weitergehen, aber das Zusammenleben hier, so kritisch man das auch sehen mag, gehört nun mal auch zum Leben.
Heise: Erklären Sie das noch ein bisschen deutlicher, warum muss Ihrer Meinung nach ein Schriftsteller Position beziehen?
Politycki: Ich bin absolut nicht für politische Literatur. Das widerspricht sich eigentlich selbst.
Heise: Also Sie wollen nicht erziehen?
Politycki: Nein, nein, das Roman schreiben, das Gedichte schreiben ist die eine Sache, aber dazu gehört ja ein wacher Blick und auch die Bereitschaft viel vorurteilsfrei an sich herankommen zu lassen, zu sichten und natürlich auch zu werten. Jeder Autor ist eigentlich die meiste Zeit damit beschäftigt, nicht zu schreiben und das ist auch wichtig. Dieses reine Schreibtischtätertum, einer der ständig immer nur produziert, der ist ja gar nicht mit dieser Wirklichkeit zu Gange, sondern der normale Autor, der läuft rum, der nimmt teil, der liest die Zeitung, der redet mit seinen Freunden und der ist auf allen Ebenen auch Teil dieses Lebens und ich glaube, dadurch, dass wir auf diese Weise bezahlten Müßiggang betreiben - denn wir sind ja sozusagen ständig auf Recherche, wir nehmen einfach alles mal wahr und schauen dann, was wir vielleicht verwerten können - haben wir durchaus auch eine gute Ausgangbasis, um Dinge wahrzunehmen, die man sonst nur mal in den Nachrichten durchgespült bekommt, beim linken Ohr rein, beim rechten Ohr wieder raus und uns auch zu treffen und darüber zu befinden.
Heise: Das heißt, Sie wollen auch zusammenarbeiten. Dieses, dass man da zu viert ein Positionspapier erarbeitet hat, das ist jetzt nicht eine einmalige Geschichte, sondern Sie würden es auch ganz gut finden, wenn sich Schriftsteller mal gemeinsam hinsetzen und über die Lage der Dinge sprechen und daraus so ihre Themen entwickeln?
Politycki: Also es darf nicht den Mief der 68er Generation haben, sondern es muss auch Spaß machen, es muss lustvoll sein und es müssen Vernetzungen sein, die nicht starr sind. Wir sind keine Gruppe 47, kein Klon davon, sondern wir sind ein offener Treff. Da gehören auch schon viel mehr als nur diese vier dazu. Wir haben ja spontane Reaktionen auch von Autoren, die sagen, "Ja ich möchte da mitreden, ich bin dabei", oder auch von Kritikern, die sagen, es ist wichtig, dass sich jetzt einfach mal Leute zusammensetzen und nicht nur darüber nachdenken, wie sie ihr eigenes Buch vielleicht noch ein bisschen besser machen, sondern Synergien austesten. Schauen Sie sich einfach nur die vier Namen an, wie unterschiedlich die sind: Michael Schindhelm aus dem Osten gebürtig, Martin R. Dean, ein Schweizer, Thomas Hettche und ich, uns verbindet auf den ersten Blick sehr wenig. Und gerade das ist so spannend, dass sich da mal vier zusammengefunden haben, plus x - wie gesagt, wir sind ja nicht nur vier - die tun sich natürlich schwer, sich auf Formulierungen zu einigen, aber allein der Prozess, finde ich, ist schon mal was, was die Sache wert ist.
Heise: Der Weg ist schon ein bisschen das Ziel. Sie haben Ihr Positionspapier überschrieben mit "Der relevante Realismus". Welche Realität meinen Sie denn jetzt? Sie haben ja eben von einer Zeitungslektüre, die sie jeden Tag erleben, auch wenn sie durch die Stadt gehen, von der Realität gesprochen, aber was wollen Sie da niederbringen? Die, von beispielsweise den Hartz-IV-Empfänger, oder die, wie Sie sie sehen?
