Reiseerzählung

Meditation am Meer

Von Tobias Lehmkuhl · 26.02.2014
Die Reise von Henry David Throeau 1849 zum Kabeljau-Kap war eine Zeit der Meditation. Seine Erzählung reißt den Leser in die Welt der Möwen, Muscheln und Quallen. Mal intensiv, mal unterkühlt - ganz wie das Meer.
Er habe sich einen besseren Eindruck vom Ozean verschaffen wollen, schreibt Henry David Throeau. Also bricht er im Jahr 1849 erstmals nach Cape Cod auf, dem Kabeljau-Kap, einer vor Massachusetts gelegenen Halbinsel. Heute ist das Kap ein begehrter Ferienort, viele reiche New Yorker unterhalten hier ihr Sommerhaus, ein Sylt der amerikanischen Ostküste, mit weißen Sandstränden so weit das Auge reicht.
Die Strände waren zu Thoreaus Zeiten schon da, auch die Dünen und der sich im Wind des Atlantiks wiegende Strandhafer. Die wenigen Bewohner aber kannten noch keinen Tourismus, und so erschien ihnen Thoreau, der damals gerade seine Hütte am Walden-See verlassen hatte, einigermaßen verdächtig. Als die örtliche Bank ausgeraubt wird, hält man für einen Moment diesen stundenlang am Strand herumlungernden Sonderling für den Täter.
Ansonsten scheint Thoreau bei den Einheimischen gute Aufnahme gefunden zu haben; viel erfährt er von einem alten Austernhändler über die reichhaltigen Austernbänke vor der Küste, und auch die Jagd auf Grindwale darf er hautnah miterleben.
Ähnlich spektakulär beginnt sein Bericht: Gerade als er das Kap erreicht, werden dutzende Leichen einer Brigg angeschwemmt, die zwei Tage zuvor Schiffbruch erlitten hat. Ansonsten aber passiert in "Kap Cod" nicht viel, es ist ein Buch stiller Betrachtungen, ein Mischmasch der Formen: Die kurz aufblitzenden Reportageelemente werden gleich wieder abgelöst von tagebuchartigen Passagen, meditativen Landschaftsbeschreibungen und der mit vielen Zitaten gespickten Historie der Halbinsel.
Selbst die Langeweile wird gezielt eingesetzt
Ein in seiner Form so unentschiedenes, ausschweifendes und zuweilen ermüdendes Buch würde heute, hieße der Autor nicht Thoreau, zweifellos nicht mehr verlegt werden - wobei Thoreau die Langeweile mitunter sogar planvoll erzeugt, etwa wenn er seitenlang die Abfolge der Geistlichen auf Kap Cod referiert: "Es gab keinen besseren Weg, um dem Leser verständlich zu machen, wie weit und seltsam diese Ebene war und wie lange es dauerte, sie zu durchqueren, als den, diese Auszüge in meine Erzählung einzufügen."
"Kap Cod" ist ein Buch für Leser mit viel Geduld. Hat man aber einmal die Muße und lässt sich auf Thoreaus gemessenen Stil ein, wird man vor allem in den Landschaftsbeschreibungen belohnt, man versinkt gleichsam in seinen Meeres-Meditationen, ganz als säße man selbst am Strand, schaute hinaus auf die Wellen und lauschte der "Ozean-Musik".
Den Ozean kennenzulernen war Thoreaus Beweggrund für seine Reise, und tatsächlich merkt man ihm die Begeisterung und Leidenschaft der ersten Begegnung an, das Staunen angesichts von Möwen, Muscheln, Quallen, Tang. Fast könnte man meinen, hier berichte einer von der ersten Liebe. Meist aber weiß Thoreau seine Gefühle hinter der Maske des Landvermessers, des Botanikers und Ornithologen gut zu verstecken. Nicht zuletzt seinen Homer führt dieses Meeres-Neuling stets auf den Lippen. Aber man kann schlechtere Autoren zitieren.

Henry David Thoreau: Kap Cod
Übersetzt von Klaus Bonn
Residenz Verlag, Wien 2014
320 Seiten, 24,95 Euro

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