Reihe über soziale Gerechtigkeit

Vom Jobcenter für Job-Idee verlacht

Angelika und Horst Matzen
Angelika und Horst Matzen wollten aus eigener Kraft etwas auf die Beine stellen. © Deutschlandradio / Axel Schröder
Von Axel Schröder |
Angelika und Horst Matzen beziehen beide Hartz IV. Sie schreiben jeden Monat die vorgeschriebene Anzahl von Bewerbungen, haben aber kaum Hoffnung, mit knapp 60 Jahren eine Arbeit zu finden. Auf ihre Idee, mit Computer-Hilfen für Leistungsempfänger Geld zu verdienen, reagierte das Jobcenter nicht gerade Mut machend.
Angelika Matzen schenkt frischen Filterkaffee ein, serviert selbst gebackenen Zitronenkuchen in ihrem Wohn- und Esszimmer. Im sechsten Stock, in einer Hochhaussiedlung am Hamburger Stadtrand. Angelika Matzen ist gelernte Bauzeichnerin und die Hoffnung, in diesem Beruf noch einmal Fuß zu fassen, hat sie fast aufgegeben.
"Die Baubranche boomt zwar, aber die Bauzeichner werden nicht mehr so benötigt. Heutzutage machen die Architekten und Ingenieure ihre Pläne alle alleine oder aber die werden ins Ausland geschickt. Und somit werden die Kräfte in Deutschland nicht mehr gebraucht. Und dann steht mir mein Alter auch ein bisschen im Weg."
Angelika Matzen ist Anfang Sechzig. Vor zwei Monaten hat sie auch ihren 250-Euro-Job verloren. Für eine Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft hatte sie Büroarbeiten erledigt. Nun ist ihre Chefin schwer erkrankt, hat ihr Mandat abgegeben und Angelika Matzen ist wieder dabei, die vom Jobcenter verlangten Bewerbungen zu schreiben:
"Die wollen mich natürlich jetzt, weil ich ja eben in der Bürgerschaft gearbeitet habe, meinen sie, jetzt wäre ich eine voll ausgebildete Sekretärin. Aber sie wissen ja, wir leben in Deutschland. Und in Deutschland zählen nur Zertifikate und Nachweise, dass sie das können."

Vereinsgründung statt Resignation

Angelika Matzen zuckt mit den Schultern, schenkt auch ihrem Mann, Horst Matzen, Kaffee ein. Viel Sinn sieht sie nicht in den Bewerbungen. Aber ohne geht es nicht. Sonst riskiert sie Kürzungen der staatlichen Unterstützung. Die letzten sechs Jahre vor seinem Renteneintritt bekam auch Horst Matzen Hartz IV. Aber statt zu resignieren, wollten die beiden damals aus eigener Kraft etwas auf die Beine stellen und gründeten den Verein "Computer Spende Hamburg".
"Wir sind gemeinnützig und mildtätig. Wir haben die Aufgabe, gespendete und ausgediente Computer in Empfang zu nehmen, sie aufzubereiten und diese an Bedürftige weiter zu geben. Bedürftige sind laut unserer Satzung Leute, die Leistungen beziehen vom SGB II bis SGB XII, also Hartz IV bis hoch zur ergänzenden Sozialhilfe, "Hilfe zum Lebensunterhalt", wie sich das jetzt nennt. Das Ganze machen wir ehrenamtlich wie gesagt, mit zwei Ortsgruppen. Wir arbeiten alle gratis, alle just for Fun…"
… und eigentlich wollten Horst und Angelika daraus noch viel mehr machen und endlich weg von immer neuen Fortbildungen, Umschulungen und Bewerbungstrainings, zu denen das Jobcenter sie verpflichtete.

Soziale Gerechtigkeit hat sich die SPD in diesem Wahlkampf ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Aber auch alle anderen Parteien wollen mit dem Thema punkten und Wähler gewinnen. Wir fragen in unserer Reihe "Ist unsere Gesellschaft wirklich ungerecht?" - und stellen Menschen vor, die eigentlich alles richtig machen, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.

"Ganz zu Anfang haben wir ja gehofft, dass die uns anstellen und uns Kellerräume zur Verfügung stellen, wo man dann hätte basteln können. Vielleicht auch mit Hartz IV-Empfängern, die dann nochmal ins Arbeitsleben wieder rein zu bringen. Das war unser ganz großes Ziel. Aber wir sind ja hier beim Jobcenter damit kläglich ausgelacht worden. Und dann haben wir es auch nie wieder probiert. Weil, wissen Sie, wenn die das Potenzial nicht sehen, dann laufen wir gegen Windmühlen an."
Horst Matzen schüttelt den Kopf. Er ärgert sich über die Hamburger Jobcenter, auch wenn einige Mitarbeiter ihre Kunden auch auf den "Computer Spende"-Verein der Matzens hinweisen.

582 Euro Rente - für viele Jahrzehnte Arbeit

Knapp 3000 Computer haben sie mittlerweile aufbereitet und weiter verteilt, erzählt Horst Matzen. Und seit er in Rente ist, kann er sich endlich ganz dem Verein widmen. Was beide bedrückt, ist die ständige Rechnerei: um mit seiner kleinen Rente und dem Hartz IV-Satz seiner Frau auszukommen, sind die Monate einfach lang, scherzt Horst Matzen.
"Mein Mann kriegt tatsächlich sage und schreibe 582 Euro Rente. – Für wie viel Arbeitsjahre? – Von seinem sechszehnten Lebensjahr? – Ja, vom sechszehnten Lebensjahr und mit einigen Unterbrechungen quasi bis zum 63. Lebensjahr. Das ist krass! Das ist sehr krass! Und die Renten sollen in Zukunft noch weiter gekürzt werden. Wenn das passiert… Na, dann 'Herzlichen Glückwunsch' Deutschland!"
Dass sich nach der Bundestagswahl an ihrer Situation etwas ändert, glaubt das Ehepaar nicht. Deshalb gar nicht wählen zu gehen, kommt aber nicht in Frage.
"Es steht fest, denke ich mir: Es ist folgendermaßen, wenn wir die altregierenden Parteien nehmen, wissen wir hundertprozentig, dass sich daran nichts ändern wird. Wenn wir eine Partei nehmen, die noch nicht am Zügel war, haben wir eine Chance einer Verbesserung."
Meint er damit die AfD? Horst Matzen winkt ab. Nein, diese Partei wählt er ganz sicher nicht.
"Die Linke wäre zum Beispiel auch eine Partei, wo man 'Ja' sagen könnte. Auf keinen Fall was, was rechts- oder linksradikal ist. Bestimmt nicht."
"Wir werden unsere Stimme nicht ungültig machen und wir werden auch zur Wahl gehen! Das verspreche ich Ihnen!"
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