Reinhold Ewald: Blick auf die Erde macht "sehr bescheiden"

Reinhold Ewald im Gespräch mit Susanne Führer · 14.07.2009
Die Sicht von außen offenbare die "Verlorenheit der Erde im All", beschreibt Reinhold Ewald die Grenzerfahrung einer Weltraumreise. Durch die Schwerelosigkeit müsse man für Knochen und Muskeln aktiv Vorsorge treiben, so Ewald. Der Forscher war 1997 auf der Raumstation Mir und leitet heute die sogenannte Columbus-Mission.
Susanne Führer: In einer Woche jährt sich die erste Mondlandung zum 40. Mal. 600 Millionen Menschen in der ganzen Welt sahen an den Fernsehern dabei zu, wie Neil Armstrong und Edwin Aldrin als erste Menschen den Mond betraten. Menschen auf dem Mond, Menschen im All – das ist eine existenzielle Erfahrung, die seither nur wenige machen konnten. Reinhold Ewald gehört zu diesen wenigen, er ist einer von zehn Deutschen, die den Weltraum bereist haben. Heute leitet er die Columbus-Mission beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Guten Tag, Herr Ewald!

Reinhold Ewald: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Sie waren zwar nicht auf dem Mond, das ist ja nicht mehr in heute, aber auf der Raumstation Mir 1997 fast drei Wochen lang. Wie haben Sie das erlebt, Herr Ewald?

Ewald: Als große Chance, ein bedeutendes berufliches, aber auch natürlich so meiner Neugier dienendes Projekt allein in die Hand zu bekommen. Das ist sicherlich im Vordergrund gewesen bei der Vorbereitung, bei der Durchführung auch. Auch mein Hoffen und Bangen war, dass diese Experimente, die ich da oben an Bord der Mir-Raumstation ausführen sollte, in Gang kamen, dass ich Ergebnisse produzierte und die persönlichen Eindrücke oder die persönlichen Ängste standen sicherlich im Hintergrund.

Führer: Ist denn die Erde schön von da oben?

Ewald: Ja, das kam man natürlich nicht umhin, sofort zu sehen, wenn man rausschaute. Wir haben ja nicht die ganze Erde vor uns, wir sind ja nicht so entfernt wie die Mondfahrer, dass wir diese blaue Murmel fotografieren und sehen konnten. Wir haben schöne Ausschnitte, vor allen Dingen dann, wenn der Horizont mit im Blickfeld ist, wenn man also das dünne Band der Atmosphäre sieht. Wenn man diese Kontraste zwischen hell und dunkel – das Weltall völlig schwarz und die Erde dagegen strahlend blau und weiß – sieht, das sind schon Momente, wo man innehält und auch ohne Fotoapparat mal für sich ganz persönlich diese Dinge verinnerlicht.

Führer: Fühlt man sich da eigentlich so ganz klein oder eher ganz groß?

Ewald: Sehr bescheiden, sehr, sehr bescheiden. Wir müssen mit gewaltigen Kräften, eben mit einer ganzen Raketenladung voll Treibstoff müssen wir ins All geschossen werden, um da oben überhaupt bleiben zu können, diese ungeheure Geschwindigkeit, die wir brauchen, um um die Erde kreisen zu können, wir müssen mit allerhand technischen Vorsorgegeräten uns umgeben, um in dieser Umgebung zu leben, überleben und auch arbeiten zu können – das macht schon sehr bescheiden.

Führer: Es gibt ja auch Menschen, die danach dann so richtig zu, wie soll man sagen, radikalen Umweltschützern geworden sind, weil sie da diese blaue Erde – auch wenn sie jetzt nicht die ganze Kugel gesehen haben, aber Sie haben das ja gerade sehr schön beschrieben – doch so ein bisschen in ihrer Schönheit und auch in ihrer Schutzlosigkeit sehen.

Ewald: Und vor allen Dingen sehr authentisch davon erzählen können. Wir sind in 90 Minuten einmal um die Welt herumgeflogen. Die mag ja unendlich ausgedehnt sein, wenn man sich in Bodennähe über Autobahnen und verstopfte Straßen da bewegen muss. Um die Erde in 90 Minuten – das gibt schon einen Eindruck, dass das endlich ist, dass es zwar groß ist, aber dass es endlich ist, dass was wir auf der einen Seite der Erde tun, sicherlich irgendwie durch Luftverwirbelungen und Meeresströmungen Auswirkungen auf der anderen Seite der Welt hat. Und das ist eigentlich eine globale Sicht, die sich aus dieser Perspektive 400 Kilometer über der Erde sehr schnell und sehr unmittelbar erschließt und damit auch natürlich das Erzählen, das Vortragen, das weitere Handeln dann beeinflusst.

