Reisen braucht Zeit
Von Sanssouci nach Neuschwanstein, vom Säulengebirge des Kölner Doms zum erhebenden Anblick der Burgen am Rhein, vom Trubel des großstädtischen Berlins in beschauliche Fachwerkstädtchen - das Buch "Legendäre Reisen in Deutschland" zeigt, wie Reisende im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts das Land erlebten.
Können Steinbrüche opulent sein? Oh ja - und die "Legendäre(n) Reisen in Deutschland" sind ein wunderbares Beispiel dafür. Man könnte sie auch eine Diamantmine nennen, wenn deren geballte Schätze nicht so tief unter der Erde im gefährlichen Dunkel lägen. Dieses Buch hat nichts Dunkles, Gefährliches.
Es passt auch - zum Glück - weder ins Handgepäck, das dem modernen Schnell-und-Weit-Flieger als innerer Maßstab gilt, noch gar in die Trekking-Westentasche, mit denen der moderne Wanderer unterwegs ist. Es ist etwa so groß wie unser Schreibpapier, vier Zentimeter dick und kiloschwer, und wer es auf seinen eigenen Touren dabeihaben wollte, müsste reisen wie damals, als man, wenn man in die Ferne schweifen wollte, auch passendes Dienstpersonal zur Hand hatte.
Aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert stammen die allermeisten Stücke dieses Buchs: Fotografien, Zeichnungen, Postkarten, Faksimiles von Menüs, Reklamezettel für Hotels, Eisenbahnstationen und touristische Attraktionen à la mode, liebevoll layoutet, aufwendig gestaltet. Immer wieder springen einem beim Blättern beigeheftete Kleinigkeiten entgegen, ein bisschen wie bei den Spielzeug-Panoramen oder -Intérieurs, die sich beim Aufklappen in drei Dimensionen entfalten, sorgfältig gedruckt und gespickt mit Zitaten von Reisenden.
Subjektive Eindrücke von zufälligen Aufenthalten oder systematischere Erkundungen von Orten, Landschaften, Bewohnern. Gedanken- und Textsplitter von fast zweihundert Reisenden, verstreut über die Seiten. Große Namen aus verschiedensten Gefilden - von Gautier bis Josephine Baker, Heine bis Lilja Brik, Turgenew bis Elsa Triolet, Mark Twain bis Lola Montez. Und Baedeker, natürlich.
In fünf Abschnitten kann man schürfen. Man fängt an beim deutsch-romantischen Mythos par excellence, dem Rhein, gräbt weiter an der Donau im Alpenvorland, wendet sich dann der Mitte mit Wartburg und Brocken zu. Zieht von da östlich von Berlin in die Sächsische Schweiz und widmet sich schließlich den beiden deutschen Küsten an Nord- und Ostsee.
Fünf Routen, die jeweils mit Anmerkungen zu Verkehr, Kultur und Geschichte eingeleitet und auf einer Karte abgebildet sind. Die Karten sind ein drolliges Paradox: Deutschland - politisch-korrekt in den Grenzen nach 1945. Ein Deutschland, das es damals entweder gar nicht oder nicht in den Grenzen gab. Nicht nur die vielen und zunächst privat betriebenen Eisenbahngesellschaften künden davon und regen zum Nach-Denken über Duodez- und Reichszeiten, über regionale Identität und Nationalcharakter an.
Zum Glück ist all das kein Pocket Book, sondern ein veritables Coffee-Table Book geworden. So üppig und schwergewichtig erinnert es einen ganz nebenbei daran, dass Reisen heute mit diesen übermenschlich schnellen Verkehrsmitteln immer einen heimlichen Selbstbetrug enthält.
Kopf und Herz kommen gar nicht so schnell an wie der Körper. Reisen braucht Zeit. In diesem Buch kann man mit Muße reisen, man kann sogar vom Weg abkommen, ohne sich physisch fortzubewegen. Man reist durch die Zeit und stößt auf edle Steine aller Art.
Rezensiert von Pieke Biermann
Marc Walter/Alain Rustenholz/Sabine Arqué, Legendäre Reisen in Deutschland
Deutsch von Karin Boden und Monique Lütgens
Frederking & Thaler, München
320 Seiten, 19,90 Euro
Es passt auch - zum Glück - weder ins Handgepäck, das dem modernen Schnell-und-Weit-Flieger als innerer Maßstab gilt, noch gar in die Trekking-Westentasche, mit denen der moderne Wanderer unterwegs ist. Es ist etwa so groß wie unser Schreibpapier, vier Zentimeter dick und kiloschwer, und wer es auf seinen eigenen Touren dabeihaben wollte, müsste reisen wie damals, als man, wenn man in die Ferne schweifen wollte, auch passendes Dienstpersonal zur Hand hatte.
Aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert stammen die allermeisten Stücke dieses Buchs: Fotografien, Zeichnungen, Postkarten, Faksimiles von Menüs, Reklamezettel für Hotels, Eisenbahnstationen und touristische Attraktionen à la mode, liebevoll layoutet, aufwendig gestaltet. Immer wieder springen einem beim Blättern beigeheftete Kleinigkeiten entgegen, ein bisschen wie bei den Spielzeug-Panoramen oder -Intérieurs, die sich beim Aufklappen in drei Dimensionen entfalten, sorgfältig gedruckt und gespickt mit Zitaten von Reisenden.
Subjektive Eindrücke von zufälligen Aufenthalten oder systematischere Erkundungen von Orten, Landschaften, Bewohnern. Gedanken- und Textsplitter von fast zweihundert Reisenden, verstreut über die Seiten. Große Namen aus verschiedensten Gefilden - von Gautier bis Josephine Baker, Heine bis Lilja Brik, Turgenew bis Elsa Triolet, Mark Twain bis Lola Montez. Und Baedeker, natürlich.
In fünf Abschnitten kann man schürfen. Man fängt an beim deutsch-romantischen Mythos par excellence, dem Rhein, gräbt weiter an der Donau im Alpenvorland, wendet sich dann der Mitte mit Wartburg und Brocken zu. Zieht von da östlich von Berlin in die Sächsische Schweiz und widmet sich schließlich den beiden deutschen Küsten an Nord- und Ostsee.
Fünf Routen, die jeweils mit Anmerkungen zu Verkehr, Kultur und Geschichte eingeleitet und auf einer Karte abgebildet sind. Die Karten sind ein drolliges Paradox: Deutschland - politisch-korrekt in den Grenzen nach 1945. Ein Deutschland, das es damals entweder gar nicht oder nicht in den Grenzen gab. Nicht nur die vielen und zunächst privat betriebenen Eisenbahngesellschaften künden davon und regen zum Nach-Denken über Duodez- und Reichszeiten, über regionale Identität und Nationalcharakter an.
Zum Glück ist all das kein Pocket Book, sondern ein veritables Coffee-Table Book geworden. So üppig und schwergewichtig erinnert es einen ganz nebenbei daran, dass Reisen heute mit diesen übermenschlich schnellen Verkehrsmitteln immer einen heimlichen Selbstbetrug enthält.
Kopf und Herz kommen gar nicht so schnell an wie der Körper. Reisen braucht Zeit. In diesem Buch kann man mit Muße reisen, man kann sogar vom Weg abkommen, ohne sich physisch fortzubewegen. Man reist durch die Zeit und stößt auf edle Steine aller Art.
Rezensiert von Pieke Biermann
Marc Walter/Alain Rustenholz/Sabine Arqué, Legendäre Reisen in Deutschland
Deutsch von Karin Boden und Monique Lütgens
Frederking & Thaler, München
320 Seiten, 19,90 Euro