Reihe: Abgehoben

Die Flugmeile und ihr Preis

Ein Flugzeug hinterlässt Kondensstreifen am 07.06.2014 am Himmel mit dem zunehmenden Mond über dem Landkreis Oder-Spree nahe Petersdorf (Brandenburg). Sie entstehen, wenn heiße, wasserdampfhaltige Triebwerksabgase von Luftfahrzeugen auf kalte Luft treffen. Foto: Patrick Pleul
Wer zahlt den Preis für den immer weiter zunehmenden Flugverkehr? © dpa / Patrick Pleul
Von Anja Krieger und Gerhard Richter · 06.01.2015
Der internationale Flugverkehr wächst und wächst. Während Schnäppchenjäger Flüge buchen, um weitere Rabatte zu bekommen, leiden Menschen in ärmeren Ländern unter den Klimafolgen der Vielfliegerei.
Jens: "Ich kann seit meiner frühen Kindheit fliegen. Das geht ganz einfach: Arme auf den Rücken, leicht nach vorne beugen, im Dreieck die Arme und dann (schnalzt) schwing nach vorne über den Kopf und los geht's."
Leila: "Das ist so wie Schwimmen, bloß in der Luft."
Marcus: "Im Endeffekt, die Möglichkeit sich überall hinzubewegen. Rauf runter, rechts links, überall hin wo man will, das ist eigentlich schon ein tolles Gefühl."
Kerstin Schaefer: "Dass Menschen so vom Fliegen träumen, daran sieht man ja, wie sehr dieses Bedürfnis, abzuheben in den Menschen verwurzelt ist. Dass das wirklich ein Traum ist, der schon immer in den Menschen schlummert. Und deswegen haben sie so viel in Bewegung gesetzt, um das möglich zu machen, weil ihr Körper das von selber nicht hergibt."
Wie lange träumen die Menschen schon vom Fliegen? In der Antike war es das Privileg der Götter. Im Mittelalter rauschten Hexen, Feen und Dämonen durch die Lüfte. Doch in Wirklichkeit gehörte der Himmel weiter nur denen, die schon Flügel hatten. Sehnsüchtig schauten die Flugpioniere den Vögeln nach. Es dauerte Jahrhunderte, bis sie die Schwerkraft überlistet hatten. Bis wir abheben konnten.
Kerstin Schaefer: "Wenn man eine Straße irgendwohin baut, da muss man hunderte Kilometer Asphalt bauen, aber beim Flugzeug, da reichen schon ein paar Meter Landebahn an zwei Orten, und schon hab ich die miteinander verbunden. Das ist bei der Straße oder bei Eisenbahnschienen überhaupt nicht der Fall."
Über 40.000 Flughäfen gibt es heute weltweit. Sie verbinden Orte, die früher Tage oder Wochen auseinander lagen. Tausende Kilometer Entfernung sind auf ein paar Stunden zusammengeschrumpft. Ein Quantensprung der Mobilität, dessen Auswirkungen in allen Bereichen des Lebens zu spüren sind. Das beobachtet auch die Hamburger Kulturanthropologin Kerstin Schaefer:
Kerstin Schaefer: "Tatsächlich ist kein Schüleraustausch oder keine Studentenreise mehr möglich ohne das Flugzeug. Arbeitstermine finden in der ganzen Welt statt, Universität hat sich dadurch verändert, es gibt die internationalen Konferenzen, zu denen alle hin und her fliegen. Da hat sich auf jeden Fall auch so der Radius, der einem Menschen zur Verfügung steht, vergrößert."
Rund eine halbe Million Menschen befinden sich zu jeder Zeit in der Luft. So viele, wie in einer Großstadt leben. Was zu Beginn der zivilen Luftfahrt einer winzigen Elite vorbehalten war, gehört heute für immer mehr Menschen zum Alltag. Die Zahl der Fluggäste ist seit 1950 fast um das Hundertfache gestiegen: auf über drei Milliarden Passagiere im Jahr. Ständig schwirrt eine Flotte von über 20.000 Flugzeugen um den Globus, mit Menschen und Gütern im Gepäck. Ein System des ständigen Transits, das die Landkarte verändert hat.
