Reisen in den mythischen Norden

Warum die Polarregion auf Forscher und Entdecker bis heute so anziehend wirkt, schildern Matti Lainema und Juha Nurminen in "Die Entdeckung der Arktis". Porträts der Akteure, Bilder der Ureinwohner sowie zahlreiche historische Karten machen die Faszination der Eiswelt anschaulich.
Es gibt Bücher, die einen auf Anhieb faszinieren. "Die Entdeckung der Arktis" ist so ein Buch, das einen fast magisch anzieht durch seine historischen Seekarten, von denen einige hier erstmals veröffentlicht werden, durch seine stimmungsvollen Bilder der bizarren Landschaften der Arktis und vor allem durch die authentischen Fotos der Ureinwohner. Es ist diese Magie, die deutlich macht, warum es immer schon Menschen in die Artkis lockte.

Die erste dokumentierte und folgenreiche Expedition zum mythischen Ultima Thule unternahm der griechische Wissenschaftler Pytheas um ca. 320 v. Chr. von seiner Heimatstadt Massalia, dem heutigen Marseille, aus. An Gibraltar vorbei segelte Pytheas nach Norden und stieß bis zum 63. oder 64. Breitengrad vor, als er ins Treibeis geriet und umkehren musste. Ob Pytheas seinen nördlichsten Punkt über Island oder an der Nordküste von Norwegen erreichte, ist in der Forschung umstritten. Entscheidend war, dass seine Forschungsreise im kollektiven abendländischen Bewusstsein gespeichert war und immer wieder zu Forschungsreisen in die nördliche Polarregion anspornte.
Die beiden finnischen Polarhistoriker Matti Lainema und Juha Nurminen inszenieren vor den Augen ihrer Leser die seit Pytheas unternommenen Expeditionen in die Welt des Polarkreises, in dem seit fast 10.000 Jahren Menschen sich unter den extremen Lebensbedingungen der Arktis mit der Natur symbiotisch gut eingerichtet hatten.

Die Polarforscher der Neuzeit, die in den Eis- und Schneenorden aufbrachen, konnten dort nur dann erfolgreich sein, wenn sie von den Ureinwohnern lernten, sich angemessen zu ernähren und zu kleiden. Zwar konnten die Eskimos oder Inuits nicht lesen oder schreiben, sie konnten aber den Forschern erstaunlich exakte Karten in den Schnee zeichnen und mit Hilfe von Steinen markieren. Bei der Orientierung in den Schnee- und Eiswüsten des Nordens spielten die Eskimos auch als Führer und Helfer eine entscheidende Rolle.

Erforscht wurde die nördliche Polarwelt aus einem ganzen Bündel von Motiven. Wal- und Robbenfang spielten schon früh eine bedeutende Rolle. Die Suche nach dem kürzesten Seeweg von Europa in den Fernen Osten, die sagenumwitterte Nordwestpassage und später auch die Nordostpassage an der sibirischen Küste entlang, trieb Händler und Regierungen an, sich im Kampf um die globalen Märkte Vorteile vor der Konkurrenz zu verschaffen. Auch reiner Forschergeist trieb Männer wie Amundsen an, die noch weißen Flecken auf der Weltlandkarte zu erforschen. Oft war es auch der Ansporn, Rekorde zu brechen, weiter vorzudringen als je jemand zuvor.

Durch den Mix von anschaulichen Bildern, den Porträts der Akteure und die Beschreibung der Überlebenstechniken der Ureinwohner entfaltet sich vor dem Auge der Leser, fast im 3D-Format, ein bewegendes Drama, in dem Menschen in Extremsituationen agieren. Erst spät gerieten die Ureinwohner des nördlichsten Teils der Welt in unseren Fokus. Abgesehen davon, dass die beiden Autoren die äußerst packende Geschichte der Erforschung der Polarwelt erzählen, enthält dieses Buch im Kontext des Klimawandels einen zukunftweisenden Subtext. In seinem Vorwort schreibt der Polarforscher Lennart Meri:

"Die Polargebiete sind ein Schatz, eine unverfälschte Natur, die zur letzten Zufluchtsstätte der Menschheit werden könnte."

Autoren:
Matti Lainema, geboren 1939, ist Wirtschaftswissenschaftler und war 40 Jahre lang Unternehmensberater für die Industrie. Seit 2001 ist er selbständig und arbeitet als Autor. Er ist Alaskaexperte, Vorstandsmitglied mehrerer Firmen. Er wählte die abgedruckten Reiseberichte aus und ist Textautor des Bandes.

Juha Nurminen, geboren 1946, ist Wirtschaftswissenschaftler und leitet ein Familienunternehmen. Er unternahm zahlreiche Forschungsreisen in die Arktis. Aufsichtsratsvorsitzender der John Nurminen Foundation, die sich der Erforschung der Seefahrtsgeschichte widmet und sich für den Schutz der Ostsee einsetzt. J. Nurminen sammelt historische maritime Karten. Er wählte die Themen für das Buch aus sowie die Karten und Bilder. Mitautor von Mare Balticum, 2000 Years of History in the Baltic Sea, 1995 (Übersetzungen ins Schwedische, Englische und Deutsche).

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Matti Lainema/Juha Nurminen: Die Entdeckung der Arktis
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2010
352 Seiten mit 270 farbigen Abbildungen
Gebunden, 49,90 Euro