Reise durch die arabische Welt

16.12.2009
"Der Weg nach Mekka" ist eine Mischung aus Reise- und Bekenntnisbericht aus der arabischen Welt der 20er- und 30er-Jahre. Der Autor brilliert vor allem durch seine scharfen Analysen hinsichtlich der politischen, sozialen und religiösen Verhältnisse im Nahen Osten.
Muhammad Asad wurde 1900 mit dem Namen Leopold Weiß im galizischen Lemberg in eine polnisch-jüdische Akademikerfamilie geboren und wuchs in Wien auf. Schon früh zeichnet sich seine Abenteuer- und Reiselust ab: Als Jugendlicher möchte Leopold Weiß mit der österreichischen Armee in den Krieg ziehen, wird aber gerade noch von seinen Eltern daran gehindert. Später studiert er dann Kunstgeschichte, aber auch das ist ihm nicht genug. Rastlos macht er sich auf ins Berlin der 1920er-Jahre und kommt nach einigen Hungermonaten bei einer Nachrichtenagentur unter.

Als ihn die Einladung eines Onkels aus Jerusalem erreicht, entschließt er sich zu einer Reise in den Nahen Osten, die zu einem Wendepunkt im Leben des damals 22-Jährigen werden sollte. Er kommt zum ersten Mal mit dem Islam in Berührung, der ihn fasziniert. Die Einfachheit und Spiritualität dieser Religion ist für ihn ein Gegenpol zu dem von ihm verabscheuten Materialismus der westlichen Welt.

Seine Beobachtungen vor Ort schickt er an diverse deutsche Tageszeitungen, doch alle lehnen die Veröffentlichung ab. Einzig die "Frankfurter Zeitung" ist begeistert und ernennt ihn zum Sonderkorrespondenten für den Nahen Osten. Mit seinen kenntnisreichen und glänzend geschriebenen Artikeln macht er sich bald einen Namen. Er kehrt nach ausgedehnten Reisen in der Region nach Berlin zurück, wo er 1926 in der dortigen Moschee zum Islam konvertiert und sich fortan Muhammad Asad nennt. Er beschließt, seine Verbindungen mit der alten Heimat abzubrechen und ganz in den Orient auszuwandern.

Zusammen mit seiner deutschen Frau und deren Sohn kehrt er in den Nahen Osten zurück. Der Konvertit trägt fortan orientalische Kleidung und spricht statt Deutsch Arabisch. Hauptziel seiner Reise ist diesmal Mekka. Dort verliert er seine Frau durch einen jähen Tod. Er unternimmt weitere ausgedehnte Reisen, über die er ausführlich berichtet. Dabei erlebt er den Aufstieg des saudischen Königshauses und wird zum persönlichen Berater des Monarchen Abdel Aziz Ibn Saud. In der wahhabitisch rigiden Doktrin der Saudis glaubt der Wahrheitssucher Asad zunächst die erhoffte Erneuerung des Islams aus dem Geist seiner Ursprünge zu erkennen, bis er sich auch von ihm enttäuscht abwendet und das Land verlässt, zusammen mit seiner neuen Frau, einer Beduinin aus angesehener Familie, und dem gemeinsamen Sohn Talal. Über Karachi zieht er weiter in die Gegend des Panjab. In Indien lernt er den Dichter und Begründer Pakistans, Muhammad Iqbal, kennen und arbeitet an den Entwürfen der pakistanischen Verfassung mit. Danach wird er einer der ersten Botschafter Pakistans bei den Vereinten Nationen in New York.

"Der Weg nach Mekka" ist eine Mischung aus Reise- und Bekenntnisbericht, die den Zeitraum Anfang der 20er- bis Mitte der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts umfasst, entworfen und spannend geschrieben von einem unruhigen Geist, der für sein junges Alter vom Leser aber schon sehr reif und klug erlebt wird. Neben den ausführlichen und hochinteressanten historischen Ausführungen, die das Buch zu einem wichtigen Dokument der Geschichte des Nahen Ostens dieses Zeitabschnitts machen und die helfen, die heutigen Konflikte in der Region besser zu verstehen, brilliert der Autor vor allem durch seine scharfen Analysen hinsichtlich der politischen, sozialen und religiösen Verhältnisse im Nahen Osten.

Gegner des jüdischen Zionismus, der er trotz seiner Herkunft ist, sieht er – viele Jahre vor der Katastrophe des Holocausts sowie der Gründung des Staates Israel – den drohenden Konflikt zwischen jüdischen Einwanderern und arabischen Bewohnern in der Region voraus. Messerscharf seziert er auch den Konflikt zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum, zwischen Tradition und Moderne und nimmt dabei unwissentlich auch die heute aktuell schwelenden Konflikte vorweg. Und immer wieder ist der Leser überrascht, wie viele Länder dieser zweite "Lawrence von Arabien" bereist und wie viele berühmte Persönlichkeiten er in dieser Zeit kennengelernt hat.

Doch Muhammad Asad ist nicht nur ein leidenschaftlicher Journalist und begnadeter Schreiber, er setzt sich auch intensiv und kritisch mit den Lehren des Islam auseinander und untersucht sie auf ihre noch vorhandene Gültigkeit hin. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Muslime selber verantwortlich sind für den sozialen und politischen Niedergang ihrer Länder, da sie die Prinzipien ihrer Religion, die sie einst so groß gemacht hat, vernachlässigt haben, statt sie zu beherzigen und umzusetzen; Prinzipien wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit zwischen Mann und Frau sowie Streben nach Wissen.

Als Gründe dafür macht er Trägheit und Unwissenheit aus und empfiehlt den Muslimen das selbstständige Denken und den Gebrauch der Vernunft. Dadurch wird Muhammad Asad von Muslimen, vor allem im Westen, als der Begründer eines Reformislams angesehen. Nebenher gibt der Autor tiefen Einblick in die religiösen Praktiken und Rituale der Muslime, so intensiv und authentisch, als sei der Leser selbst bei der Ausführung anwesend. In einer Zeit, in der die Präsenz des Islam in Europa immer kritischer werdenden Dialogen ausgesetzt ist, könnte die Lektüre von "Der Weg nach Mekka" aus der Feder eines europäischen Muslims die für viele Menschen hierzulande immer noch "fremde" Religion Islam verständlicher machen.

Besprochen von Abdul-Ahmad Rashid

Muhammad Asad: Der Weg nach Mekka
Patmos Verlag, Düsseldorf 2009
220 Seiten, 24,90 Euro