Kerstin Schaefer: "Städte mit Flughafen rücken viel dichter aneinander ran, Städte ohne Flughafen verlieren an Bedeutung, es kommen neue Städte auf die Landkarte: Frankfurt-Hahn - hat keiner mit gerechnet, oder Hamburg-Lübeck. Plötzlich kennt der Engländer Lübeck, weil er da immer landet."
Fluggäste sind weltoffen, gebildet, einflussreich und kaufkräftig. Eine Chance für jede Region der Welt, die sich wirtschaftlich entwickeln will.
Klaus-Peter Siegloch: "Wir haben ja in der Vergangenheit schon gezeigt, dass Luftfahrt für Wachstum und Jobs ein ganz wichtiger Faktor ist. Und in vielen anderen Weltregionen ist er von der Regierung sogar sehr bewusst eingesetzt. Bei uns in Deutschland, auch in Europa ist das nicht so der Fall gewesen."
Korsett für die deutsche Luftfahrt
Ein Pressetermin beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Berlin. Der Minister hat führende Köpfe der Luftfahrtindustrie eingeladen. Die Stimmung ist angespannt. Von den 22 internationalen Flughäfen in Deutschland machen nur sechs Gewinne - der Rest kämpft mit Verlusten. An Deutschlands größtem Flughafen Frankfurt wächst die Passagierzahl um nicht mal mehr ein Prozent pro Jahr. Der Boom findet in Asien und dem Pazifikraum statt: Istanbul plus 13 Prozent, Kuala Lumpur plus 19 Prozent, Dubai plus 15 Prozent. Die Worte von Scheich Ahmad ibn Sa'id Al Maktoum klingen da fast wie eine Drohung. Man müsse wachsen, um Gewinne machen zu können, sagt der Chef der Fluggesellschaft Emirates. Und deshalb treibe jeder Manager sein Team an.
Die Vereinigten Arabischen Emirate haben den Luftverkehr als nationalen Wirtschafts-Motor erkannt und investieren viel Geld in Flughäfen und Flotte.
Auch China verzeichnet hohe Wachstumszahlen. Im Vergleich fühlt sich die deutsche Luftfahrt in ein enges Korsett aus Regeln gezwängt. Der Präsident des Verbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch, fordert deshalb:
"Wir müssen eine Abschaffung der Luftverkehrssteuer erreichen, keine weiteren Nachtflugbeschränkungen, keine europäischen Insellösungen beim Emissionshandel und auch faire Bedingungen bei den internationalen Luftverkehrsabkommen."
Die Luftverkehrsteuer ist eine Abgabe, die die Airlines seit Anfang 2011 für jeden Fluggast entrichten, der von Deutschland aus in ein anderes Land fliegt. Gestaffelt nach Ziel und Entfernung ist das ein Betrag zwischen sieben und 43 Euro pro Passagier. Branchenvertreter sehen darin eine Wettbewerbsverzerrung, die die rund 850.000 Jobs gefährden könnte, die an der Luftfahrt hängen. Allerdings genießt die Luftfahrt auch massive Förderungen. So verzichtet der Staat auf hohe Beträge für Kerosin- und Mehrwertsteuer für Auslandsflüge. Für das Jahr 2008 waren das nach Berechnungen des Umweltbundesamtes insgesamt 11,5 Milliarden Euro. Auch Bund, Länder und Kommunen fördern die Infrastruktur rund um die Flughäfen massiv. Bis 2030 könnte sich die Zahl der Passagiere weltweit verdoppeln. Die Frage ist nur, wer die Gewinne heimfliegt.