Politycki: Also Relevanz ist tatsächlich ein Stichwort, was sich leitmotivisch durch unsere Diskussion und auch durch unser Papier zieht.
Heise: Aber wer legt das fest, was relevant ist?
Politycki: Klar, so rum kommen wir jetzt sofort ins Uferlose. Ich will es nur mal andeuten: Man könnte zum Beispiel mal versuchsweise aus dem ganzen deutsch-deutschen Kleinklein raus, schon in Prosastücken und mal global drauf gucken, dass eigentlich die Region Europa zur Disposition steht, dass es nicht ständig immer nur um Ost-Westkonflikte geht in unserer Gesellschaft, sondern, dass das von außen betrachtet vollkommen vernachlässigbar ist, sondern dass wir hier eigentlich ein europäisches Problem haben. Das ist zum Beispiel ein bedrängendes Thema, was lange Jahre unterschätzt wurde. Als ich angefangen habe über europäische Ästhetik nachzudenken, vor ein paar Jahren, habe ich fast nur Gelächter geerntet, weil man da so fest im transatlantischen Bündnis verankert war, dass allein die Wortzusammenfügung obsolet war. Aber ich glaube, das ist zum Beispiel unsere Aufgabe, jedenfalls auch diese irrelevanten Wirklichkeitsmitschriften auch mal sein lassen, diese ständigen Protokolle aus irgendwelchen Berliner Mietshäusern.
Heise: Das sich kreisen um sich selber?
Politycki: Ja, das sind natürlich immer die ewig gleichen halb unglücklichen Liebesgeschichten und dann gehen die Zigaretten aus, dann ruft der Kumpel an und dann muss man sich vielleicht noch irgendwann mal erbrechen. Ich meine, davon gibt es genug Romane und dafür ist die Lebenszeit auch irgendwann zu kurz. Das braucht es nicht mehr.
Heise: Der Schriftsteller Matthias Meier hat aber zum Beispiel darauf gesagt, "Ich möchte nicht zur Diskursausrede dienen. Meine Literatur macht, was sie will".
Politycki: Die Literatur, die er schreibt, ist besser, als was er hier gesagt hat. Das ist ein guter Autor. Keine Frage. Literatur selbst darf auf keinen Fall irgendwelchen ideologischen Kriterien folgen. Ist ja ganz klar. Dazu gehört eine Primärvision und ein Druck, überhaupt über Jahre hinweg an einem Ding wie einem Roman zu bleiben. Das ist die eine Sache. Wir reden jetzt davon, was wir tun, wenn wir nicht unbedingt unser Kerngeschäft betreiben und das gehört eben in ein Weichbild des Schriftstellers, finden wir, auch mit hinein.
Heise: Das heißt, Sie wollen sich auch anderweitig einmischen, nicht nur über Bücher oder Essays, auch über politische Veranstaltungen?
Politycki: Ja, wir sind da angefragt, für die verschiedensten Podien. Wir treffen uns auch am Rande mit Politikern.
Heise: Wer fragt Sie denn da an, denn es ist ja auch eine Frage: Wer, für wen ist dann das, was die Literaten sagen, wiederum relevant?
Politycki: Wir sind zum Beispiel im Roten Rathaus in Berlin angefragt, ist ja kein ganz verkehrter Ort. Wir sind aber auch in der Schweiz. Wir sind eigentlich gar nicht darauf aus, jetzt alles zu besetzen. Wir sind viel mehr darauf aus, das Gespräch zu suchen, zunächst einmal mit unseres Gleichen, das heißt mit Schriftstellern und weiteren Kritikern, um in diesem Prozess der Meinungsbildung, jeder als einzelner, da wo er es für wichtig empfindet, durchaus laut und erkennbar sein Organ zu erheben. Wir müssen jetzt nicht immer alle vier oder gar acht oder vierzig, wie wir in Elmau sind, auftreten. Ist ja auch lächerlich.
Heise: Der Schriftsteller Matthias Politycki über die Aufgaben der Literatur und der Autoren in unserer Gesellschaft.
