Reifeprüfung für die deutsche Demokratie
Links ist kein geschützter Begriff. Wer will, kann sich links nennen. Das prämiert den Etikettenschwindel. Am meisten gilt das für Oskar Lafontaine und seine Rache an der alten SPD.
Lafontaines tobender Zorn kommt von ganz woanders her, wenn er deutsche Arbeit für deutsche Arbeiter verlangt, wenn er das parlamentarische System des Grundgesetzes schreiend verdammt und wenn er finanzielle Forderungen stellt, die kein ehrlicher Mensch erfüllen kann. Man kennt das irgendwoher, und es riecht verdächtig, und es hat Erfolg bei allen, die zu kurz gekommen sind oder sich so fühlen. Im Lande des organisierten Sozialneids und des steigenden Selbstmitleids ist derlei, wie man sieht, parteifähig und koalitionsfähig.
Deshalb ist ernst zu nehmen, was da an die Oberfläche kommt: Aus Ost und West tun sich zwei Fragmente zusammen, die alten SED-Kader aus dem Osten, die der DDR nachtrauern und der verlorenen Stasimacht, und abtrünnige Gewerkschafter aus dem Westen. Damit hat das radikale Verneinungskartell erstmals seit 1990 eine Chance, das Parteiensystem des Landes zu verändern. Es ist, das soll man deutlich sehen, die andere Republik, um die es geht: Der allmächtige, fürsorgende Mami-Staat, der alles besser weiß, speziell wie man mit dem Geld der Bürger umgeht. Der allen nimmt und vielen gibt und dabei fett und impotent wird. Der überwacht und kontrolliert. Der zuerst Kapitalflucht und dann Republikflucht unbarmherzig ahndet. Es ist der Große Bruder aus "1984", der da auftaucht, mit Neusprech und Gedankenkontrolle. War nicht Freiheit einmal die große linke Vision? Das ist lange her, und inzwischen ist im Namen der Gerechtigkeit so ungefähr alles geschehen, was das Gegenteil ist.
Derweilen werden in Landesparlamenten schon Mehrheiten links der Mitte vermessen. In Berlin überlebt Klaus Wowereit auf diese Weise, (den Berliner den regierenden Partymeister nennen), und anderswo ist Bewegung Richtung Linksmehrheit. Mehrheit aber, wie Geld, macht sinnlich, speziell die in den Meinungsumfragen traurig aussehende SPD. Gäbe es nicht Oskar Lafontaine, den Trommler von der Saar, und dessen Hasstiraden auf die Partei, deren Vorsitzender er einmal war, dann wäre man sich wahrscheinlich schon viel näher gekommen, nicht nur in örtlichen Hinterzimmern, sondern auch auf Bundesebene. Das muss noch eine Weile warten: Wie lange, entscheidet der Wähler.
Lafontaine will unterdessen die bösen Geister der Vergangenheit vertreiben, indem er Willy Brandt als Partei-Ikone an die Wand hängt und sich darunter ablichten lässt, als ginge es um väterlichen Segen. Die Wahrheit ist ganz anders. Willy Brandt sagte 1989 das Wort zur Weltgeschichte: "Jetzt kommt zusammen, was zusammengehört". Für Oskar Lafontaine, dessen kleinliches Mäkeln, Bremsen und Taktieren hatte er nur Verachtung übrig. Am Ende machte er kein Geheimnis daraus, dass er in Lafontaine den bösen Geist der SPD sah.
Wie auch immer. Jetzt sind Lafontaine und Gysi obenauf und sehen mit Schadenfreude, wie sie die politischen Parteien aufmischen und die SPD nervös und ängstlich machen. Die Führer der Sozialdemokratie sollten nachlesen, wie es ihren Vorgängern zu Weimarer Zeiten erging: Stets schielten sie auf die Kommunisten und wagten es nicht, die bürgerliche Republik ohne Wenn und Aber zu unterstützen. "Republik das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel": Das war die Melodie in Richtung der stalinisierten KPD. Zugleich aber waren die Erben Bebels und Eberts viel zu redliche Leute, als dass sie ernsthaft die Volksfront bilden wollten. Zu den Folgen gehörten strategische Unsicherheit, Abwehrverzicht gegen die Feinde der Republik, und ein bitteres Ende.
Die Republik befindet sich heute in fundamentalem Wandel: Globalisierung, Alterung, Innovationsschwäche, Technikzweifel und Überschuldung sind die Stichworte. Der Sozialvertrag, der noch aus Wirtschaftswunderzeiten stammt, ist längst Lebenslüge der Republik geworden. Die fetten Jahre sind lange vorbei, aber durch immer neue Schuldenberge mit dem schönen Namen Nettkreditaufnahme haben die Parteien das vor den Wählern versteckt. Die aber wollten es auch nicht anders und bestraften jeden, der die Wahrheit sagte. Nun sind die mageren Jahre über das Land gekommen und zwingen die parlamentarische Demokratie in eine Stunde der Wahrheit, die zur Existenzkrise werden kann. Davon will die Linkspartei profitieren nach dem Satz: Je schlechter desto besser. Jetzt brummt die Wirtschaft noch, die Steuereinnahmen steigen, aber es gibt kein Gesetz, dass das immer so sein muss. Die Mehrheit müht sich ab mit qualvollen Kompromissen bei Renten und Gesundheit, die niemanden überzeugen. Unterdessen versprechen die Gaukler das Blaue vom Himmel herunter.