Fabian: "Teure Tickets kaufen, teuer bezahlen. Viel fliegen. Oder sehr viel fliegen, oder beides. Vorzugsweise beides."
Hardy: "Also es ist egal wohin, je weiter, desto mehr Meilen gibt's eh."
Die beiden Vielflieger Hardy und Fabian treffen sich einmal im Monat zum Stammtisch in Berlin. Die ideale Gelegenheit, um die besten Tipps auszutauschen, wie man möglichst schnell viele Meilen sammeln kann. Fast alle Fluggesellschaften bieten entsprechende Programme an. Beim Miles and More Programm der Lufthansa gibt es 2014 rund 24 Millionen Nutzer weltweit. Ein Volkshobby, das Vielflieger wie Fabian perfektioniert haben.
"Man kann einfach ausrechnen, wie viel Cents zahle ich pro Meile und da gibt's schon so Pi-mal-Daumen-Richtlinien, was ist ein guter Preis, was ist ein schlechter Preis, wenn es einem primär um die Meilen geht, wenn es einem nicht so um's Fliegen und nicht um die Destination geht."
Wer viele Meilen fliegt, bekommt Vergünstigungen. Mit Flugmeilen lässt sich im Duty-Free-Shop einkaufen, ein Wagen mieten oder ein Hotelzimmer bezahlen. Die Distanz wird zur Ersatzwährung. Beliebt sind auch die sogenannten Upgrades. Wer genügend Meilen gesammelt hat, darf von der Economy-Class in die bequemere Business Class vorrücken. Für Vielflieger Hardy ein Komfort, auf den er nicht mehr verzichten will:
"Gerade Economy Holzklasse, nach Singapur fliegen, so ein Zwölf- oder Dreizehn-Stunden-Flug. Tut einfach weh, egal wie groß, ist eine Qual. Und wenn man weiß, da vorne liegen welche grade, flach in ihren Betten, mit einem Daunenkissen drunter, dann - ahhh! Und wenn man weiß, das geht, will man es auch immer wieder so haben. Es ist auf jeden Fall ein Suchtfaktor. Garantiert."
Vom Senator-Status weit entfernt
Doch Shopping und Upgrades sind nur das eine. Wer viele Meilen hat, bekommt darüber hinaus Zugang zu exklusiven Angeboten. Ein gestuftes Status-System teilt die Vielflieger in Klassen. Ab 35.000 Flugmeilen ist man Frequent Traveller. 100.000 Meilen im Jahr, und man darf sich Senator nennen. Wer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils mehr als 300.000 Meilen fliegt - also durchschnittlich jeden Monat einmal die Erde umrundet - steigt in den exklusivsten Kreis auf und bekommt Hon-Status.
Tobias Eggendorfer: "Das Meilenprogramm dient einfach der Kundenbindung. Also das ist ein relativ simples Verfahren, um Leute zu ködern. Und das geht so weit, dass Leute total verrückt danach werden. Durch die Kombination mit den Statusvorteilen haben Sie Leute, die sich völlig irrational verhalten."
Flugmeilen so scheint es, sind hart erarbeitete Währung. Tobias Eggendorfer zum Beispiel fliegt jedes Jahr 100.000 bis 200.000 Meilen und sammelt so fleißig Prämien und Statuspunkte. Und die wollte sich der IT-Professor auf keinen Fall wegnehmen lassen, als die Lufthansa 2011 die Bedingungen änderte:
"Also ich fand das einfach unfair. Der Trick war ja der: Dass ich die Meilen irgendwann mal erworben hatte und Lufthansa dann gesagt hat: 'Älllabätsch, ab sofort kosten alle Flüge mehr Meilen. Das hab' ich als einen rückwirkenden Eingriff in mein Vermögen gewertet."
