Reihe: Museen jenseits der Norm (3)

Den Tod im Spiegel erblicken

Nowosibirsk
Eine lebensgroße Wachsfigur im Museum für Bestattunkskulturen der Welt in Nowosibirsk. © Deutschlandradio Kultur / Susanne Burkhardt
Von Susanne Burkhardt  · 03.08.2016
In Russlands drittgrößter Stadt, Nowosibirsk, existiert seit 2003 das einzige Museum für Bestattungskultur des Landes. 16.000 Besucher kommen jährlich dorthin, um sich lebensgroße Wachsfiguren, echte Schädel und Särge anzuschauen.
Sergej Jakuschin ist ein Mann der Zukunft und sehr geschäftstüchtig: 2003 schenkte ihm ein tschechisches Unternehmen zwei Krematoriums-Öfen. Daraufhin eröffnet er das erste Privatkrematorium der Region. Ein Kuppelbau, ganz in Orange, etwas außerhalb von Nowosibirsk, platziert im gigantischen "Park der Erinnerung". Inmitten von kitschigen Trauerfiguren, einem Spielplatz für Kinder, Trauerbäumen, einem Buddha und Jesuskreuzen, das Ganze umsäumt von Sträußen bunter Plastiktulpen und umweht von einer endlosen weltlichen Trauermusik, die schon mal von Toni Braxton stammen kann. Und weil so ein Krematorium in einer orthodoxen Region die traditionell erdbestattet erstmal wenig Chancen hat, kam Sergej Jakuschin, der erfolgreich internationale Bestattungsmessen veranstaltete, eine Idee: Er eröffnete ein Museum, das sich mit Tod, Trauer und Bestattungskultur befasst:
"Ich bin pensioniert und dieses Museum ist inzwischen ein Hobby. Ich habe das nach und nach gesammelt und dabei wurde ich zu einem Galeristen und Antiquitätenhändler. Wir leben hier so weit weg von anderen Kulturen und in Sibirien gibt es 30 verschiedene Völker und Nationalitäten. Wir wollten den wissenschaftlichen Institutionen, die sich mit Archäologie und Geschichte befassen, einen kulturellen Akzent hinzufügen."


Was als Hobby begann, ist inzwischen aber auch praktisch – zumindest für einen Krematoriumsbesitzer:
Nowosibirsk
Der Eingang des Museums für Bestattunkskulturen © Deutschlandradio Kultur / Susanne Burkhardt
"Natürlich hat dieses Museum auch einen Marketing-Effekt: Alle Besucher werden danach ins Krematrium geführt. Bislang werden nur 30 Prozent der Körper eingeäschert – das ist wenig im Vergleich mit Moskau, wo 65 Prozent feuerbestattet werden – oder den 75 Prozen in St. Petersburg."
Das Museum soll Leute anlocken – und einstimmen – auf die Welt des Todes und der Trauer.
Auch der Eintritt in die Museumsräume wird durch gefühlige Musik emotional gesteuert – hier läuft Bachs "Air" – ein Klassiker unter den Trauer-Songs. Der erste Raum in gedämpften Licht, mit überwältigend vielen Exponaten: eine Trauerkutsche im Zentrum – daneben lebensgroße Wachsfiguren mit ausschweifenden viktorianischen schwarzen Kleidern – kostbar bestickt und drapiert. Ein Puppenhaus voller Trauerpüppchen. Aus Vitrinen schauen von Gipsengeln bis echten Schädeln die verschiedensten Objekte – darunter Schwarz-Weiß-Familienfotos mit Verstorbenen – die Toten als Modelle - hergerichtet, als würden sie noch leben.
Eins – so der elegante Museumschef, hab er eine Mitarbeiterin des Nowosibirsker Kunstmuseums zum Weinen gebracht. Warum?
"Sie war so beeindruckt, was ich für die Stadt Nowosibirsk getan habe. Während ihr Museum es in achtzig Jahren nur auf zwanzig Grafiken zum Thema Tod gebracht hatte, besaß ich zu dieser Zeit schon viereinhalb Tausend. Heute haben wir 8000 Grafiken, 12.000 Postkarten, 3000 davon sind dem Ersten Weltkrieg gewidmet – die Hälfte davon ist deutsch."

