Reihe: Schöne Bescherung

Phantom verteilt 40.000 Euro an Künstler

Von Axel Schröder · 23.12.2013
Ein Jahr lang hat der Hamburger "Kunstbeutelträger" Zeit, Geld in der Kulturszene zu verteilen - jeweils 1000 bis 3000 Euro pro Künstler. Nur der Amtsleiter der Kulturbehörde weiß, welche Person sich hinter dem Kunstbeutelträger verbirgt.
Die Jobbeschreibung des „Kunstbeutelträgers“ ist klar umrissen. Auf der Internetseite der geheimnisvollen Hamburger Institution heißt es:
„Kunstbeutelträger sollten umtriebig und Trüffelschweine sein, das Große ganz im Blick haben und sich für das Besondere begeistern.“ Und: „Sie sind keine Zorros des Zauderns, aber auch keine „Was soll der Scheiß“-Rufer.“
Ein Jahr lang hat der Kunstbeutelträger – das Maskulinum bezieht sich in diesem Beitrag auf „Träger“, nicht aufs Geschlecht des Phantoms – ein Jahr lang hat er Zeit, 40.000 Euro in der Hamburger Kunstszene zu verteilen. Und ganz so einfach ist das gar nicht, erklärt der Kunstbeutel in seinem ersten Interview:
"Ich wurde angerufen von der Kulturbehörde. Und kannte das Projekt vorher lose. Hatte davon gehört, gerüchteweise, dass es sowas geben könnte. Und war natürlich total überrascht: wieso ich? War natürlich zugleich geschmeichelt. Natürlich ist ein Riesen-Spaß, 40.000 Euro zu verteilen – dachte ich. Zugleich ist es natürlich eine große Verantwortung und zu dieser Verantwortung dazu kommt noch diese Herausforderung, mit dieser Anonymität umzugehen. Das habe ich anfangs etwas unterschätzt."
Denn bei seinen Streifzügen durch Vernissagen, Ausstellungen und Performances will das Phantom einerseits den Blick für neue, förderungswürdige Künstler schärfen. Andererseits darf es nicht zu genau nachfragen, nicht zu viel Interesse zeigen, um nicht enttarnt zu werden.
"In dem Moment, wo ich ein Gespräch beginne, mich interessiere, dann muss ich natürlich aufpassen, dass ich und wie ich das umsetze in die Entscheidungsbegründung. Ich kann ja nicht direkt ein Gespräch zitieren, das ich geführt habe. Das würde dann sofort auffallen und sofort wäre klar, wer die Kunstbeutelträgerin ist."
Ausgewählt wurde der Kunstbeutel per Los. Im Frühjahr schrieben die Mitglieder der so genannten Neigungsgruppe Kandidatenvorschläge auf kleine Zettel. Wie auf einer Tombola wurde einer der verschlossenen Umschläge ausgewählt. Und nur der Amtsleiter der Kulturbehörde durfte diesen Umschlag öffnen und den Kunstbeutelträger über die Wahl informieren. Er ist der einzige, der weiß, wer dahinter steckt. Seitdem verteilt das kunstaffine Phantom seinen Etat unter den Kunstschaffenden. In kleinen Beträgen zwischen 1.000 und 3.000 Euro, damit die Anzahl der Geförderten möglichst groß ist. Zu den bisher zwölf Glücklichen, die vom Kunstbeutel still und heimlich beschenkt wurden, gehört Christina Köhler. Künstlername: Tintin Patrone, 30 Jahre alt, wohnhaft auf St. Pauli. Ihre so genannten Krachkisten haben es dem Phantom angetan:
"Was mich da fasziniert, ist einmal die Faszination der Künstlerin für das Analoge und auch für das Selbermachen. Es ist eine bestimmte Punk-Attitüde, die ich darin auch erkenne, dieser Wille, etwas selber zu machen, etwas einfach zu machen, ruhig auch krachbetont und störend, also Störgeräusche zu produzieren. Aber darin, in diesen Störgeräuschen wieder eine ganz eigene Musikalität dann zu entwickeln."
"Was wir wollten: eine Diskussion über Kunst"
Tintin Patrone steht in ihrer kleinen Werkstatt, in ihrer Wohnung auf St. Pauli, hält ihre Flamingo-Gitarre wie eine Geige. Zusammengebaut aus einem rosa Plastikflamingo und einem berührungsempfindlichen Steg, auf dem sie ihren Krach modulieren kann. Eine Eigenproduktion aus Elektronikbauteilen, die sie zuletzt auf der „Index“, einer Ausstellung im Hamburger Kunsthaus vorstellte. Auf der die Besucher zwar von ihrem Lärm begeistert waren, die aber – wie so oft im jungen Kunstbetrieb – einen entscheidenden Haken hatte:
Tintin Patrone: "Beim Abbau habe ich festgestellt: Verdammt! Nichts verkauft … Wahrscheinlich, weil die Leute das wieder mal als Entertainmentgeschichte wahrgenommen haben. So ist dann eben aber auch. Ich mache mir dann nicht ewig nen Kopp. Schade war, dass ich mal wieder draufgezahlt habe. So wie das oft ist, dass man mehr Geld ausgibt als reinkommt am Ende. Aber ein paar Tage später kam eine E-Mail …"
… mit der Bitte um ihre Kontodaten. Sehr förmlich, erzählt Tintin Patrone, die im ersten Moment viel zu überrascht für große Freudenausbrüche war:
"Ich bin ja jemand, der sich dann eher so nach innen freut. Mein Freund kam ein paar Stunden später, dem habe ich dann die E-Mail gezeigt und der hat das dann mehr rausgelassen als ich. Ich war tatsächlich in dem Moment extrem erleichtert, weil ich wie gesagt total viel Geld für Matetrial ausgegeben habe, was ich eigentlich nicht hatte. Und so dann finanziell erstmal safe war über den Winter. Und wenn ich der Person begegnen würde, würde ich ihr natürlich um den Hals fallen und mich dann auch noch mal ordentlich bedanken …"
… aber auch für die Geförderten bleibt der Kunstbeutel ein Phantom. Tintin Patrone hält die subjektiven, nicht an Bedingungen gebundene Förderung durch den Kunstbeutel für eine hervorragende Idee. Bei vielen anderen Stipendien und Preisgeldern sind es oft die ohnehin schon einigermaßen erfolgreichen Künstler, die unterstützt werden. Diejenigen, die neben dem eigentlichen Handwerk auch noch die Kunst des Selbstmarketings beherrschen. Die Idee des Kunstbeutels durchbricht dieses Schema, davon ist auch Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler überzeugt. Unter ihrer Ägide ist das Projekt entstanden:
Barbara Kisseler: "Das, was wir wollten: eine Diskussion über Kunst, über ihre Förderinstrumentarien, über ihre Prinzipien, immer unterstellt, sie hat welche, zu diskutieren – das ist jetzt schon gelungen. Insofern war für mich schon Weihnachten!"
Und dass auch sie nicht weiß, wer die 40.000 Euro aus dem Etat ihrer Behörde verteilt, stört Barbara Kisseler nicht. Nach einem Jahr endet die Amtszeit des Kunstbeutels, im Frühjahr entscheidet die Behörde, ob ein neues Phantom auserkoren wird, um weiterzumachen. Und vielleicht gibt dann der amtierende Kunstbeutel ja seine Identität preis. Fest steht das noch nicht. Denn dann, so das Phantom, müsse er sich am Ende viel zu vielen Diskussionen stellen, über seine ganz subjektiven Entscheidungen, die so gar nicht dem Mainstream der üblichen, ab und zu langweiligen Förderroutinen entsprechen.