Tobias Eggendorfer hat die Lufthansa verklagt. Vor dem Landgericht Köln bekam er zunächst Recht, das Oberlandesgericht entschied jedoch zugunsten der Lufthansa. Tobias Eggendorfer drohte mit einer Klage vor dem Bundesgerichtshof:
"Aber dann ist Lufthansa auf uns zugegangen und hat gesagt, also irgendwie ist das auch eine blöde Situation. Wollen wir das nicht mal irgendwie lösen und mal kucken, was ist eigentlich der Fehler, weshalb streiten wir eigentlich - so ungefähr."
Mittlerweile gilt die Regel: die Lufthansa kündigt Änderungen des Meilenwertes mit einem Vorlauf von vier Monaten an.
Niko Paech: "Wir leben hier immer noch in einer Phase, ich würde mal sagen, des Klimaschutz-Analphabetismus. Wir wollen es gar nicht wissen. Wir verdrängen schlicht und ergreifend diese Informationen, was Flugreisen tatsächlich anrichten."
Niko Paech ist vom Senator-Status weit entfernt. Der Volkswirtschaftler ist erst zweimal im Leben geflogen - und das nur widerwillig, weil es sich nicht vermeiden ließ. Sein Anliegen ist eine Gesellschaft jenseits des Wachstums, die Umwelt und Ressourcen schont. Penibel achtet Paech deshalb auch auf seine Emissionen. Aus Sicht des Wissenschaftlers übersteigen weite Reisen einfach das Budget, was jedem Bewohner des Planeten zusteht.
Niko Paech: "Wenn man aber nur 2,7 Tonnen CO2 hat, und dieser Wert, der lässt sich ja herleiten aus dem 2-Grad-Klimaschutzziel, dann heißt das, dass diese Flugreise schon nicht mehr darstellbar ist."
Statt in Sachen Nachhaltigkeit ständig um die Welt jetten, verzichtet Paech auf weite Reisen und nutzt nur Bahn und Fahrrad. Flugreisen sind aus seiner Sicht das Schlimmste, was man dem Klima als einzelner Mensch legal antun kann. Und dazu produziert der Flugverkehr einen Menschentyp, den Paech schlichtweg ablehnt.
Niko Paech: "Das global vernetzte Individuum ist der Konsument par excellence. Das ist eigentlich die Kreatur, die die meiste Produktion braucht, ja? Weil, wenn man nicht mehr sesshaft ist, dann kümmert man sich nicht mehr um die eigene Versorgung, man kümmert sich auch nicht mehr um die Umweltgüter, sondern man ist auf Gedeih und Verderb am Tropf einer globalisierten, industrialisierten Fremdversorgung, ja?"
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Meine Damen und Herren, wir überfliegen nun Nigeria, mit 120 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Im Süden wird es begrenzt vom Atlantik und im Norden von der Wüste. Innerhalb Nigerias gibt es dichte tropische Regenwälder. Entschuldigung… - also, es gab dichte tropische Regenwälder."
"Auf einmal fallen Menschen übereinander her"
Dietrich Brockhagen: "Nigeria ist das Land auf der Welt, in dem der Wald am schnellsten wegkommt."
Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von Atmosfair. Das Unternehmen bietet Flugreisenden an, ihre Klimaemissionen durch eine Kompensationszahlung auszugleichen - die dann zum Beispiel für Projekte in Nigeria eingesetzt wird.
Dietrich Brockhagen: "Ich glaube, jedes Jahr so um die fünf Prozent des bestehenden Waldes werden eingeschlagen. Und das machen eben Menschen, die keine andere Wahl haben, weil sie einfach ihre Familie versorgen müssen und irgendwo die Energie herkommen muss. Und die gehen dann einfach in den Wald, das sind meistens die Frauen, die stundenlang aus ihren Dörfern wegziehen, um noch den Waldreste zu kommen, wo es noch Bäume gibt und die schlagen dann die Äste ab."
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Wenn Sie aus dem linken Fenster sehen, blicken Sie auf eine riesige rote Fläche. Das ist die Wüste des Nachbarstaates Niger."
