Reisen mit gutem Gewissen

Antje Monshausen im Gespräch mit Kirsten Dietrich |
Der Urlaub ist die schönste Zeit des Jahres. Manche Menschen aber plagt angesichts von Umweltverschmutzung und mieser Arbeitsbedingungen am Reiseziel das schlechte Gewissen. Antje Monshausen von Brot für die Welt gibt Tipps, wie man bedenkenlos in die Ferien starten kann.
Kirsten Dietrich: Ferienzeit ist Reisezeit. Die Tourismusindustrie ist eine Wachstumsindustrie, Finanzkrise hin oder her. In Deutschland hat der Tourismus einen höheren Anteil am Bruttosozialprodukt als die Autoindustrie und beschäftigt beinahe drei Millionen Menschen. Und weil Tourismus so einen großen Einfluss hat, ist es natürlich sinnvoll, auch dort ethische Kriterien einzufordern. Aber angesichts der Träume und Sehnsüchte, die mit den sogenannten schönsten Wochen des Jahres verbunden sind, scheint es fast schon aussichtslos, da dann noch nach der Kohlendioxidbilanz des Ferienflugs auf die Malediven oder den Arbeitsbedingungen im All-inclusive-Paradies zu fragen.

Ich habe es trotzdem versucht, und zwar bei Antje Monshausen. Sie leitet die Arbeitsstelle TourismWatch beim evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt. Ich wollte von ihr wissen: Urlaub ohne schlechtes Gewissen, kann man da wirklich noch andere Ziele ansteuern als die Ostsee oder den Schwarzwald?

Antje Monshausen Man sollte überall hin reisen können ohne schlechtes Gewissen. Wichtig ist, dass man den Tourismus so gestaltet, dass er eben Mensch und Umwelt schont, und dafür sind die Reisenden verantwortlich, aber auch die Reiseveranstalter, indem sie faire Bedingungen für ihre Mitarbeitenden schaffen, indem sie schauen, welche Auswirkungen hat der Tourismus auf das Ökosystem, auf die Menschen vor Ort, auf die Kultur im Reiseland.

Dietrich: Tourismus steckt eigentlich so ein bisschen in einem Dilemma, Menschen reisen irgendwohin, weil sie etwas ganz Ursprüngliches fasziniert, und indem sie dorthin reisen, indem sie dort auch so hinreisen wollen, dass sie es einigermaßen schön haben, die meisten jedenfalls, zerstören oder zumindest verändern sie dann das, wohin sie wollten und was sie am Anfang so fasziniert hat. Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem Dilemma?

Monshausen: Dieses Dilemma ist bei Fernreisen natürlich gegeben. Also, wir haben durch den Flugverkehr natürlich erhebliche Auswirkungen auf den Klimawandel, der insbesondere auch die Menschen in Entwicklungsländern eben mit besonderer Härte trifft, und wir haben, ganz klar, wenn wir in ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe reisen natürlich besondere Herausforderungen zu bedenken. Ich denke, aus dem Dilemma kommt man heraus, indem man sich auf das Reisen gut vorbereitet, indem man längere Zeit vor Ort verbringt und sich wirklich auf das Land und die Leute einlässt. Das ist zunehmend schwierig, weil Reisen halt zu einem Massenphänomen geworden ist, auch immer häufiger Reisen auf der Tagesordnung steht, aber ich denke, weniger häufig, aber dafür länger zu reisen, ist ein richtiger Weg, aus diesem Dilemma rauszukommen.

Dietrich: Das heißt aber, das Reisen selber muss sich dann schon auch verändern.

Monshausen: Ich denke, dass das Reisen sich verändern muss. Wir haben es mit einer Preisspirale, aber auch mit einer Wertspirale zu tun, wo Reisen immer günstiger wird, immer schneller wird und wo es einfach ein Massenprodukt wie jedes andere geworden ist. Sich wieder intensiv auf das Reisen vorzubereiten, es wertzuschätzen, sich Zeit zu nehmen vor Ort, aber auch davor, wird sicherlich die Qualität des Reisens für einen selber als Reisender, aber auch für die Menschen, die man besucht, erheblich erhöhen.

Dietrich: Es gibt ja nicht sehr viele, aber doch immer häufiger auch Angebote, die mit nachhaltigem Reisen werben. Was machen diese Angebote anders, gibt es da so Gemeinsamkeiten, in welchen Punkten die ansetzen?

