Reise in die Freiheit

Der kalifornische Schriftsteller William T. Vollmann wollte einfach nur raus. Wie die alten Tramps, die sogenannten Hobos, reiste er illegal auf Getreidewaggons und in Güterwagen. Auf den Spuren der amerikanischen Wanderarbeiter stieß er auf Freiheit und Elend zugleich.
William T. Vollmann, 1959 in Los Angeles geboren, ist Autor zahlreicher Romane, Erzählbände, Essays und Sachbücher, für die er unter anderem mit dem "American Book Award" und dem "Mildred and Harold Strauss Living Award" ausgezeichnet wurde. In Deutschland wurde er vor allem durch "Huren für Gloria" bekannt. "Hobo Blues" ist sein drittes Buch in deutscher Übersetzung.

"Riding Toward Everywhere" (so der Originaltitel von William T. Vollmanns neuestem Werk), "nach überall reisen" möchte dieser große Grenzgänger der jüngeren amerikanischen Literatur. Ungehindert, ohne Gängeleien und Schikanen an Flughäfen, ohne die Einschränkungen durch Heimatschutzbestimmungen, die ganze Paranoia und Hysterie gegenüber jeglicher Art von Nonkonformität, die sich in den USA nicht erst, aber ganz besonders seit 9/11 breitmacht.

"Ich muss hier raus", so der wiederholte Aufschrei des Autors, der sich umblickt in seinem "immer unamerikanischer werdenden Amerika". Der sich unter der Regierung eines "Folterpräsidenten" in die innere Emigration begibt, bei Henry David Thoreau, dem Propagandisten des einfachen Lebens und Widerstands gegen einen autoritären Staat, Trost sucht. Wie auch bei Hemingway, dem Barden des virilen amerikanischen Einzelkämpfers, bei Mark Twain und Jack Kerouac auf ihrer ewigen Fahrt, und bei Jack London, dem Abenteurer des Schienenstrangs. Und der sich dabei auf einen Mythos besinnt: Den Hobo, den amerikanischen Tramp, der zu Zeiten der Großen Depression zu Tausenden die Bahngleise und Güterzüge bevölkerte, um wegzukommen aus Not und Elend, in ein gelobtes Land, den "Big Rock Candy Mountain", wo Whiskyquellen sprudeln, die Gefängnisse aus Blech sind und alle Polizisten Holzbeine haben.

Vollmann versucht, es ihnen gleichzutun und fährt jahrelang auf dem Schienenstrang, illegal, auf offenen Getreidewaggons, im geschlossenen Güterwagen, ohne zu wissen wohin - meist mit Freunden, Gleichgesinnten, "Bürgern" wie er. In "Hobo Blues", einer Mischung aus Reportage und Tagebuch, Essay, Reisebericht und Fotoalbum, schildert er seine Erlebnisse in einer journalistisch-nüchternen und zugleich herrlich trockenen, poetischen Sprache, klar und wahrhaftig, wie Hemingway es verlangt. Und trotz des Elends, dem er auf der Suche nach den letzten Hobos begegnet, ist dieses Buch weder Blues noch Abgesang, auch nicht unbedingt ein "Nachtbild".

Eher eine Art dylaneskes Loblied auf Leichtsinn, Bockigkeit und Risikobereitschaft. "Reisen ist das Paradies der Narren", schreibt Vollmann, aber er zitiert auch aus bezahlten Interviews mit den letzten Eisenbahntramps, deren Begeisterung über ihr Dasein sich durchaus in Grenzen hält. Dann aber schildert er wieder das Gefühl unbändiger Freiheit, wenn man im falschen Zug den Pazifik entlang oder in die eisigen Berge fährt. Wenn sich nicht mehr die Frage nach dem "Wo bin ich", sondern nur mehr nach dem "Wer bin ich" stellt.

Nur einen schöneren deutschen Titel hätte dieser Bericht über Reisen nach überall verdient.

Besprochen von Georg Schmidt

William T. Vollmann: Hobo Blues - Ein amerikanisches Nachtbild
Übersetzt von Thomas Melle
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
275 Seiten, 19,80 Euro