Dietrich Brockhagen: "Dadurch, dass der Wald weg kommt, dringen die Wüstenwinde aus dem Norden, also aus dem Niger, immer tiefer nach Nigeria ein. Die Erosion schreitet fort, weil einfach kein Wald mehr da ist, der den Boden hält. Und deswegen kommt dieser rote Sand aus dem Niger, wird immer weiter über die Grenze aus dem Norden hereingetragen und vertreibt die Menschen weiter in den Süden."
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Aus der Vogelperspektive gut zu sehen: die Küste im Süden. Und was da wie eine Halbinsel hineinragt, ist die weitverzweigte Mündung des Nigerflusses. Eines der bevölkerungsreichsten Deltas der Erde."
Dietrich Brockhagen: "Im Süden steigt der Meeresspiegel. Wir denken immer, dass es nur ein paar Zentimeter sind. Und wenn der Meeresspiegel auch nur durch Sturmfluten stärker steigt, dann drückt einfach das Salzwasser immer weiter den Niger hoch und die Menschen verlieren ihre Wohnplätze dort. Das treibt dann die Menschen in den Norden des Landes, und in der Mitte wird dann der Lebensraum auf einmal eng. Und dann passiert es tatsächlich, dass Menschen, die bisher friedlich miteinander gelebt haben, auf einmal übereinander herfallen."
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Wegen der terroristischen Aktivitäten von Boko Haram und der Gefahr der Entführung westlicher Besucher rät das Auswärtige Amt von Reisen nach Nigeria derzeit ab."
Dietrich Brockhagen: "Wir lesen in den Zeitungen immer nur Boko Haram, und islamischer Terror. Das ist alles da, das wird aber wesentlich massiv verstärkt durch diese Landnutzungskonflikte, weil einfach das Land in der Mitte Nigerias eng wird. Da spielt eben der Klimawandel schon eine große Rolle."
Über Nigeria bleibt ein Kondensstreifen, der sich langsam auflöst. Jeder der Passagiere im Flugzeug hat geschätzte 300 Kilo CO2 über dem Himmel zurückgelassen. Der Kondensstreifen selbst und andere Abgase verstärken den Klima-Effekt noch deutlich.
Dietrich Brockhagen: "Es wird Ozon aufgebaut in großen Flughöhen. Also in neun- bis 13 Kilometer-Flughöhen, dort wo die meisten Flugzeuge bei Langstrecken-Flügen ihre Reiseflughöhe haben. Also auch Flugtriebwerke stoßen Stickoxide aus und die führen mit der Sonneneinstrahlung dazu, dass diese Smogreaktion abläuft. Die läuft bloß in diesen großen Höhen viel effektiver ab als am Boden, also dreißigmal so schnell und vor allen Dingen läuft sie dann ungebremst weiter. Es gibt noch einen anderen Effekt: die Kondensstreifen. Aber wenn man das alles zusammen nimmt, dann kann man ungefähr sagen, so über den Daumen, dass eine Tonne Kerosin, im Flugzeug verbraucht, ungefähr dreimal so klimaschädlich ist, wie eine Tonne Benzin, die wir im Auto verbrauchen."
In Nigeria kochen die meisten Bewohner in den ländlichen Regionen ihr Essen über Holzfeuern. Mit einfachsten Methoden: Zwischen drei großen Steinen wird das Holz geschüttet, der Kochtopf kommt obendrauf. Weil der Großteil der Hitze entweicht, brauchen die Nigerianer viel mehr Holz als eigentlich nötig. Und das ist nicht nur teuer, sondern auch schlecht fürs Klima. Atmosfairs Lösung ist aus glänzendem Blech, etwa 60 Zentimeter hoch und steht im Büro der Firma in einem Berliner Hinterhof. Atmosfair- Mitarbeiterin Luisa Burill holt den kleinen Ofen aus dem Regal. In der oberen Öffnung sitzt passgenau ein Topf.
