Reinhard Kaiser-Mühlecker: "Enteignung"

Ihn quält nichts und ihn macht nichts froh

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Buchcover: Reinhard Kaiser-Mühlecker: „Enteignung“
Alle Geschichten des österreichischen Schriftstellers Reinhard Kaiser-Mühlecker spielen auf dem Land. © Buchcover: S.Fischer Verlag, Foto: dpa / picture alliance / Arne Dedert
Von Edelgard Abenstein · 11.04.2019
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Reinhard Kaiser-Mühlecker ist ein preisgekrönter Autor aus Österreich. Statt auf Plots setzt er auf die Kraft des Atmosphärischen. Sein Erzähler ist diesmal ein seltsam emotionsloser Mann um die 40, der in das Dorf seiner Kindheit zurückkehrt.
Die Geschichten des österreichischen Schriftstellers Reinhard Kaiser-Mühlecker kennen nur einen Schauplatz, sie spielen allesamt auf dem Land, und sie haben nur wenige, immer neu variierte Themen: Fortschrittswahn und Verlusterfahrung.
Seit seinem Debütroman "Der lange Gang über die Stationen" aus dem Jahr 2008 gilt der 1982 geborene Autor als eine Art Nachwuchsstar unter den Unzeitgemäßen, der sich fernhält von windschnittig erzählten Plots und der Aufgeregtheit des Literaturbetriebs.
Auch sein siebter Roman handelt vom Leben auf dem Dorf, irgendwo in den Voralpen zwischen Gewerbegebieten, Windparkanlagen und begradigten Flusslandschaften.

Sozialer Abstieg kümmert ihn nicht

Jan, ein Journalist um die vierzig, der für renommierte Zeitungen arbeitete, kehrt dorthin zurück, wo er seine Kindheit verbrachte. Jetzt schreibt er für das Lokalblatt in der nahen Kreisstadt Glossen, etwa über die Segnungen des Kühlschranks in der Gluthitze des Sommers. Seltsam ambitionslos scheint ihn sein sozialer Abstieg nicht zu kümmern. Er ist ein Mann, den nichts quält und nichts richtig froh macht, bindungslos hält er sich in einem Zustand, der einem Vakuum gleicht.
Eher beiläufig beginnt er eine Affäre mit der alleinerziehenden Lehrerin Ines, später auch mit der Bäuerin Hemma. Diese Liebesverstrickungen grundieren die eine Ebene des Romans. In einer anderen geht es um die 'Enteignung'. Ein Hügel neben seinem Hof wurde dem Bauern Flor weggenommen, um dort Windräder aufzustellen, obwohl, wie das ganze Dorf weiß, dort niemals ein Lüftchen weht. Einer Laune folgend heuert Jan bei Flor als Knecht an. Von nun an schuftet er täglich 18 Stunden an der Seite des Ehepaares in deren Schweinemastbetrieb.
Erzählt wird diese kammerspielartige Vierer-Konstellation aus der Perspektive Jans. Dessen genaue Beobachtungsgabe verhilft dem Roman zu detailreichen Einblicken in den gewaltigen Existenzdruck, unter dem Landwirte stehen – genau wie das Bauernblatt, dem die Abonnenten weg brechen.

Kraft zum Atmosphärischen

Andererseits hinterlässt der von wenig Empathie getrübte Gleichmut des Erzählers jede Menge unaufgelöster Rätsel: Wer mit wem schläft und warum, was die Vier miteinander umtreibt und welche Rolle ein Gemeindebediensteter spielt, der unter der Hand ins Zentrum des Geschehens tritt. In den Lücken liegt der formale und erzählerische Reiz des Romans, den der Autor handwerklich geschickt zu nutzen weiß, um das Geschehen in einem sich verdichtenden Spannungsbogen zu einem Show-down zu führen.
Neben der dem Western entlehnten Stimmung, in der das Faustrecht, die Gewalt an der Wiege der Zivilisation stehen, erinnern die obsessiv angelegten Liebesgeschichten an den Film Noir. Und an Heinrich von Kleist lässt der Mann denken, der dem Existenzdruck so sehr ausgesetzt ist, dass er sich mit Kohlhaascher Wut gegen erlittenes Unrecht zur Wehr setzt und zum Äußersten bereit ist.
Nicht alles ist gelungen, manche Geschichten laufen bis zum Schluss unverbunden nebeneinander her, auch in den Liebesszenen fehlen manchmal die richtigen Worte. Aber "Enteignung" ist dank seiner Kraft zum Atmosphärischen doch mehr als ein Debattenbeitrag zu einer gnadenlos durchgetakteten Welt, deren Gesetze überall herrschen, in den Metropolen genauso wie auf dem Land.

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Enteignung
Roman
S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2019
222 Seiten, 21 Euro

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