Führer: Jetzt haben wir vor allem von den schönen Seiten gesprochen, Sie haben schon ein bisschen die Ängste erwähnt, denn man darf ja nicht vergessen: Eigentlich ist ja der Mensch für den Aufenthalt im All nicht gemacht und Sie haben gerade die ganzen Vorkehrungen beschrieben, die getroffen werden müssen, damit man da hochkommt. Bekommt man da nicht auch vielleicht große Angst plötzlich?

Ewald: Wie gesagt, das Training richtet einen darauf ein, während der Mission, vor der Mission, in dem Moment des Starts und auch während der Mission zu funktionieren, also als Rädchen in diesem Getriebeprojekt Mir 97 oder Projekt Internationale Raumstation zu funktionieren. Dazu möchte man seinen Beitrag liefern als technischer Mensch. Wir kommen ja alle irgendwo aus technischen Studien oder haben Berufserfahrung in diesen Bereichen, und so macht man da auch in erster Linie mit, gegen seine, na ja, urtümlichen Ängste, dass man jetzt auf der Spitze einer Rakete sitzt, die 300 Tonnen Treibstoff unten gebunkert hat. Ich glaube, da liegt natürlich auch ein gewisses Vertrauen in die Technik dieser Einstellung zugrunde, dass man schon darauf vertraut, dass Rettungsmöglichkeiten und Sicherheitsdinge eingebaut sind, so, wie wir das im Training gezeigt bekommen haben. Meine Sorge galt mehr dem Gelingen der Mission als meinem persönlichen Schicksal, muss ich ehrlich sagen, auch in dem Moment, als wir an Bord ein Feuer hatten. Als es brenzlig wurde und die Mission auf der Kippe stand, haben wir eigentlich erst mal unsere technischen Möglichkeiten ausgenutzt, bevor so richtig die Möglichkeiten durchdekliniert wurden, was wäre gewesen, wenn.

Führer: Man kann da ja nicht wirklich weglaufen vor dem Feuer.

Ewald: Nicht wirklich, und man muss wirklich auch sagen: Wir waren nicht mit unserem Latein am Ende, wir wussten also wirklich, zu jedem Zeitpunkt haben wir noch eine Option, und es ist nicht soweit gekommen, dass wir die Raumstation also fluchtartig verlassen mussten.

Führer: Aber ist es nicht doch so, dass alleine durch die Schwerelosigkeit der Mensch sowohl psychisch als auch physisch einem großen Stress ausgesetzt ist?

Ewald: Ja, einer Umstellung, und das Bewundernswerte an unserem Körper ist, dass – obwohl die Evolution ja uns auf die Erde eigentlich über die Entwicklung gebannt hat –, dass dieser Körper diese Umstellung mitmacht. Wir brauchen keine eiserne Lunge, wir brauchen keine Herz-Kreislauf-Maschinen, wir brauchen auch keine Dialysegeräte. Alles das funktioniert da oben, wenn auch unter etwas anderen Umständen, auf die man sich dann entsprechend vorbereiten und einstellen muss. Das Einzige natürlich, das hatten Sie ja in Ihrer Eingangsmoderation schon erwähnt: Durch die Leichtigkeit des Seins, durch die Schwerelosigkeit muss man für Knochen und Muskeln aktiv Vorsorge treiben. Das tun die Astronauten auf einer Langzeitmission, indem sie zwei Mal am Tag auf einem Laufband mit einem Expander Sport betreiben. Das dient aber rein dazu, eben einer Konditionierung zur Wiederrückkehr dann auch vorzubeugen und weniger die akuten gesundheitlichen Dinge an Bord besser zu gestalten. Da käme man auch ohne großen Sport relativ leicht hin. Nur die Rückkehr zur Erde würde dann sehr schwierig.

Führer: … sagt der Astronaut Reinhold Ewald im Deutschlandradio Kultur. Herr Ewald, wenn ich Sie recht verstehe, dann hat dieser Weltraumausflug Sie begeistert, aber man kann jetzt nicht sagen, Ihr Leben jetzt grundlegend verändert.