Luisa Burill: "Das ist der SAVE 80, unser Kocher, der in Nigeria zum Einsatz kommt. Der spart 80 Prozent des Brennholzes ein."
Dietrich Brockhagen: "Holz ist einfach wahnsinnig teuer. Und damit lösen wir eigentlich das dringendste Problem der Menschen. Die denken eigentlich gar nicht an Klimawandel, die denken daran, wie sie ihre Familie versorgt bekommen mit Holz. Und wie sie die Lebenshaltungskosten klein halten. Dann kommt halt dieser Kocher von uns ideal zum Einsatz. Um eben nachher als Atmosfair sagen zu können, unsere 20.000 Öfen haben jetzt 60.000 Tonnen CO2 eingespart in einem Jahr, und damit können wir dann 60.000 Flüge kompensieren à eine Tonne."
Das Geld für das Projekt stammt von Leuten, die freiwillig ihre Flüge kompensieren. Das heißt, sie gehen im Internet auf den CO2-Rechner von Atmosfair und geben ihre Flugstrecke ein. Der Rechner sagt ihnen, wie viel CO2 sie da in die Atmosphäre schicken und mit wie viel Geld sie das kompensieren können. Meist sind das etwa zehn Prozent des Ticketpreises. Etwa vier Millionen Euro kommen so pro Jahr zusammen.
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Liebe Passagiere, außer in Nigeria wird nun auch schon in Äthiopien, Ruanda, Kamerun, Lesotho und einigen anderen Ländern der Welt mit einem holzsparenden SAVE80 gekocht. Übrigens: In drei vollen Passagiermaschinen sitzt ungefähr eine Person, die ihren Flug kompensiert."
Umgang mit den Klimafolgen unklar
Uta Maria Pfeiffer: "Wir sind die Hauptverursacher, und das Dramatische daran ist ja, dass diejenigen, die jetzt zum Beispiel gar nicht fliegen, diejenigen sind, die auch die Klimaauswirkungen, also da, wo es sich am meisten äußert, tragen müssen. Das hängt aber jetzt nicht nur am Thema Fliegen, sondern generell an unserem Konsum hier."
Auch bei der Luftfahrtindustrie macht man sich über das Thema Umwelt und Klimawandel Gedanken. Nicht zuletzt, um das angeschlagene Image der Branche aufzupolieren. Uta Maria Pfeiffer ist gelernte Maschinenbauingenieurin und beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft BDL für das Thema Nachhaltigkeit zuständig.
"Also, wir haben verschiedene Maßnahmen, das teuerste und das einfachste ist natürlich, neue Flugzeuge einzusetzen, die ungefähr 20, 30 Prozent weniger Energie einfach brauchen. Das heißt, wir fliegen dann die gleiche Strecke, aber 30 Prozent energieeffizienter. Dann erhöhen wir unsere Auslastung, das ist ganz wesentlich, denn je voller Sie quasi eine Röhre packen, das ist also für die anderen Verkehrsträger auch so, desto energieeffizienter können Sie fliegen."
Höhere Auslastungen, neue Triebwerke oder Biotreibstoffe: Mit solchen Neuerungen arbeitet die Branche daran, ihre Effizienz zu verbessern. Und in den letzten Jahren gelang das auch. Doch ab 2020 soll der Luftverkehr klimaneutral wachsen. Das heißt: Die Emissionen, die bis dahin etwa 770 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erreichen, dürfen dann nicht weiter steigen. Gleichzeitig soll der Luftverkehr auch in Zukunft wachsen, um etwa vier bis fünf Prozent pro Jahr.
Uta Maria Pfeiffer: "Mit unseren Maßnahmen, die wir kontinuierlich und seit Langem schon umsetzen, um Energie einzusparen, werden wir natürlich dieses Ziel nicht erreichen. Wir werden eben nicht unsere CO2-Emissionen absolut senken können."
