Rein oder raus?

Von Thomas Franke |
Mazedonien ärgert, dass Griechenland erfolgreich nicht nur die EU-Mitgliedschaft, sondern auch den Nato-Beitritt des Landes blockiert. Und das weiter tun wird, wenn Mazedonien sich nicht freundlicherweise „FYROM“, die englische Abkürzung für „Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“, nennt. Die Mazedonier wollen aber nicht „FYROM“ heißen, sondern „Republik Mazedonien“.
Es ist früh am Morgen, und an der Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland stauen sich die LKW; die meisten stammen aus Mazedonien. Mitko Konstantinovski ist einer der Fahrer, und er ist sauer. Mehrere Stunden wartet er schon auf die Abfertigung. Er geht um seinen roten Anhänger herum und zeigt auf den ovalen Aufkleber neben dem Nummernschild. In schwarzen Buchstaben steht dort „MK“ für Makedonia.

„Da, für die Griechen ist dieses MK-Schild das Problem. Sie kratzen das ab. Mazedonien gibt es für sie nicht.“

Ginge es nach den Griechen, dann müsste Mitko Konstantinovski statt dessen einen Aufkleber mit den Buchstaben „FYROM“ auf seinem Anhänger anbringen, F Y R O M steht für „Former Yugoslave Republic of Makedonia“, „Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“.

„Die nehmen einem die Kennzeichen ab, damit man nicht weg kommt. Und dann bringen sie die Nummernschilder zur Polizei. Dort muss man 500 Euro bezahlen für die Polizei, für die technische Untersuchung des LKW, und dann kriegt man die Schilder zurück. Und am nächsten Tag geht alles von vorn los.“

Reine Schikane, meint Konstantinovski. Mazedonien und Griechenland streiten sich seit Jahren über den Namen der einstigen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien. Die mazedonischen LKW-Fahrer leiden besonders darunter. In Wirklichkeit diene die Sache mit dem Länderkennzeichen den griechischen Grenzbeamten nur als Vorwand, um Bestechungsgelder zu kassieren, so Konstantinovski.

„Mal sind es 5, mal 10, 20 oder 30 Euro. Und sie kassieren Zoll für nichts, selbst, wenn man leer fährt. An der Grenze zu Serbien haben wir nie Probleme. Nur hier. Nur Griechenland ist ein Problem. Ich habe 1800 Euro in 2 Wochen bezahlt, in 14 Tagen. 1800 Euro.“

Mitko Konstantinovski ist selbständig. Jeden Tag fährt er vom Grenzort Gevgelija nach Thessaloniki und zurück. Bestechungsgelder gehen direkt von seinem Verdienst ab. Die zwei Millionen Mazedonier sind eher arm. Das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 300 Euro pro Monat. Konstantinovski geht nach vorn zum Fahrerhaus, zeigt die Papiere.

„Hier steht nirgendwo Mazedonien, sondern FYROM. Mazedonien darf es nicht geben, auch nicht an den LKW.“

Endlich bewegt sich die Schlange doch. Weiter vorn lässt Vasko seinen Lieferwagen an. Auch er ist Mazedonier, er transportiert Bremsteile für Eisenbahnachsen. Im Führerhaus riecht es nach Zigarettenrauch, von der Decke baumelt ein Duftbaum: Veilchenaroma.

Die Griechen seien nun mal stolz darauf, dass Alexander der Große Mazedonier war, sagt Vasko. Alexander wird von beiden gern für sich in Anspruch genommen, von den Griechen mit ihrer Provinz Makedonien und den Mazedoniern aus dem Staat Mazedonien.

Vaskos Ziel ist zunächst der Zollhof in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Die Autobahn ist leer. Links und rechts Felder. Thessaloniki ist die Hauptstadt der griechischen Provinz Makedonien. Die Mazedonier aus der Republik Mazedonien bezeichnen Thessaloniki gern als ihre eigentliche Hauptstadt.

Mazedoniens Hauptstadt heißt aber Skopje. Eine Burgruine zeugt von den Eroberungskämpfen früherer Jahrhunderte. Heute ist dort ein Park mit einem Café. Über allem weht die Staatsflagge Mazedoniens: Eine gelbe Sonne mit acht breiten Strahlen auf rotem Grund. Auch die Fahne ist ein Politikum.

Als Mazedonien sich 1991 für unabhängig erklärte, sah die Nationalflagge des neuen Staates zunächst anders aus. Anstatt einer Sonne prangte in der Mitte ein Stern mit 16 dünnen Strahlen. Es war der gleiche Stern, den die griechische Region Mazedonien als Wappen hat. Die Griechen intervenierten, und 1995 musste Mazedonien die Nationalflagge ändern. Seitdem sind die Strahlen breiter, und es gibt nur noch acht.