Die deutsche Demokratie steht vor einer Reifeprüfung, und wie sie ausgeht, ist nicht ausgemacht.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u. a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im sogenannten Historikerstreit entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", schreibt jetzt für die "Welt" und die "Welt am Sonntag".
Deshalb ist ernst zu nehmen, was da an die Oberfläche kommt: Aus Ost und West tun sich zwei Fragmente zusammen, die alten SED-Kader aus dem Osten, die der DDR nachtrauern und der verlorenen Stasimacht, und abtrünnige Gewerkschafter aus dem Westen. Damit hat das radikale Verneinungskartell erstmals seit 1990 eine Chance, das Parteiensystem des Landes zu verändern. Es ist, das soll man deutlich sehen, die andere Republik, um die es geht: Der allmächtige, fürsorgende Mami-Staat, der alles besser weiß, speziell wie man mit dem Geld der Bürger umgeht. Der allen nimmt und vielen gibt und dabei fett und impotent wird. Der überwacht und kontrolliert. Der zuerst Kapitalflucht und dann Republikflucht unbarmherzig ahndet. Es ist der Große Bruder aus "1984", der da auftaucht, mit Neusprech und Gedankenkontrolle. War nicht Freiheit einmal die große linke Vision? Das ist lange her, und inzwischen ist im Namen der Gerechtigkeit so ungefähr alles geschehen, was das Gegenteil ist.
Derweilen werden in Landesparlamenten schon Mehrheiten links der Mitte vermessen. In Berlin überlebt Klaus Wowereit auf diese Weise, (den Berliner den regierenden Partymeister nennen), und anderswo ist Bewegung Richtung Linksmehrheit. Mehrheit aber, wie Geld, macht sinnlich, speziell die in den Meinungsumfragen traurig aussehende SPD. Gäbe es nicht Oskar Lafontaine, den Trommler von der Saar, und dessen Hasstiraden auf die Partei, deren Vorsitzender er einmal war, dann wäre man sich wahrscheinlich schon viel näher gekommen, nicht nur in örtlichen Hinterzimmern, sondern auch auf Bundesebene. Das muss noch eine Weile warten: Wie lange, entscheidet der Wähler.
Lafontaine will unterdessen die bösen Geister der Vergangenheit vertreiben, indem er Willy Brandt als Partei-Ikone an die Wand hängt und sich darunter ablichten lässt, als ginge es um väterlichen Segen. Die Wahrheit ist ganz anders. Willy Brandt sagte 1989 das Wort zur Weltgeschichte: "Jetzt kommt zusammen, was zusammengehört". Für Oskar Lafontaine, dessen kleinliches Mäkeln, Bremsen und Taktieren hatte er nur Verachtung übrig. Am Ende machte er kein Geheimnis daraus, dass er in Lafontaine den bösen Geist der SPD sah.
Wie auch immer. Jetzt sind Lafontaine und Gysi obenauf und sehen mit Schadenfreude, wie sie die politischen Parteien aufmischen und die SPD nervös und ängstlich machen. Die Führer der Sozialdemokratie sollten nachlesen, wie es ihren Vorgängern zu Weimarer Zeiten erging: Stets schielten sie auf die Kommunisten und wagten es nicht, die bürgerliche Republik ohne Wenn und Aber zu unterstützen. "Republik das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel": Das war die Melodie in Richtung der stalinisierten KPD. Zugleich aber waren die Erben Bebels und Eberts viel zu redliche Leute, als dass sie ernsthaft die Volksfront bilden wollten. Zu den Folgen gehörten strategische Unsicherheit, Abwehrverzicht gegen die Feinde der Republik, und ein bitteres Ende.
Die Republik befindet sich heute in fundamentalem Wandel: Globalisierung, Alterung, Innovationsschwäche, Technikzweifel und Überschuldung sind die Stichworte. Der Sozialvertrag, der noch aus Wirtschaftswunderzeiten stammt, ist längst Lebenslüge der Republik geworden. Die fetten Jahre sind lange vorbei, aber durch immer neue Schuldenberge mit dem schönen Namen Nettkreditaufnahme haben die Parteien das vor den Wählern versteckt. Die aber wollten es auch nicht anders und bestraften jeden, der die Wahrheit sagte. Nun sind die mageren Jahre über das Land gekommen und zwingen die parlamentarische Demokratie in eine Stunde der Wahrheit, die zur Existenzkrise werden kann. Davon will die Linkspartei profitieren nach dem Satz: Je schlechter desto besser. Jetzt brummt die Wirtschaft noch, die Steuereinnahmen steigen, aber es gibt kein Gesetz, dass das immer so sein muss. Die Mehrheit müht sich ab mit qualvollen Kompromissen bei Renten und Gesundheit, die niemanden überzeugen. Unterdessen versprechen die Gaukler das Blaue vom Himmel herunter.
Die deutsche Demokratie steht vor einer Reifeprüfung, und wie sie ausgeht, ist nicht ausgemacht.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u. a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im sogenannten Historikerstreit entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", schreibt jetzt für die "Welt" und die "Welt am Sonntag".

Michael Stürmer© Deutschlandradio / Bettina Straub