Zeigen, wie in Russland und Deutschland getrauert wird

Modern wolle man sein, so Jakuschin, nicht sowjetisch, also wird gleichwertig gezeigt, wie in Russland und Deutschland getrauert wird.
"Wir haben nie polarisiert, nie die Deutschen im schlechten Licht gezeigt."
Deutsche Grabkreuze aus Bayern stehen neben Metall-Grab-Platten die Jakuschin schon mal von einem Geisterjäger auf schlechte Energien untersuchen ließ, der dann tatsächlich eine Hexe darunter entdeckte. Die wurde mit einer Zeremonie erlöst. In weiteren Räumen: Ein Leichen-Seziertisch mit allen Werkzeugen, Totenmasken, die Hände der Mütter als Gipsabdruck, erinnern daran, wen sie einst gestreichelt haben.
"Dieser Saal ist dem 19. Jahrhundert gewidmet. Wir beginnen mit der britischen Königin Viktoria. Sie hat viele Beerdigungsrituale begründet. Schließlich hat sie 43 Jahre um ihren Gatten getrauert."


In endlosen Vitrinen sehen wir phantasievollen Trauerschmuck – und wie dieser sich im Laufe der Trauerzeit verändert: von glanzlosen kohleartigen Materialien wie Jett über Onyx, Email, Ebonit und Bakelit bis hin zu Bernstein symbolisiert dieser Schmuck die verschiedenen Phasen der Trauer. Aus exklusiven Exemplaren, die an den Höfen getragen wurden, entstanden später, in der Zeit der Industrialisierung, günstigere Varianten für das Volk – Vorläufer des heutigen Modeschmucks. Medaillons, Ringe oder Broschen sind zu sehen – gearbeitet aus den Haaren der Verstorbenen, zu Lebzeiten abgeschnitten – in unfassbar feinen Flecht- und Klöppelarbeiten verarbeitet, sollen sie die Kräfte des Toten magisch übertragen.
Nowosibirsk
Das Krematorium im "Park der Erinnerung". Auf dem Gelände befindet sich auch das Museum.© Deutschlandradio / Susanne Burkhardt
"Wir zeigen die Bestattungskulturen der verschiedensten Völker. Wir haben 1000 Gemälde, 1000 Kleider des 20. Jahrhunderts, 150 Kleider des 19. Jahrhunderts aber auch aus dem 17. und dem 14. Jahrhundert."

Auch Kitsch gehört dazu

Enzyklopädisch – nennt Jakuschin seine Sammlung. Und das ist sie in der Tat. Beeindruckend ist die Menge und Qualität seiner Exponate: Die machen allerdings auch vor Kitsch nicht Halt: Ein farbenfrohes Gemälde zeigt eine niedliche Blondine, die im Spiegel den Tod erblickt.
"Dieses Bild heißt: ´Warum rufst du mich so früh?`. Heute ist es ja bei den Jugendlichen Mode sich mit Totenschädeln zu schmücken."
Ein ghanaischer Künstler, bekannt für seine lebensfrohen Sargentwürfe, gestaltet für das Museum zwei Särge: einmal in Fischform und dann in Gestalt einer Wodka-Flasche, zur Mahnung an die vielen Alkoholtoten in Russland. Eine halbe Million Menschen sterben laut Jakuschin pro Jahr an der Sucht. Der Flaschen-Sarg passt prima zum Zigarettenschachtel-Sarg. Ein Modell aus Spritzen soll folgen. Dagegen wirkt der Sarg eines Kaufmanns, der beim Bau eines Wasserkraftwerks auf einem Friedhof hochgeschwemmt wurde, geradezu schlicht. Bei soviel Tod und Trauer: hat Sergej Jakuschin eigentlich keine Angst vorm Tod?
"Nein – natürlich nicht."
Vor Jahren wurde bei ihm Krebs diagnostiziert. Inoperabel. Sechs Monate sollten ihm bleiben. Damals habe er jede Nacht geweint. Aber dann, in einer deutschen Klinik, habe man die Diagnose revidiert. Doch das Gefühl des nahen Todes ist geblieben.
"Jetzt bin ich jeden Tag hier. Das ist MEIN Haus."

"Fazit" sendet eine Sommerreihe mit dem Titel "Sonder-Ausstellung: Museen jenseits der Norm". Bis zum 6. August stellen wir Museen vor, die nicht unbedingt groß in der Öffentlichkeit stehen, die kurios sind, manchmal auch schräg, in jedem Fall aber ungewöhnlich.
Museen im Porträt:
1.8. Museum für das Unterbewusstsein in Wiesbaden
2.8. Museum sowjetischer Spielautomaten in Moskau
3.8. Museum für Bestattungskultur in Novosibirsk
4.8. Phallusmuseum in Reykjavik
5.8. Museum of Bad Art in Boston
6.8. Spedale degli Innocenti in Floren

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