Vaso Naumovski hat in seinem Büro ein kleines Exemplar dieser Fahne stehen. Er ist stellvertretender Premierminister Mazedoniens und für die Integration seines Landes in die EU zuständig. Und in dieser Funktion beschäftigt er sich automatisch mit den Beziehungen zum südlichen Nachbarn Griechenland.

„Wir verhandeln nun schon sehr lange. Und wir glauben, dass, wenn beide Seiten es wollen, auch eine Lösung gefunden werden kann. Wir sind zu einem Kompromiss bereit. Aber dazu müssen beide Sichtweisen berücksichtigt werden, die mazedonische und die griechische.“

Naumovski meint, sein Land sei schon weit auf die Griechen zugegangen. Er verweist auf das Abkommen von 1995. Mazedonien hat sich darin nicht nur bereit erklärt, seine Fahne zu ändern und sich von „Mazedonien“ in „Republik Mazedonien“ umzubenennen; es hat auch noch seine Verfassung geändert. Nach der Unabhängigkeit hatte es dort noch geheißen, Mazedonien setze sich für die Rechte aller Mazedonier ein und fördere deren Bindung an die Heimat.

Griechenland sah darin eine Bedrohung. Es fürchtete, dass das Land Mazedonien Ansprüche auf die griechische Provinz Makedonien erheben könne. Unbegründet, denn in der Provinz Makedonien leben kaum Mazedonier. Dennoch lenkte Mazedonien ein und strich den Passus aus der Verfassung.

Vizepremier Vaso Naumovski: „Griechenland war damals damit einverstanden, nicht gegen unsere Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie der NATO oder der Europäischen Union zu sein. Mittlerweile haben sie gegen dieses Abkommen verstoßen. Es gab genug Konzessionen von unserer Seite, die zeigen, dass wir Willens sind, uns auf einen Kompromiss zuzubewegen.“

Griechenland aber mauert. Die griechische Regierung schlug in den letzten Jahren unter anderem vor, das Nachbarland solle sich „Mazedonien Nord“ oder auch „Mazedonien Skopje“ nennen, Mazedonien also mit einem geographischen Zusatz. Darauf beharrt auch Konstantinos Vrettos, Parlamentsabgeordneter der in Griechenland regierenden sozialistischen Partei.

„Jedes Land hat seine internen Probleme. Das wird aber an unserer Beziehung zur ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien nichts ändern. Abgesehen davon versuchen wir ja, die bestmöglichen Beziehungen zu ihnen zu unterhalten. Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Bulgarien, die Türkei, wir müssen ja alle mit ihnen leben. Wir hoffen, dass wir in den kommenden Jahren eine Lösung finden. Ich bin zwar nicht optimistisch, aber wir sind für Diskussionen offen.“

Ansonsten zeigt Vrettos kompromisslose Härte. Keinesfalls werde Griechenland den Namen „Republik Mazedonien“ akzeptieren, und daran werde auch die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise nichts ändern, betont er. Naumovski findet das unannehmbar:

„Griechenland hat nichts zu verlieren. Egal, ob wir „Mazedonien“ heißen oder anders. Die Situation in Griechenland bleibt die gleiche. Die behalten ihre nationale Identität, ihren Nationalstolz und ihre politische und wirtschaftliche Stabilität.“

Der Streit mit Griechenland ist nicht das einzige Hindernis auf dem Weg Mazedoniens in die EU. Auch im Land sind weitere Reformen nötig. Es geht vor allem um die Integration der unterschiedlichen Volksgruppen.

Mittagszeit in Skopje. Die Luft flimmert in der Altstadt mit ihren kleinen Geschäften, den Friseursalons und Schneidereien, den Süßwarenläden, Burekbäckern und Grillstuben. Händler verkaufen gefälschte Markenjeans. Minarette ragen über die niedrigen Dächer hinaus. Ein Schmied bearbeitet Schaufelblätter. In diesem Viertel wohnen vor allem Albaner. Sie stellen etwa ein Viertel der Bevölkerung in dem von slawischen Mazedoniern dominierten Land.

Vor allem in der letzten Phase Jugoslawiens, in den Achtzigerjahren, waren sie diskriminiert worden. Vor neun Jahren kam es deshalb sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Albanern und den staatlichen Sicherheitskräften. Mit Hilfe der Nato und der EU wurde diese Krise nach nur sechs Monaten beigelegt. Seitdem bemüht sich die Regierung, ihre zweitgrößte Volksgruppe zu fördern und zu integrieren.