Ewald: Es ist ein großes berufliches Projekt und es war auch bei den Mondfahrern natürlich das berufliche Projekt, wo sie sich drauf vorbereitet hatten. Alles andere wurde dann klein dagegen, die Flüge in den erdnahen Raum und die Vorbereitungsmission. Sicherlich ist das etwas, was das Leben verändert, wie der berufliche Erfolg, sichtbare berufliche Erfolg auch in anderen Berufen und Sparten das Leben verändert. Ich werde heute natürlich sicherlich als Raumfahrer anders angesehen und von mir werden authentischere Berichte über das, was da oben passiert, verlangt, ob ich vor Studenten spreche oder vor einem Publikum, was als Laien sich nur einmal diesen Aspekt dann vor Augen führen lassen will, und diesem werde ich auch gerecht. Aber ich glaube, es ist sicherlich auch eine Frage, mit welcher Persönlichkeitsstruktur man hochgeht, wie man wieder runterkommt. Wenn man relativ diese Dinge, die einem begegnen, einordnen kann, wenn man das also auch in wissenschaftliche oder auch in Erforschungszusammenhänge einordnen kann, dann ist man sicherlich besser gewappnet als wenn das ein überwältigendes, nie gedachtes und nicht zu verarbeitendes Erlebnis ist, wie es vielleicht die Mondlandung für viele der Apollo-Astronauten war. Das muss man ja sagen. Ich meine, das sind technische Menschen gewesen, die bisher hoch geflogen sind, Testpiloten, die alles gesehen haben, und auf einmal sahen sie aber etwas, was vielleicht gar kein Training ihnen gesagt hat, nämlich diese Erdsicht aus der Mondperspektive und diese Verlorenheit der Erde im All. Damit muss man dann natürlich ganz gesondert fertig werden.

Führer: Herr Ewald, Sie leiten jetzt die Columbus-Mission beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und, um es einfach zu sagen, so wie ich es verstanden habe, ist Columbus ein europäisches Weltraumlabor, das vor knapp anderthalb Jahren an die Internationale Raumstation angeschlossen wurde und seitdem wird dort geforscht. Woran wird geforscht?

Ewald: Europa ist mit diesem Weltraumlabor und auch mit dem Transportfahrzeug ATV, was kurz danach gestartet war, Partner, vollwertiger Partner in einer Gemeinschaft mit Russland, Amerika, Japan, Kanada, also den Staaten, die auch Weltraumfahrt sehr intensiv betreiben, geworden. Da können wir stolz drauf sein. Wir setzen im Columbus-Laboratorium unsere Forschungen fort, die wir auch schon zu der sogenannten Spacelab-Zeit betrieben haben, als wir also auf die kurzen Flüge des amerikanischen Spaceshuttle angewiesen waren. Hier können wir lange Zeit genau diese Veränderung zum Beispiel im menschlichen Körper erforschen, die ich beschrieben habe – Muskeln-, Knochen-, Herz-Kreislauf-Umstellungen. Welche Mechanismen ergreift der Körper, um sich auf diese ungewohnte Umgebung einzustellen? Aber auch Materialwissenschaften, Biologie stehen im Vordergrund. Wir haben auch mehr und mehr Experimente, die fundamentale Fragen der Physik gerade in extremen Bedingungen - hoher Druck oder hohe Temperaturen – dann erforschen. Das sind sehr interessante Dinge, die auf der Erde so eben nicht möglich sind, und wo dieses Experiment im All ein Puzzleteilchen dann für den wissenschaftlichen Durchbruch sein kann. Außerdem, das soll man nicht vergessen: Wir werden sicherlich auch wieder Mondlandungen sehen, vielleicht auch weiter zum Mars fliegen, und die Internationale Raumstation bietet da natürlich ein hervorragendes Testfeld, um Lebenserhaltungsmaßnahmen oder sonstige Dinge zu erforschen.

Führer: Letzte kurze Frage, Herr Ewald: Wollen und werden Sie noch mal ins All fliegen?

Ewald: Wollen ist sicherlich das einfach zu Beantwortende: Wenn alles zusammenpasst und ich der Entscheidende bin, der ein solches Projekt zum Erfolg bringen kann, dann werde ich sicherlich auch fliegen wollen. Ob ich noch mal fliegen werde, ist schwieriger zu sagen. Ich meine, da gibt es natürlich auch Altersstrukturen in dem Astronautenkorps, wir haben gerade sechs neue ESA-Astronauten, also europäische Astronauten, rekrutiert und ich glaube, die sollten auch ihre Chance haben, sich im All zu beweisen.

Führer: Reinhold Ewald, Astronaut und Leiter der Columbus-Mission beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Ewald!

Ewald: Gern geschehen!
Das Raumlabor Columbus ist ein Modul der Internationalen Raumstation ISS
Das Weltraumlabor Columbus ist ein Modul der Internationalen Raumstation ISS.© NASA/ESA
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