Reisebericht einer Pilgerfahrt

22.09.2011
In seinem neuen Buch berichtet Thomas Glavinic über eine Pilgerfahrt auf den Balkan, die er gemeinsam mit dem Fotografen Ingo unternommen hat. Die Geschichte ist eine Beschreibung einer Reise der anderen Art und der Gegenstand dieser Reportage ist der Autor selbst.
Schon wieder ein Titel von Thomas Glavinic. Erst im Frühjahr hatte es mit "Lisa" einen schmalen Roman des österreichischen Schriftstellers gegeben, der nicht zu seinen stärksten Werken gehört. Sollte "Unterwegs im Namen des Herrn" etwa eine Art literarische Wiedergutmachung sein?

Eher nicht. Denn dieses Buch ist kein Roman, sondern eine Reportage, der Reisebericht einer Pilgerfahrt: Mit seinem Freund Ingo, einem Fotografen, hat Glavinic sich auf den Weg ins bosnische Medjugorje gemacht, wo 1981 drei kleinen Bauernjungen die Jungfrau Maria erschienen sein soll. Seitdem ist die Ortschaft eine viel besuchte Pilgerstätte geworden.

Glavinic und Ingo sitzen also von Wien aus in einem Bus nach Medjugorje, 14 Stunden lang, mit einer großen Gruppe von Pilgern. Der Grund: "Ich will Menschen in ihrem Glauben erleben, vielleicht auch, weil ich sie irgendwo tief in mir darum beneide." Nur hat man von Beginn an den Eindruck, dass Glavinic vor allem seine Vorurteile bestätigt sehen will. Und dass er nicht ganz bei der Sache ist, weil ihm seine Neurosen, Macken und Schlawinereien, seine eingebildeten und nicht eingebildeten Krankheitssymptome und sein Alkohol- und Pillenkonsum immer wieder in die Quere kommen. So sind natürlich die Pilger allesamt merkwürdige Typen, denen der schreibende Glaubenssucher nicht wirklich näher kommt. Nur komisch findet er sie - und sie ihn, er wird ja gleich als Nichtgläubiger ausgemacht.

Und natürlich wird Glavinic während der Busfahrt ordentlich auf den Glauben eingestimmt: durch den Reiseleiter, durch Filme über einen Pater Slatko, durch Radio Maria, durch Botschaften der Muttergottes. Und natürlich ist Medjugorje ein einziger Nepp, ein Ort, in dem sich ein Souvenirladen an den anderen reiht, ein Lokal ans andere.

Die Rettung von Glavinic, Ingo und nicht zuletzt des Lesers naht in Form von Glavinic‘ Vater, der beide ins kroatische Split bringt, wo sie wiederum von einem Mafiaboss in Beschlag genommen werden. Was folgt, ist eine an Absurditäten reiche Partynacht in der Villa des Mafiamanns sowie am nächsten Tag ein gefährlicher, höchst unruhiger Flug von Split nach Wien.

Glavinic überlebt das alles mit vielen Drogen - und mit den Broschüren aus Medjugorje, den Botschaften von Maria, der Muttergottes, die aber eine höchst nervtötende Lektüre sind. Es ist fast rührend, wie Glavinic hier im wirklich besseren, farbigeren, groteskeren zweiten Teil seinen Wahnsinn in dem der Mafiagrößen und der Pilger spiegelt und zu der Erkenntnis gelangt: "Ich weiß, dass ich von Geburt an von ihnen getrennt bin und dass ich mich immer danach sehnen werde, einer von ihnen zu sein, irgendwie."

"Das bin doch ich", heißt ein früher Roman von Thomas Glavinic, das hier könnte gewissermaßen Teil zwei sein: Das Ganze ist eine sehr Ich-bezogene Pilgerfahrt der anderen Art, der Gegenstand dieser Reportage ist der Autor selbst. Zum Teil ist das ganz lustig, setzt aber viel Interesse an der Person Glavinic‘ voraus. Ein kleines Büchlein also, das passagenweise durchaus lesbar ist, mit dem Thomas Glavinic sich aber dem Verdacht aussetzt, sein Talent unnötig zu verschwenden. Vielleicht sollte er einmal zwei Jahre mit einer Buchveröffentlichung warten.

Besprochen von Gerrit Bartels

Thomas Glavinic: "Unterwegs im Namen des Herrn"
Hanser Verlag, München 2011
207 Seiten, 17,90 Euro
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