"Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit" (5)

Die ältesten Europäer liegen in Georgien

Flagge Georgien
Dmanisi ist eine Stadt in Südgeorgien. © EPA/ZURAB KURTSIKIDZE
Von Thomas Franke · 09.08.2016
Homo erectus, der aufrechte Mensch. Von Afrika bis nach Asien finden Archäologen und Paläontologen seine Spuren. Besonders gut erhalten ist der Homo erectus in Dmanisi in Georgien. Ein Besuch in der 50.000 Quadratmeter großen Grabungsstätte.
Es sind die ältesten Funde des aufrechten Menschen, die außerhalb Afrikas gefunden wurden. Und gefunden hat sie David Lordkipanidze.
"Wir nähern uns Dmanisi. Wir sind etwa fünf Kilometer von der Grabungsstätte entfernt. Das hier ist alles Vulkanlandschaft, und die Lavaströme helfen uns sehr. Mit ihrer Hilfe können wir die Landschaft und die Umwelt datieren."
Die Lavaströme sind 1,85 Millionen Jahre alt. Solange ist es auch her, dass die Menschen hier lebten, deren Skelette nun ausgegraben werden. David Lordkipanidze fährt durch grüne Hügel, ein kleiner Fluss schlängelt sich durch ein Tal. Der Archäologe biegt ab.

Hier sind die ältesten Europäer

Graue Feldsteine sind zu sehen, die Reste einer mittelalterlichen Burg, etwas erhöht eine Kirche, die noch in Betrieb ist: Das ist Dmanisi. Der Ort wurde im 18. Jahrhundert zerstört, erläutert Lordkipanidze. Er ist auf dem Weg zur Grabungsstelle in Dmanisi. Zu den ältesten Europäern, wie Lordkipanidze gern unterstreicht.
Ein befestigter Weg führt direkt zu einer überdachten Grube, vielleicht fünfzehn Meter im Quadrat und knapp zwei Meter tief. Treppenstufen führen hinunter. Aus den Wänden ragen Knochen.
Lordkipanidze: "Dieser Knochen ist etwa 1,8 Millionen Jahre alt. Man kann ihn aber noch nicht herausnehmen. Wir müssen warten, bis die Erde darüber abgetragen ist und wir ihn erreichen. Und dann kann ich Ihnen sagen, zu wem dieser Knochen gehört. Denn es ist definitiv ein Tierknochen, kein menschlicher. Für diesen hier gilt das Gleiche, aber wir werden ihn schneller erreichen. Über diesem Knochen sind nur noch 30 Zentimeter Erde."

Kultstätte der Wissenschaftler

David Lordkipanidze leitet das Nationalmuseum Georgiens. Er berührt die Knochen nicht. Es könnte etwas kaputt gehen. Dmanisi, mit den Wiesen und Bäumen, dem Wasser und der mittelalterlichen Siedlung oberhalb der Grabungsstätte, soll ein Ausflugsort werden und eine Kultstätte der Wissenschaftler, so Lordkipanidze. Archäologie live. Lordkipanidze möchte, dass die Grabungsstätte in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommen wird.
"Das heißt, dass wir nicht allein dafür verantwortlich sind, diese Stätte für die Menschheit zu bewahren und zu schützen."
Unterkiefers eines Steinzeitmenschen, der im Sommer 1991 in Dmanisi, Südgeorgien, gefunden wurde. Die Entdeckung der etwa 1,8 Millionen Jahre alten Knochen galt als Sensation.
Unterkiefers eines Steinzeitmenschen, der im Sommer 1991 in Dmanisi, Südgeorgien, gefunden wurde. Die Entdeckung der etwa 1,8 Millionen Jahre alten Knochen galt als Sensation.© AP Archiv
Die ehemalige Sowjetrepublik Georgien bemüht sich um einen Beitritt zur NATO und wäre irgendwann gern auch EU-Mitglied. Doch das steckt derzeit fest. David Lordkipanidze ist einer der besten Botschafter seines Landes.
"Das ist ein unglaublicher Fund. Das zeigt uns, dass Europa viel früher von Menschen besiedelt wurde, als bisher angenommen. Er hilft uns, die Wanderungsbewegungen von Menschen aus Afrika heraus zu verstehen. Ich bin mir sicher, dass diese Menschen Westeuropa besiedelt haben."
Lordkipanidze hat in Tiflis studiert und in Moskau promoviert. Er war in Göttingen, Paris und am Deutschen Archäologischen Institut in Lissabon und Madrid. 2002 wurde er stellvertretender Direktor des Nationalmuseums Georgiens und begann, das Museum systematisch zu modernisieren. Bei Lordkipanidzes ist die Forschung an den ältesten Ahnen eine Familienangelegenheit. Sein Vater Otar war Gründer des Georgischen Archäologischen Instituts und befasste sich in erster Linie mit dem antiken Kolchis. Seine Schwester macht das heute noch.

Kulturwettbewerb im Kaukasus

Wären die alten Skelette wenige Kilometer weiter südlich gefunden worden, auf der anderen Seite des Berges, dann wären die ältesten Europäer heute nicht Georgier, sondern Armenier. Armenien punktet mit dem Ararat als heiligem Berg, auch wenn der heute in der Türkei liegt. Der Ararat soll der Berg sein, an den Noah nach der Sintflut mit seiner Arche gestrandet ist. Die Georgier wiederum behaupten, dass auf ihrem Gebiet das Paradies ist oder zumindest das Vorbild dazu. Sicher ist, dass das antike Kolchis im heutigen Georgien ist. Manchmal scheint es, als gäbe es im Kaukasus einen Wettbewerb um die älteste Kultur, Sprache, Tradition.
Lordkipanidze: "Im Moment ist es so, dass hier die ältesten menschlichen Funde in Europa liegen. Da haben wir Glück gehabt."

Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".

Mehr zum Thema