Monshausen: Nachhaltigkeit bedeutet ja, dass ich mich als Unternehmen nicht nur um meine ökonomische Perspektive kümmere, sondern eben auch sehr genau hinschaue, welche Auswirkung hat mein Handeln auf die Ökologie, auf die Umwelt und aufs Soziale, auf die Gesellschaft, in der ich mich bewege. Und nachhaltiges Reisen bedeutet beispielsweise, dass ich als Reiseveranstalter schaue, wenn ich Produkte entwickele, dass die Bevölkerung einbezogen ist, dass Produkte entwickelt werden, die im Interesse der Bevölkerung sind. Dass Wertschöpfung vor Ort tatsächlich stattfindet, also dass ich nicht mit einem zentralen Veranstalter vor Ort kooperiere, sondern mit sehr unterschiedlichen Dienstleistern. Dass ich lokale Guides anstelle, Reiseführer anstelle, die nicht nur Übersetzungsleistung zwischen den Sprachen leisten, sondern auch in die Kultur des Landes, in die Politik, in die Gesellschaft einführen.

Und im ökologischen Bereich gehört natürlich ganz klar dazu, dass ich mir anschaue, wo findet der Tourismus statt. Und dann ist die große Poolanlage in einem Gebiet, was durch Trockenheit gekennzeichnet ist, halt alles andere als nachhaltig. Das geht nicht. Nachhaltige Anbieter beispielsweise verändern auch ihre Produkte, indem sie bei langen Distanzen längere Aufenthalte vorsehen. Also dass man zum Beispiel ab 2000 Kilometer mindestens zwei Wochen vor Ort bleibt, das ist dann auch besser fürs Klima natürlich, wenn ich weniger häufig reise.

Dietrich: Kann man so was wie eine Faustregel sagen, weg von den großen Anlagen hin zu kleinen Betrieben, die überall verteilt sind?

Monshausen: Also, dezentralisierte Tourismusentwicklung, das ist das, was Sie ja gerade angesprochen haben, kann ein Weg sein, um eine Breitenwirkung des Tourismus in den Ländern tatsächlich zu haben, dass möglichst viele Menschen am Tourismus beteiligt sind. Eine Faustformel, dass jetzt kleine Anbieter unbedingt besser sind als große Anbieter, gibt es sicherlich nicht. Aber es gibt – und das zeigt sich in Deutschland beispielsweise –, dass die Veranstalter, die sich lange mit Nachhaltigkeit beschäftigt haben, die jetzt zunehmend auch zertifizieren lassen zum Beispiel durch TourCert, und das sind in der Regel kleinere Anbieter, teilweise Spezialanbieter, zum Teil aber auch Anbieter, die sehr unterschiedliche Produkte überall auf der Welt anbieten.

Dietrich: Reisen, die Begegnungen im Land ermöglichen, sind so ein Weg, das Reiseerlebnis verträglich zu steigern. Da kommen ja manchmal so ein bisschen unbehagliche Konstruktionen dabei raus, dass man dann Begegnungen mit armen Menschen im Slum ermöglicht, so ungefähr. Das ist eine schwierige Gratwanderung, wie kann man sich da bewegen?

Monshausen: Also, Slumtourismus oder dieser Tourismus, Besuche von armen Vierteln ist sicherlich was, was auch deswegen zunehmend nachgefragt wird, weil die Reisenden erfahrener werden, weil sie immer mehr auch hinter die touristischen Kulissen gucken wollen. Und das ist ja prinzipiell was Positives, wenn ich mich wirklich auf das Land einlassen will und sehen will, wie die Menschen dort tatsächlich real leben. Problematisch ist es natürlich in dem Kontext, ich reise als reicher Mensch in ein sehr armes Land und schaue mir dann noch die Armut an. Wichtig ist in diesem Moment, sich wirklich auf die Lebensrealität der Menschen einzulassen, und auch da helfen gute Guides.

Also, ich finde es ganz wichtig, wenn man beispielsweise einen Slum besucht, dass man da einen lokalen Guide hat, der dort lebt, der die Menschen kennt, der einen auch darauf aufmerksam macht, was geht, was nicht geht, und diese Klischees über Armut auch aufbricht. Weil die Lebensrealität der Menschen in den armen Vierteln ist ja nicht nur durch Armut geprägt, sondern hat eine sehr eigene Dynamik, die man von außen nur schwer durchblicken kann. Und dass ich mich wirklich auf die Situation einlasse, bedeutet beispielsweise auch, dass ich in dem armen Viertel dann eben auch mein Essen zu mir nehme und dort auch in einen Laden reingehe und was kaufe.

