Reihe: Ungewöhnliche Kulturberufe

Die Kunstfelsenbauer

Ein Eisbär schaut hinter den Felsen des neuen Eismeeres im Tierpark Hagenbeck in Hamburg hervor. Diese Felsen sind Attrappen.
Künstliche Felsen im Eisbär-Gehege des Tierpark Hagenbeck in Hamburg - ein Eisbär schaut hinter den Felsen hervor. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Jochen Stöckmann · 07.01.2016
Ob Gebirgslandschaft oder Mondkrater - Kunstfelsenbauer können Landschaften naturnah nachbauen. Ihre Auftraggeber sind Künstler, denen es an handwerklichen Fähigkeiten mangelt, oder Tierparks, die ihre Tiere in einer "natürlichen" Umgebung präsentieren möchten.
Andreas Gehlen: "Einer oder zwei haben damit angefangen, jetzt wollen es alle weltweit haben: Der Kunstfels ist eine Modeerscheinung! Alle wollen jetzt diese Illusion bei sich etablieren."
Andreas Gehlen und das Künstler-Team "sculptorscoop" bieten, was zunehmend gefragt ist: Naturgetreu imitierte Eisschollen, Gebirgsformationen oder urzeitliche Schachtelhalm-Biotope. Vor allem für Naturkundemuseen und Zoos. Schließlich hat Hagenbeck die Kunstfelsen-Landschaft erfunden – um 1900. Auf historische Fotos des Hamburger Tierparks zeigt Gehlens Kollege Oliver Blomeier im Atelier, zwischen Sägen, Hämmern, Bohrschablonen.
Oliver Blomeier: "Da wurden so richtige Bilder geschaffen: Vorne sind Flamingos, dahinter Steppentiere, etwa Rhinozerosse, und hinten Löwen und darüber noch der Felsen – Bergziegen oder Gemsen."
Das alles ohne Zäune oder Gitterstäbe, begrenzt nur von Wassergräben – und steilen Felsen. Ein Konzept, das sculptorscoop auch für das Affenhaus eines Zoos umsetzte.
Nadine Nordmann: "Das war das tristeste Bild, was einem dort geboten wurde. Und danach haben die ein superschönes Gehege bekommen. Aber natürlich kann man nicht innerhalb kurzer Zeit sämtliche Fehler, die in den letzten Jahrzehnten begangen wurden, beheben."
Nadine Nordmann ist von Haus aus Malerin, aber nicht allein zuständig für die visuellen Effekte, die augentäuschende Nachahmung der Natur. Nur im Team lassen sich Materialkunde, Statik – die komplexen technischen Probleme bewältigen. Etwa für ganz spezielle Wünsche des Zoos.
Oliver Blomeier: "Liegesteine, da wird eine Heizung eingebaut. Sodass der Tiger natürlich sich am ersten dort hinlegt – und das ist da, wo er von überall am besten gesehen werden kann. Also, der wird da auch so ein bisschen – verarscht."
Kunstfelsenbau ist mehr als nur Handwerk. Zumindest im diskussionsfreudigen Zirkel von sculptorscoop.
Friedrich von Hülsen: "Ich komme auch mehr und mehr weg von dem Bau von Tiergefängnissen. Wo aber dann auch die Erfahrung, die man in diesem, ja: Handwerk gemacht hat, übertragen wird in die freie Kunst oder in eine Kunstszene, wo wir zum Beispiel in Norwegen für eine Künstlerin was gebaut haben."
Ein Kollektiv gegen die Arbeitsteilung
Vielen Künstlern fehlen handwerkliche Kenntnisse und praktische Erfahrungen, wenn es an die Umsetzung hochfliegender Pläne, famoser Ideen geht. Auch da springen die Kunstfelsenbauer ein. Sculturescoop realisieren Beton-Skulpturen fachgerecht – mit dem Wissen, das sie sich bei der Gestaltung von Kometen-Modellen oder Mond-Oberflächen erarbeitet haben. Wenn Zeit- und Kostendruck es zulassen.
Nadine Nordmann: "Wir machen Naturimitationen für Künstler, fürs Theater, für den Film, für Zoos, für Museen. Da kann der Auftraggeber noch so sehr verstehen, was es bedeutet, einen guten Fels zu imitieren oder einen schönen Baum – eigentlich ist es immer eine Geldfrage."
Eine Sache "richtig schön" machen, alle Aspekte einer Bauaufgabe erfassen – das wird zusehends schwieriger. Mit Blick auf die Konkurrenz konstatiert Friedrich von Hülsen:
Friedrich von Hülsen: "Dass die Arbeitsprozesse total fabrikähnlich werden. Also: alles ist spezialisiert, jeder hat nur seinen Bereich, wo er in dem speziellen Bereich sehr schnell ist. Nur noch schnell, schnell, schnell – billig, billig, billig. Und es gibt keine Chance mehr für ein wirklich künstlerisches Arbeiten. Es ist eigentlich ein Krieg, als Künstler ist man im Krieg mit diesem ganzen Business."
Zumindest taktisches Geschick brauchen Kunstfelsenbauer. Etwa bei Ausschreibungen noch für das kleinste Zoogehege:
Oliver Blomeier: "Da werden Eisbären mit Anprall, Lastfall von 800 Kilogramm mit 50 km/h oder so beschrieben. Wenn der Eisbär das macht – dann ist der Fels kaputt und der Eisbär ist tot."
Dabei sind es solide Metallgerüste – die Herren verstehen sich aufs Schweißen – dazu Mörtel, Zement. Diese nach einem maßstabsgerechten Modell aufgebrachte Masse gilt es dann zu kolorieren, ihr die "Patina" der en Detail bestellten Gesteinsarten zu geben. Für Nadine Nordmann, die Malerin, eine besondere Herausforderung. Denn beim ersten großen Projekt stellte sich heraus:
"Dass die Grauwacke ein ganz enormes Farbspektrum hat. Von knalligem Gelb, Zitronengelb, über Orange, Türkistöne, natürlich das quietschgrün von Moos. Aber wir haben zwei Männer in der Gruppe mit Rot-Grün-Schwäche! Der eine, würde ich mal behaupten, ist einer der besten Modelleure, vielleicht deswegen."
Farbenblindheit bringt eine ganz natürliche Spezialisierung mit sich. Das Gegenteil jener bornierten Arbeitsteilung, die der Markt mit Computerdesign und 3-D-Druckern erzwingt. Und der sich sculptorscoop im Kollektiv widersetzt.
Andreas Gehlen: "Das haptische, was durch die Hand eines Bildhauers oder eines Malers geht, das darf man sich nehmen lassen. Und ich glaube, das wird auch immer unbezahlbar bleiben. Und über kurz oder lang will das eigentlich der Kunde immer wieder haben."

Reihe: Ungewöhnliche Kulturberufe

Sonntag, 3.1., ab 23:05 Uhr
Der Theaterarzt

Montag, 4.1., ab 23:05 Uhr
Der Rote-Teppich-Kurator

Dienstag, 5.1., ab 23:05 Uhr
Der Fake-Internet-Designer

Mittwoch, 6.1., ab 23:05 Uhr
Der Kunsttransporteur

Donnerstag, 7.1., ab 23:05 Uhr
Der Kunstfelsenbauer

Freitag, 8.1., ab 23:05 Uhr
Die Harfenmanagerin

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