Wie mit den Klimafolgen der internationalen Luftfahrt umgegangen werden soll, ist bisher allerdings unklar. Im Kyoto-Protokoll von 1997 wurde der internationale Flugverkehr zusammen mit der Schifffahrt ausgeklammert. Stattdessen sollte die UN-Unterorganisation International Civil Aviation Organisation - kurz ICAO - eine international gültige Regelung entwickeln. Tatsächlich konnten sich die Staaten bei den ICAO-Sitzungen bislang jedoch nicht auf einen gemeinsamen Plan einigen.
Uta Maria Pfeiffer: "Sie können das ungefähr vergleichen mit den Klimaverhandlungen in Paris oder in den vergangenen Jahren. Wir kennen es, dass es dort schwierig ist, zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Und genauso ist es natürlich bei der ICAO auch, da sitzen im Prinzip die gleichen Länder, und deshalb ist es da auch so schwer, eine gemeinsame Lösung zu generieren."
Nachdem jahrelang nichts passiert war, hat die EU beschlossen, zumindest den Luftverkehr auf europäischem Boden in ihr eigenes Emissionshandelssystem einzugliedern. Einbezogen werden sollten nicht nur die Reisen zwischen europäischen Flughäfen, sondern auch alle Flüge, die in Europa starten oder landen. Das provozierte heftigen Protest auf Seiten der außereuropäischen Airlines. Schließlich wären auch alle Emissionen eines Fluges einberechnet worden, der etwa von Los Angeles nach Berlin größtenteils über den US-Luftraum und das Meer geführt hätte. Das Vorhaben verursachte so große diplomatische Verstimmungen, dass die EU einlenkte.
Derzeit müssen nur innereuropäische Flüge mit Zertifikaten aufgewogen werden. Unendlich belasten kann das den deutschen Flugverkehr nicht: Die Kosten für Emissionshandel und die Luftverkehrsteuer sind hierzulande zusammen bei einer Milliarde gedeckelt. Das macht gerade ein Zehntel der Subventionen aus.
Doch jenseits der Kritik an einer möglichen Bevor- oder Benachteiligung der Luftverkehrsbranche sind sich Politik, Umweltexperten und Branchenvertreter in einer Sache einig: Wirtschaft und Umwelt lassen sich im Luftverkehr nur sinnvoll unter einen Hut bringen, wenn es zu einer internationalen Regelung kommt. Bis 2016 soll die ICAO endlich einen eigenen Plan erarbeiten. In der Diskussion ist nun ein sogenanntes Offset-Modell. Es würde ähnlich funktionieren wie der EU-Emissionshandel.
Uta Maria Pfeiffer: "Das heißt also, wir als Luftverkehr, wir können nicht einsparen, oder wir wollen ja mehr konsumieren, also mehr CO2 ausstoßen. Das heißt also, wir kaufen also von denjenigen, die eben aus welchem Grunde auch immer diese CO2-Emissionen nicht ausstoßen wollen oder können, oder eben auch effizienter arbeiten können oder nicht so viel wachsen. Und es wäre eine gerechte Lösung."
"Dürfen Menschen so viel fliegen?"
Der Flugverkehr kann also weiter wachsen, aber andere sollen das gegen Geld wieder wettmachen.
Fiktive Flugzeug-Durchsage: "Meine Damen und Herren, wir befinden uns nun im Landeanflug und erreichen in wenigen Minuten die Nachrichten. Bitte stellen Sie Ihre Lehnen wieder senkrecht und schnallen Sie sich an."
Schätzungen gehen davon aus, dass der Luftverkehr bisher etwa zwei bis drei Prozent der von Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen ausmacht. Darin enthalten sind allerdings nicht die weiteren Effekte des Luftverkehrs, etwa durch Wasserdampf oder Stickoxide, die die Klimawirkung noch einmal deutlich erhöhen.
