Reisen

Ein Traumschiff auf letzter Fahrt

Blick auf das Wrack der Costa Concordia
Das Wrack der Costa Concordia soll in Genua verschrottet werden. © dpa / Claudio Giovannini
Von Michael Opitz · 27.07.2014
Schneller reisen hat seinen Preis – mit zunehmender Geschwindigkeit steigt das Unfallrisiko. In mobilen Hotels wie der "Costa Concordia" sieht der französische Philosoph Paul Virilio ein Anzeichen, Gefahren zu kaschieren, um das "Unwohlsein des Wartens auf die Ankunft" zu minimieren.
Vor wenigen Tagen stach die "Costa Concordia" ein letztes Mal in See. Damit Meeressäuger nicht mit dem auf einen Felsen aufgelaufenen Luxusliner zusammenstoßen, wird ein Forschungsschiff den Konvoi anführen. Von Bord aus können die Meeresbiologen beim Durchfahren eines Naturschutzgebietes Wale und Delphine beobachten. Die Tiere werden allerdings durch das Abschleppmanöver einer besonderen Belastung ausgesetzt. Doch gerade durch das Abschleppen gelangen "die Meeressäuger in das Bewusstsein der Öffentlichkeit", wie eine Meeresbiologin erklärt. In etwa 20 Monaten wird sich die Insel wieder wie vor der Katastrophe zeigen. Selbst die riesigen Steckmuscheln, so ist in der FAZ zu lesen, wird man dann wieder an "ihren angestammten Platz zurückgebracht" haben.
Das ist beruhigend zu wissen. Denn schließlich kann die Steckmuschel nichts dafür, dass sich der Kapitän der "Costa Concordia" zu einem Manöver hinreißen ließ, bei dem das ihm anvertraute Schiff havarierte. Als Spätfolge kommen nun in den nächsten Tagen auf Wale und Delphine "Belastungen" zu – nicht auszudenken, würde einer der Meeressäuger von dem Wrack gerammt werden und Schaden nehmen, womöglich untergehen. Wir wollen es nicht hoffen!
Im Januar vor zwei Jahren verließ der Kapitän bereits das gekenterte Schiff, als sich noch hunderte Menschen an Bord befanden. An die von ihm verursachten Umweltschäden wird er ebenso wenig gedacht haben wie an die in Not geratenen Passagiere, von denen 32 starben. Sie können – anders als die Steckmuschel – von niemandem zurückgebracht werden.
Kollisionen und Traumata
Schneller reisen hat seinen Preis – mit zunehmender Geschwindigkeit steigt das Unfallrisiko. Der Wunsch nach Ortsveränderungen in kürzester Zeit führt dazu, so der französische Philosoph Paul Virilio, dass sich Reisende anderen Trägerelementen anvertrauen, etwa dem Wasser oder der Luft. Seither ist die Angst mit an Bord. In Kreuzfahrtschiffen, die den Eindruck von mobilen Hotels erwecken, sieht Virilio ein Anzeichen, Gefahren zu kaschieren, um so das "Unwohlsein des Wartens auf die Ankunft" zu minimieren. Virilio behauptet: "Wenn alles Bewegung ist, ist alles gleichzeitig Unfall, und unsere Existenz als metabolisches Fahrzeug ließe sich zusammenfassen in einer Reihe von Kollisionen und Traumata."
Soweit Virilio. Doch im Unterschied zu ihm gelten heute Reisen mit modernen Verkehrsmitteln als absolut normal – wodurch Virilios Einsicht allerdings nicht widerlegt wird. Geschwindigkeit – und dabei denkt Virilio in erster Linie an Automobile, Hochgeschwindigkeitszüge und Flugzeuge – wird zu etwas Fatalem, so lange es uns nicht freisteht, eine „Maschine zur Verlangsamung zu erfinden." Allein der Unfall kann uns, so der Vertreter der Dromologie, der Lehre von der Geschwindigkeit, zur "Verlangsamung bringen".
Die "Costa Concordia" wäre wahrscheinlich sicher im Zielhafen vor Anker gegangen, hätte sich der Kapitän nicht mit einem waghalsigen Manöver vor der Insel Giglio "verneigen" wollen. Anders als die "Titanic", die zu schnell durch gefährliche Gewässer fuhr, hielt die "Costa Concordia" nicht genügend Abstand zu einer felsigen Küste.
Beide Unglücke nahmen ihren Verlauf, weil es neben der Geschwindigkeit, als einem Phänomen der Moderne, wie seit alters her die menschliche Hybris ist, die sich als ein unkalkulierbarer Faktor erweist. Ob Kapitäne das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen, kann erst einschätzen, wer unbeschadet ans Ziel gelangt ist. Die Sicherheit von Walen und Delphinen lässt sich durch ein Vorauskommando relativ einfach garantieren – die der modernen Reisenden hingegen immer weniger.
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