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Die Schriftsteller Martin R. Dean, Thomas Hettche, Matthias Politycki und Michael Schindhelm hatten am Donnerstag gemeinsam ein "Manifest für einen Relevanten Realismus" in der "Zeit" veröffentlicht. Darin wenden sich die Autoren nicht nur gegen die Altvorderen wie etwa Günter Grass und Martin Walser sondern auch gegen die Newcomer. Dean, Hettche und Co. sehnen sich "nach nichts mehr als nach Büchern, die uns ergreifen, und sei es gegen unseren Willen".
Politycki: Guten Morgen.
Heise: Vier Schriftsteller, die gemeinsam ein Manifest schreiben. Ist das die Abkehr vom Einzelkämpfertum am heimischen Schreibtisch?
Politycki: Gut dass Sie das Wort Manifest gleich ansprechen: Wir haben kein Manifest geschrieben. Wir haben ein Positionspapier geschrieben, um uns vorzubereiten auf unser Treffen und das haben wir vorgetragen, dort auf Schloss Elmau und dann wurde auch hitzig diskutiert und genau so war es auch gemeint. Es ist nicht ganz unbezeichnend für den Journalismus, dass sofort eigentlich hinter unserem Rücken ein Manifest draus gemacht wird. Das kriegt eine ganz andere Aura. Das kommt dann so daher, als sei es schon überall wasserdicht. Das kann es nicht sein, denn wir sind vier sehr unterschiedliche Menschen, die auch nicht mehr ganz jung sind, sondern in der Mitte des Lebens stehen, die raufen sich nicht so schnell zusammen und schon gar nicht in jedem Detail. Deswegen, mir ist wohler, wenn Sie sagen, es ist ein Positionspapier, was jetzt nicht heißen soll, dass ich klemmen will, ich stehe zu der Position. Nur das Wort Manifest hat so eine Aura, die gefällt mir nicht ganz.
Heise: Also gut, man kann noch ein bisschen dran drehen, es ist im Entstehen, also Positionspapier. Sie sagen in diesem Positionspapier, Autoren sollen sich einmischen. Es heißt wortwörtlich auch "parteiisch" werden. Sind Sie ein bisschen vom Wahlkampffieber ergriffen.
Politycki: Na ja, jeder ist ein bisschen davon ergriffen. Es lässt sich ja gar nicht leugnen, aber es geht weniger um parteipolitisches Engagement, obwohl man tatsächlich auch in dieser Hinsicht angefragt wird neuerdings, nein, es geht eigentlich um ein parteiisch werden jenseits großer Volksparteien oder auch kleiner Splitterparteien, einfach nicht mehr diesen gesellschaftlichen Aspekt unseres Lebens so ausklammern, wie wir es Jahrzehntelang aus gutem Grund getan haben. Ich habe aus einer der Antworten mir rausnotiert, sie ist von Andreas Meier, einem Schriftsteller, den ich eigentlich sehr schätze, der schreibt wörtlich, "Nein, ich arbeite nicht dafür, dass diese Gesellschaft hier sich auf die Füße stelle". Ich finde das schade, weil sehr viele so denken und wir fanden das gerade spannend, oder nicht nur spannend, eigentlich notwendig, andersherum mal zu denken, denn wer, wenn nicht wir, wenn alle immer nur sagen, ich arbeite nur für mein eigenes Ding. Ja, dann wird bestenfalls das eigene Ding noch eine Weile weitergehen, aber das Zusammenleben hier, so kritisch man das auch sehen mag, gehört nun mal auch zum Leben.
Heise: Erklären Sie das noch ein bisschen deutlicher, warum muss Ihrer Meinung nach ein Schriftsteller Position beziehen?
Politycki: Ich bin absolut nicht für politische Literatur. Das widerspricht sich eigentlich selbst.
Heise: Also Sie wollen nicht erziehen?