Kerstin Schaefer: "Ja, ich glaube, die Frage ist nicht, ob wir uns Fliegen irgendwann noch leisten können, sondern ob wir uns Fliegen noch leisten wollen in Zukunft. Und da merkt man ja jetzt schon, dass sich das verändert hat, der Umgang mit diesen Fragen. Plötzlich, wenn ich im Internet meinen Flug buche, ploppt da der Button auf, ob ich Emissionsausgleich betreiben möchte oder nicht. Und das muss dann jeder Mensch für sich selber entscheiden, was für einen ökologischen Fußabdruck er auf der Erde hinterlassen möchte."
Bei einem Wachstumsmarkt wie dem Luftverkehr wird diese Frage besonders brisant. Weltweit fliegt bislang nur eine kleine Minderheit regelmäßig mit dem Flugzeug – etwa drei bis sieben Prozent. Über 90 Prozent der Weltbevölkerung nutzt den Flugverkehr gar nicht.
Niko Paech: "Man kann das durch nichts ausgleichen. Soviel Bionade kann man nicht trinken, so viel Müll kann man nicht trennen, soviel Möhrenbeete im Gemeinschaftsgarten kann man nicht bewirtschaften, man kann auch mit Ökostrom so etwas nicht irgendwie ausgleichen. Es gibt keine Möglichkeit, das auszugleichen."
Doch der Flugverkehr lässt sich nicht einfach so ersetzen.
Tobias Eggendorfer: "Wir brauchen aus geschäftlichen Gründen die Möglichkeit, sich mit Leuten irgendwo in der Welt treffen zu können. Das lässt sich nicht umgehen, wir wollen auch in die Ferne reisen, wir wollen andere Länder sehen, wir wollen andere Kulturen erleben. Wir wollen das Menschen aus verschiedenen Kulturen einander begegnen."
Doch wenn die Emissionen weiter unreguliert bleiben und die Passagierzahlen weiter wachsen wie prognostiziert, könnte der Luftverkehr zu einem der großen Treiber des Klimawandels werden. Auf Kosten der Menschen gerade in den ärmeren Ländern.
Uta Maria Pfeiffer: "Darf es eigentlich überhaupt so viel Luftverkehr geben? Dürfen Menschen so viel fliegen? Ist es in Ordnung, wenn man nicht in der Uckermark Urlaub macht, sondern nach Mallorca fliegt, wie es ja nun die Deutschen sehr lieben. Das sind gesellschaftliche Fragen, die werden wir als Luftverkehr nicht beantworten. Weil unser Job ist es, die Menschen, die fliegen möchten, zu befördern, und das Gut, was transportiert werden soll, ebenfalls zu befördern."
Alle Hoffnungen richten sich derzeit auf 2016 und die Bemühungen der ICAO, eine gemeinsame Strategie für die Reduktion der Emissionen zu verabschieden. Allerdings wird das marktbasierte Instrument, das dort entwickelt wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit nur den reinen CO2-Ausstoss berücksichtigen - und damit einen erheblichen Teil der Klimawirkung der Luftfahrt außen vor lassen. Große nationale Märkte in den USA oder China blieben von der Entscheidung der ICAO ohnehin unberührt.
Hardy: "Man beruhigt sein Gewissen immer selber, indem man sagt: 'Auch wenn ich nicht hier sitze, der Flieger würde trotzdem fliegen. Der fliegt nicht nur, weil ich hier drin bin.' Das ist so die Beruhigung. Und ab und zu kompensiere ich sogar was, dass ich also die 2,20 Euro mehr bezahle, für das Bäumchen in Nigeria."

Im Gespräch mit Vielfliegern und Nichtfliegern, Kulturwissenschaftlern und Flugzeugingenieuren, in Hangars und Innovations-Labors reisen unsere Autoren in den drei Teilen der Zeitfragen-Reihe 'Abgehoben' durch Raum und Zeit, dem Traum vom Fliegen hinterher. Teil 2 hören Sie am 7. Januar 2015 um 19:30 Uhr.

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