Reifeprüfung

Von Udo Pollmer |
Das Angebot an frischem Obst im Winter wird immer breiter. Manches davon, wie Tomaten, stammt per Lkw aus marokkanischen Treibhäusern, anderes kommt frisch mit dem Flieger. Aber vieles ist Lagerware, die erst vor Ort gereift wird, oder unreif per Schiff zu uns kommt und zu diesem Zweck in einen künstlichen Schlaf versetzt wird.
Womit "schläfert" man Früchte denn ein? Man erntet sie unreif und lagert sie kühl, meistenteils unter einer Spezialatmosphäre mit minimalen Anteilen an Sauerstoff, um die Atmung zu unterdrücken. Nicht das "Schlafen" ist das Problem, sondern der chemische Kuss, mit dem die vielen Dornröschen im Lager zur Reifung und Aromabildung veranlasst werden sollen. Die Reifung von Früchten ist ein komplizierter Vorgang, etwa vergleichbar mit den hormonellen Prozessen während der Pubertät.

Und die will man jetzt genauso steuern, wie beim lieben Vieh? Genau. In den USA macht der Fruchthandel Umsätze von über 50 Milliarden Dollar jährlich, da bleibt auch was für die Forschung hängen. Es ist vor allem ein Stoff, der die Reifung regelt: das Ethylen. Ethylen ist ein farbloses, schwach süßlich riechendes Gas, das in höherer Dosis narkotisch wirkt und sogar explosiv ist. Ethylen ist nicht nur für die Pflanze wichtig, sondern auch ein Grundstoff der chemischen Industrie, man denke nur an das Polyethylen.

Zurück zu unserem Obst – besteht da etwa auch Explosionsgefahr? Natürlich nicht, weil hier Spuren des Gases schon wirksam sind. Gibt man etwas Ethylen dazu, wird die Reifung ausgelöst, zum Beispiel wenn Bananen gereift werden sollen. Bei Trauben und Kirschen verwendet man Ethylen, um die Farbe zu vertiefen, bei Zitrusfrüchten, um sie zu entgrünen, also das Chlorophyll in der Schale abzubauen.
Andererseits kann man durch Entfernen von Ethylen, das die Früchte in die Atmosphäre des Lagerraums abgeben, die Reifung hinauszögern. Das geschieht z.B. durch Zugabe von Kaliumpermanganat. Dieser Stoff ist übrigens auch für Biobananen zugelassen. Ohne Chemie geht’s halt nicht.
Inzwischen hat man den Rezeptor für das Ethylen gefunden. Ein entscheidender Durchbruch gelang dazu an der Uni Hannover. Dort wurde ein Stoff entdeckt, der diesen Rezeptor ausschaltet. Die Substanz heißt 1-MCP (1-Methylcyclopropen). 2002 wurde er in den USA als Reifeverzögerer zugelassen, heute wird er überall auf der Welt für zahlreiche Früchte verwendet, wie Äpfel, Kiwis oder Avocados.

Wie kann ich mir das vorstellen? 1-MCP ist in Mikrokäfige, sogenannte Cyclodextrine eingeschlossen, bringt man das Pulver mit Wasser in Berührung, wird der Stoff aus seinen Käfigen entlassen. Nach mehreren Stunden sind die Rezeptoren des Obstes für zwölf Tage blockiert. Dadurch wurden der Transport und die Lagerung insbesondere von exotischen Früchten viel billiger. Allerdings haben manche Früchte immer noch ihre Tücken. Bei Bananen kann es sein, dass 1-MCP nur die Schale am Reifen hindert: sie bleibt grün, während sie innen schon reif ist. Pfirsiche bilden beispielsweise ständig neue Rezeptoren, so dass man sie ständig der Substanz aussetzen müsste. Das ist wiederum zu aufwendig. Doch der Fortschritt scheint nicht aufhaltbar: Inzwischen wird versucht, schon die Obstbäume damit einzusprühen, um die Früchte allesamt unreif ernten zu können.

Da braucht man nicht viel Phantasie, um zu vermuten, dass derzeit auch eine Supertomate in Arbeit ist – stoßfest, aromatisch und ewig haltbar? Gewiss. Die Aromastoffe, die der Kunde an der Tomate liebt, kennt man, ihre Entstehung in der Tomate auch, jetzt muss man nur noch ein wenig an den Genen schrauben. Dann schmecken sie endlich wie frisch aus dem Garten. Und weil man schon dabei ist, sollen die Tomaten in Zukunft gleich in mehreren Geschmacksrichtungen angeboten werden. In Florida wird gerade an einer Basilikumtomate gebastelt. Im nächsten Schritt soll ein Mozarella-Aroma folgen – für die Vegetarier, die nix von Kuh oder Büffel wissen wollen. In Israel ist gerade eine Tomate mit Rosenduft in Arbeit. Und mit einem kleinen gentechnischen Kunstgriff lässt sich der Rosenduft in Zitronengeschmack verwandeln. Das vereinfacht die Herstellung von Tomatensalat. Durch fleißiges Screening der Züchtungslinien gibt es bereits die ersten Tomaten, die drei Monate lang reif und aromatisch bleiben. Bis sie allerdings auf den Markt kommen, ist einiges an züchterischer Arbeit zu leisten.

Literatur:
Everts S: Reining in Ripening. CEN 2007, Oct 29, S.10-15