In der Altstadt von Skopje steht auch das Albanische Staatstheater. Menschen laufen aufgeregt durch das Foyer, es wird gesaugt und poliert, denn am Abend ist Premiere. Es wird Peer Gynt gezeigt. Das Stück wird in Albanisch aufgeführt und mit der mazedonischen Übersetzung übertitelt. Adem Karaga bewahrt Ruhe. Der bärtige Enddreißiger ist der Direktor des Theaters. Und er versucht, der Mehrheitsgesellschaft klar zu machen, dass Albaner keine Bedrohung darstellen.

„Es ist unser Wunsch und unser Wille, Teil dieser Kultur zu sein. Wir bringen eine Menge Opfer, um erfolgreiche Kulturprojekte zu machen, damit andere uns akzeptieren. Denn wir sind Teil dieser Kultur. Ich rede deshalb die ganze Zeit über Kultur, weil ich glaube, dass Kultur das wichtigste Mittel ist, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden.“

Das war mal anders. Als er im dritten Jahr an der Schauspielschule war, wurde er verhaftet und saß drei Jahre im Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, an Terrortrainings teilgenommen teilgenommen zu haben. Karaga versteckte sich in den Bergen, fühlte sich dort sicherer. Damals trauten sich die Sicherheitskräfte nicht in die Berge im Norden Mazedoniens. Karaga ging zur albanischen Untergrundarmee UCK und kämpfte.

„Es ist mir nicht leicht gefallen, von der Bühne in die Berge zu gehen. Ich hätte lieber mit Requisiten gespielt, als Waffen zu tragen. Ich denke, der Krieg ist eine sehr kalte Angelegenheit. Aber es war unumgänglich. Ich bereue es nicht.“

Dank einer Amnestie für die einstigen Untergrundkämpfer konnte Karaga nach dem Krieg ans Theater zurückkehren. Viele UCK-Anführer sind geachtete Politiker geworden, wurden demokratisch gewählte Abgeordnete und Minister. Aber dennoch: Die Mehrheit habe die Albaner noch immer nicht als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft anerkannt, meint Karaga.

Vasko, der Fahrer aus Mazedonien, ist mit seinem Lieferwagen und den Bremsteilen mittlerweile am Zollhof von Thessaloniki angekommen. Etwas mehr als eine Stunde ist er vom Grenzübergang bis hier gefahren. Doch auch hier lassen sich die griechischen Zöllner Zeit. Die LKW-Fahrer hocken im Schatten zwischen Ihren Lastern.

Die Zöllner winken einen LKW heran, öffnen die Plombe, laden ein paar Bananenkisten aus, wiegen sie, schauen hinein. Die Fahrer sind vorsichtig. Niemand hier möchte sich äußern, schon gar nicht mit Namen. Sie haben Angst, schikaniert zu werden oder noch länger warten zu müssen.

„Die Arbeit ist gut. Aber sie verlangen von uns, dass wir Sie zum Kaffee einladen. Die fordern fünf Euro von uns.“

Vasko verzichtet vorsichtshalber sogar auf das Länderschild MK. Er spricht ein wenig Griechisch, ist sehr freundlich, kennt die Zöllner seit Jahren. Trotzdem muss er länger als drei Stunden warten, bis sein Lieferwagen freigegeben wird. Dann geht alles sehr schnell. Er fährt auf die Autobahn, ein Stück raus aus Thessalloniki, hält auf einem Industriehof.

Ein Gabelstapler kommt zum Entladen. Jorgos ist der Chef auf diesem Gelände. Der Grieche trägt Jeans und Sandalen, sein Haar ist grau, sein Schnurrbart auch. Die beiden schütteln Hände.

„Hier ist Mazedonien. Ich bin hier geboren. Und plötzlich sind die auch Mazedonier. Okay. Sowieso der große Alexander hat Mazedonien auf der ganzen Welt gemacht. Von hier bis Indiana machen wir wieder diese große Staat, so, die neue Mazedonia, he?

Solange sie nicht möchten, dass wir auch zu sie gehören, solange sie keine Ansprüche haben von Land und so und wollen auch dass Saloniki die Hauptstadt von Mazedonien wird, hab ich kein Problem. Die Politiker, die sind ein bisschen spinnert.

Ist ein komische Geschichte, ein lächerliche Geschichte.“