Politycki: Nein, nein, das Roman schreiben, das Gedichte schreiben ist die eine Sache, aber dazu gehört ja ein wacher Blick und auch die Bereitschaft viel vorurteilsfrei an sich herankommen zu lassen, zu sichten und natürlich auch zu werten. Jeder Autor ist eigentlich die meiste Zeit damit beschäftigt, nicht zu schreiben und das ist auch wichtig. Dieses reine Schreibtischtätertum, einer der ständig immer nur produziert, der ist ja gar nicht mit dieser Wirklichkeit zu Gange, sondern der normale Autor, der läuft rum, der nimmt teil, der liest die Zeitung, der redet mit seinen Freunden und der ist auf allen Ebenen auch Teil dieses Lebens und ich glaube, dadurch, dass wir auf diese Weise bezahlten Müßiggang betreiben - denn wir sind ja sozusagen ständig auf Recherche, wir nehmen einfach alles mal wahr und schauen dann, was wir vielleicht verwerten können - haben wir durchaus auch eine gute Ausgangbasis, um Dinge wahrzunehmen, die man sonst nur mal in den Nachrichten durchgespült bekommt, beim linken Ohr rein, beim rechten Ohr wieder raus und uns auch zu treffen und darüber zu befinden.
Heise: Das heißt, Sie wollen auch zusammenarbeiten. Dieses, dass man da zu viert ein Positionspapier erarbeitet hat, das ist jetzt nicht eine einmalige Geschichte, sondern Sie würden es auch ganz gut finden, wenn sich Schriftsteller mal gemeinsam hinsetzen und über die Lage der Dinge sprechen und daraus so ihre Themen entwickeln?
Politycki: Also es darf nicht den Mief der 68er Generation haben, sondern es muss auch Spaß machen, es muss lustvoll sein und es müssen Vernetzungen sein, die nicht starr sind. Wir sind keine Gruppe 47, kein Klon davon, sondern wir sind ein offener Treff. Da gehören auch schon viel mehr als nur diese vier dazu. Wir haben ja spontane Reaktionen auch von Autoren, die sagen, "Ja ich möchte da mitreden, ich bin dabei", oder auch von Kritikern, die sagen, es ist wichtig, dass sich jetzt einfach mal Leute zusammensetzen und nicht nur darüber nachdenken, wie sie ihr eigenes Buch vielleicht noch ein bisschen besser machen, sondern Synergien austesten. Schauen Sie sich einfach nur die vier Namen an, wie unterschiedlich die sind: Michael Schindhelm aus dem Osten gebürtig, Martin R. Dean, ein Schweizer, Thomas Hettche und ich, uns verbindet auf den ersten Blick sehr wenig. Und gerade das ist so spannend, dass sich da mal vier zusammengefunden haben, plus x - wie gesagt, wir sind ja nicht nur vier - die tun sich natürlich schwer, sich auf Formulierungen zu einigen, aber allein der Prozess, finde ich, ist schon mal was, was die Sache wert ist.
Heise: Der Weg ist schon ein bisschen das Ziel. Sie haben Ihr Positionspapier überschrieben mit "Der relevante Realismus". Welche Realität meinen Sie denn jetzt? Sie haben ja eben von einer Zeitungslektüre, die sie jeden Tag erleben, auch wenn sie durch die Stadt gehen, von der Realität gesprochen, aber was wollen Sie da niederbringen? Die, von beispielsweise den Hartz-IV-Empfänger, oder die, wie Sie sie sehen?
Politycki: Also Relevanz ist tatsächlich ein Stichwort, was sich leitmotivisch durch unsere Diskussion und auch durch unser Papier zieht.
Heise: Aber wer legt das fest, was relevant ist?
