Reise nach innen

23.06.2009
Ein Professor, der von seiner Frau verlassen wurde, eine von Selbstzweifeln zerfressene Fotografin und ein Aquarist begegnen sich auf einem Flughafen. Allmählich rücken die Figuren näher zusammen - und scheinen sich mit ihren Existenzbedingungen nicht mehr abfinden zu wollen.
Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen gehören zu den Orten, die die Fantasie von Schriftstellern besonders befördern. Wo Menschen aus ihrem Alltagsdasein gerissen werden, wo sie eine Interimsbehausung beziehen oder sich im unsicheren Stadium des Unterwegs-Seins befinden, da erscheinen die üblichen Verlässlichkeiten in verändertem Licht, und da ereignen sich nicht selten Aufbrüche zu neuen Ufern.

Auch die heute im Unterengadin lebende Angelika Overath, Jahrgang 1957, greift in ihrem zweiten Roman auf dieses Ambiente zurück und führt ihre Leser in das "Flight Connection Centre" eines futuristisch anmutenden Großflughafens irgendwo in Westeuropa. In achtzehn schmalen Kapiteln präsentiert sie drei Protagonisten, die im steten Kommen und Gehen der abertausend Passagiere ihren eigenen Gedanken und Erinnerungen nachhängen. Da ist ein rauchender, sich dem Maltwhisky ergebender Professor für Biochemie, dessen Frau ihm nach dreißig Ehejahren per SMS Lebewohl gesagt hat. Da ist Elisabeth, Fotografin für Hochglanzmotive, die an ihrem Beruf zweifelt und übermüdet von einem Auftrag aus Asien zurückkehrt. Und da ist Tobias, ein gelernter Schreiner, der sich seit Jahren als Aquarist um die Attraktion des Flughafens kümmert: Ein 200.000-Liter-Meereswasserbecken, das als Pilotprojekt gilt.

In einem Verweise auf T.S. Eliot und Peter Handke einbeziehenden Stil, der einen lakonischen, bisweilen sehr kühlen Ton mit der genauen Beschreibung von Details (vor allem natürlich aus der Tier- und Pflanzenwelt des Aquariums) verbindet, rückt Overath ihre Figuren allmählich näher zusammen. Während die in der Ich-Form monologisierende Figur des Professors eher blass und klischiert wirkt, entwickelt sich ein großer Reiz, sobald Elis und Tobias miteinander Kontakt aufnehmen.

So fremd sich beide anfangs sind und so eigentümlich sie anfangs aneinander vorbeireden - in ihren Ausführungen zu Doktor- und Anemonenfischen, zum mühsamen Aufbau eines Aquariums, zur Geschlechtlichkeit von Fischen, zur Aufzucht von Seepferdchen, zum Berufsbild eines Piloten oder zum Marktleben in China -, so zart lesen sich jene Passagen im Schlussteil der Roman genannten Erzählung: Elis und Tobias beginnen zaghaft, ihre wohl gehüteten Schneckenhäuser zu verlassen, und scheinen sich mit ihren gegenwärtigen Existenzbedingungen nicht mehr zufrieden geben zu wollen.

Man merkt dem Buch an, dass Angelika Overath seit vielen Jahren als Reporterin arbeitet. Wenn sie eine Kellnerin beobachtet, die sich mit dem Öffnen von Austern abmüht, oder eine Wachtelverkäuferin in Kunming, die im Sekundentakt tötet, dann tun sich grandiose Bilder auf, die in scharfem Kontrast zur nüchternen Duty-Free-Welt des Flughafens stehen. Einen solchen magischen Rahmen zu errichten und diesen, vielleicht, zum Ausgangspunkt einer Liebesgeschichte zu machen, das ist die Stärke dieses Romans.

Besprochen von Rainer Moritz

Angelika Overath: Flughafenfische. Roman
Luchterhand Verlag, München 2009
174 Seiten, 17,95 Euro