Problematisch finde ich Touren, wo Slumbesichtigungen wie Museumsbesuche angeboten werden und da kein Unterschied mehr gemacht wird. Slumtourismus oder Besuche von armen Vierteln erfordern ein besonderes Fingerspitzengefühl, eine besondere Sensibilität und eine besondere Vorbereitung, und das kann aber angeboten werden.

Dietrich: Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt engagiert sich mit TourismWatch für fairen Tourismus. Warum?

Monshausen: Also, wir blicken mittlerweile auf fast 40 Jahre tourismuskritische Arbeit zurück, die aus dem Dialog mit den Kirchen in den Entwicklungsländern kam, die in den 70er-Jahren, als der Massentourismus in den asiatischen Ländern losging, ihre Schwesterkirchen im Norden um Unterstützung baten bei der Vorbereitung von Reisenden. Im Mittelpunkt stand das Thema Kindersextourismus, also die Auswirkung, dass Tourismus auf Menschen und Familien, die in den armen Ländern dann von Reisenden eben ausgebeutet werden, sexuell ausgebeutet werden, daraus entstanden ist, diese Stimme der Bereisten in die Öffentlichkeit zu bringen, in Deutschland zu kommunizieren.

Wir haben viele Jahre eben Sensibilisierungsarbeit, Bildungsarbeit mit Reisenden gemacht, aber dadurch, dass der Tourismus eben durch Unternehmen, durch Reiseveranstalter stark geprägt wird, ist unser Fokus heute vor allen Dingen, die Rahmenbedingungen des Tourismus dahingehend zu verändern, dass sie im Interesse der Menschen in den bereisten Ländern sind. Und das machen wir bis heute.

Tourismus hat einen ganz erheblichen Effekt auf die Armutssituation, einen positiven, aber auch einen negativen Effekt. Es ist anwaltschaftliche Arbeit für die Menschen in Entwicklungsländern zum einen, die, die am Tourismus zu wenig profitieren, aber vor allen Dingen die, die gar nicht in den Tourismus eingebunden sind, aber von den Folgen des Tourismus betroffen sind. Und das sind sehr, sehr viele unserer Partner.

Dietrich: Urlaub tritt ja selber fast mit einem Heilsversprechen an, da ist die Rede davon, dass man die Seele baumeln lässt, das sind echte Urlaubsparadiese, also bis in die Sprache hinein reden die Kataloge fast schon religiös. Kann man das überhaupt noch mit ethischem Anspruch verbinden?

Monshausen: Der Anspruch der Menschen in Deutschland wächst zunehmend, auch im Urlaub, sich ethisch zu verhalten. Wir haben die ganz aktuellen repräsentativen Zahlen, dass fast die Hälfte der Bevölkerung sozial und ökologisch verträglichen Urlaub machen wollen. Was dann vor Ort tatsächlich umgesetzt wird, ist eine andere Frage, weil man sich natürlich im Tourismus oder im Urlaub nicht noch mit Mülltrennungssystemen auseinandersetzen möchte. Wichtig ist eben, dass der Tourismus so gestaltet wird, dass ich mir als Reisender darum eigentlich wenig Sorgen machen muss. Und das kann ich insbesondere, wenn ich vor dem Urlaub eben einen Reiseveranstalter wähle, der besonders auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit achtet.

Dietrich: Das heißt also, das Entscheidende passiert eigentlich vor dem Urlaub?

Monshausen: Bei der Auswahl des Reiseveranstalters kann ich eben schon erheblichen Unterschied machen zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Reiseprodukten. Aber natürlich hat mein eigenes Verhalten vor Ort auch einen Einfluss darauf, ob der Urlaub nachhaltig gestaltet wird. Also, dass ich mich eben gut vorbereite, kulturell sensibel reagiere, das ist natürlich meine eigene Verantwortung vor Ort.

Dietrich: Und dass ich aber trotzdem Urlaub auch noch genieße.

Monshausen: Ja, natürlich, ich denke, jede Form des Reisens, fast jede Form des Reisens kann nachhaltig gestaltet werden. Und dementsprechend kann ich natürlich meinen Urlaub auch genießen und muss ihn genießen, sonst würde ich ihn ja nicht mehr machen.


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