Politycki: Klar, so rum kommen wir jetzt sofort ins Uferlose. Ich will es nur mal andeuten: Man könnte zum Beispiel mal versuchsweise aus dem ganzen deutsch-deutschen Kleinklein raus, schon in Prosastücken und mal global drauf gucken, dass eigentlich die Region Europa zur Disposition steht, dass es nicht ständig immer nur um Ost-Westkonflikte geht in unserer Gesellschaft, sondern, dass das von außen betrachtet vollkommen vernachlässigbar ist, sondern dass wir hier eigentlich ein europäisches Problem haben. Das ist zum Beispiel ein bedrängendes Thema, was lange Jahre unterschätzt wurde. Als ich angefangen habe über europäische Ästhetik nachzudenken, vor ein paar Jahren, habe ich fast nur Gelächter geerntet, weil man da so fest im transatlantischen Bündnis verankert war, dass allein die Wortzusammenfügung obsolet war. Aber ich glaube, das ist zum Beispiel unsere Aufgabe, jedenfalls auch diese irrelevanten Wirklichkeitsmitschriften auch mal sein lassen, diese ständigen Protokolle aus irgendwelchen Berliner Mietshäusern.
Heise: Das sich kreisen um sich selber?
Politycki: Ja, das sind natürlich immer die ewig gleichen halb unglücklichen Liebesgeschichten und dann gehen die Zigaretten aus, dann ruft der Kumpel an und dann muss man sich vielleicht noch irgendwann mal erbrechen. Ich meine, davon gibt es genug Romane und dafür ist die Lebenszeit auch irgendwann zu kurz. Das braucht es nicht mehr.
Heise: Der Schriftsteller Matthias Meier hat aber zum Beispiel darauf gesagt, "Ich möchte nicht zur Diskursausrede dienen. Meine Literatur macht, was sie will".
Politycki: Die Literatur, die er schreibt, ist besser, als was er hier gesagt hat. Das ist ein guter Autor. Keine Frage. Literatur selbst darf auf keinen Fall irgendwelchen ideologischen Kriterien folgen. Ist ja ganz klar. Dazu gehört eine Primärvision und ein Druck, überhaupt über Jahre hinweg an einem Ding wie einem Roman zu bleiben. Das ist die eine Sache. Wir reden jetzt davon, was wir tun, wenn wir nicht unbedingt unser Kerngeschäft betreiben und das gehört eben in ein Weichbild des Schriftstellers, finden wir, auch mit hinein.
Heise: Das heißt, Sie wollen sich auch anderweitig einmischen, nicht nur über Bücher oder Essays, auch über politische Veranstaltungen?
Politycki: Ja, wir sind da angefragt, für die verschiedensten Podien. Wir treffen uns auch am Rande mit Politikern.
Heise: Wer fragt Sie denn da an, denn es ist ja auch eine Frage: Wer, für wen ist dann das, was die Literaten sagen, wiederum relevant?
Politycki: Wir sind zum Beispiel im Roten Rathaus in Berlin angefragt, ist ja kein ganz verkehrter Ort. Wir sind aber auch in der Schweiz. Wir sind eigentlich gar nicht darauf aus, jetzt alles zu besetzen. Wir sind viel mehr darauf aus, das Gespräch zu suchen, zunächst einmal mit unseres Gleichen, das heißt mit Schriftstellern und weiteren Kritikern, um in diesem Prozess der Meinungsbildung, jeder als einzelner, da wo er es für wichtig empfindet, durchaus laut und erkennbar sein Organ zu erheben. Wir müssen jetzt nicht immer alle vier oder gar acht oder vierzig, wie wir in Elmau sind, auftreten. Ist ja auch lächerlich.
Heise: Der Schriftsteller Matthias Politycki über die Aufgaben der Literatur und der Autoren in unserer Gesellschaft.
Service:
Die Schriftsteller Martin R. Dean, Thomas Hettche, Matthias Politycki und Michael Schindhelm hatten am Donnerstag gemeinsam ein "Manifest für einen Relevanten Realismus" in der "Zeit" veröffentlicht. Darin wenden sich die Autoren nicht nur gegen die Altvorderen wie etwa Günter Grass und Martin Walser sondern auch gegen die Newcomer. Dean, Hettche und Co. sehnen sich "nach nichts mehr als nach Büchern, die uns ergreifen, und sei es gegen unseren Willen".