Reichsbürgerbewegung und Esoterik

"Das Milieu schürt Heilserwartungen"

Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürgergruppierung vom «Bundesstaat Bayern» weht am 07.02.2017 auf einem Wohnhaus in Pliening (Bayern). In dem Haus hat zuvor ein SEK-Einsatz gegen einen Reichsbürger stattgefunden.
Die so genannten Reichsbürger erkennen keinerlei staatliche Autorität an. Von heute an steht ein Anhänger wegen Mordes an einem Polizisten vor Gericht. Der Verfassungsschutz geht deutschlandweit von knapp 13.000 Reichsbürgern aus. © pa / dpa / Matthias Balk
Michael Hüllen im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.08.2017
Auf den ersten Blick scheint es nicht zusammenzupassen: da die teils militanten Reichsbürger, dort die spirituell ausgerichteten Esoteriker. Doch es gibt konkrete Verbindungen, sagt Politikwissenschaftler Michael Hüllen. Ein Beispiel: Verschwörungstheorien.
Dieter Kassel: Dass es Reichsbürger gibt und auch so in etwa zumindest welche Ideologien hinter ihnen stecken, das wissen, glaube ich, sehr viele Menschen in Deutschland inzwischen, nach den einzelnen Ereignissen der vergangenen Monate und des vergangenen Jahres. Immer wieder machen Reichsbürger ja inzwischen Schlagzeilen – heute wegen dieses Prozesses, der vor dem Gericht in Nürnberg-Fürth gegen einen Reichsbürger heute beginnt, der auf Polizisten geschossen hat während einer Razzia.
Man weiß also, dass es sie gibt, aber man weiß, glaube ich, noch – als normaler Mensch, und da zähle ich mich jetzt mal dreist mit – lange nicht alles über diese Bewegung. Ich wusste zum Beispiel bis vor sehr kurzer Zeit nicht, dass es konkrete Verbindungen gibt zwischen der Reichsbürger- und der Esoterikszene in Deutschland. Michael Hüllen ist das schon seit Längerem klar. Er ist der stellvertretende Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit und Verfassungsschutz durch Aufklärung beim brandenburgischen Innenministerium und beschäftigt sich unter anderem eben auch mit diesem Phänomen. Einen schönen guten Morgen, Herr Hüllen!
Michael Hüllen: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Sie haben ein Beispiel doch sicherlich parat: Wie habe ich mir das genau vorzustellen – Zusammenhänge zwischen der Esoterikbewegung und den Reichsbürgern?

Mischung von esoterischen und rechtsextremistischen Inhalten

Hüllen: Wir beobachten ja in den letzten Jahren verstärkt tatsächliche Zusammenhänge, das heißt Netzwerke, die sich entwickeln, die zusehends eine Mischung zwischen esoterischen und rechtsextremistischen Inhalten bieten, und die Reichsbürgerszene oder das Reichsbürgermilieu ist davon eine Entwicklung. Also wenn wir uns den heutigen Prozessauftakt anschauen, Wolfgang P. selbst hatte ganz konkrete Heilserwartungen, die im Reichsbürgermilieu geschürt werden, und das ist auch ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Szenen. Wenn Sie Esoterik mit geheimem Wissen übersetzen, dann gibt es die Gemeinsamkeit zu den Reichsbürgern, aber auch zur rechtsextremistischen Szene, dass dort gedacht wird, es gibt eine historische Entwicklung, die hat nur ein bestimmtes Ziel.
Und Wolfgang P. zum Beispiel hat, kurz bevor er auf die Polizisten schoss, tatsächlich auf seiner Facebookseite den Staatenbund Österreich gepostet mit einem Bild, ein friedlich mäandernder Fluss, und dort war die Parole zu lesen, "wir sind der Zukunft näher als wir denken", und das war eine Parole des One People’s Public Trust, die tatsächlich mit den Nationalstaaten nichts mehr zu tun haben wollen, die sich selbstständig machen und die dann aber auch wiederum Verbindungen haben zu anderen Bewegungen wie zum Beispiel der Anastasia-Bewegung, wo man auch von einer Figur ausgeht, einer Frau, die die Erlöserin der Welt darstellen soll.
Kassel: Nun ist aber ja, Herr Hüllen, nicht jeder, der daran glaubt, man könne sein Schicksal auspendeln oder schläft schlecht auf Wasseradern oder kann mit einem Baumast Gold entdecken, also diese Menschen, die, glaube ich, die meisten von uns eher so als harmlose Spinner bezeichnen würden, nicht jeder von denen ist ja gleich ein Reichsbürger oder in irgendeiner anderen Art und Weise rechtsradikal. Werden da teilweise auch Leute angelockt mit falschen Versprechungen?
Hüllen: Ich glaube, die Verbindungen sind zum Teil fließend. Also wir müssen uns einfach vergegenwärtigen, wer tatsächlich zu dem Milieu, auch der Reichsbürger, gehört. Dort haben wir natürlich Gruppen, die sich organisiert haben, die auch hohe Mitgliederzahlen haben, wie wir in den letzten Monaten rausgefunden haben, aber wir haben natürlich auch viele Einzelpersonen vor Ort. Also in Brandenburg macht die Menge der Reichsbürger, machen sicherlich die Einzelpersonen vor Ort aus kleineren Milieus auch, die sich dann durch nachbarschaftliche Kennverhältnisse kennen, und oftmals eint die tatsächlich auch bestimmte Fragen an die Welt.

Innere Zerrissenheit, große Verunsicherung

Es gibt so eine innere Zerrissenheit, eine große Verunsicherung, vielleicht ob der sozialen Situation, vielleicht auch, wenn man auf das eigene Leben zurückblickt. Sie müssen sich vorstellen, in Brandenburg haben wir viele Menschen, die auch Wendebiografien haben, die auch sehr viel miterlebt haben, sehr viel ausgehalten haben, und da kann natürlich auch der Weg dann über die Esoterik kommen, und wenn Sie sich dann im Internet umtun und beispielsweise eine Gruppe finden, die vielleicht in Brandenburg Seminare anbietet, wie zum Beispiel das Freigeistforum Tübingen, die Lichtkern Stiftung, dann haben Sie dort esoterische Inhalte, die dort auf einem Seminar angeboten werden.
Aber Sie haben auch solche konkreten Angebote wie "Deutschland zurück zur Souveränität" oder "Gemeinschaft, Geschichte, Politik", "warum vieles anders ist als uns offiziell erklärt wird", und dann haben Sie natürlich diese, ich sage mal: unheilvolle Vermischung zwischen Esoterik und den Theorien aus dem Reichsbürgermilieu, eventuell auch sogar Rechtsextremismus, und die Wissenschaft geht mittlerweile davon aus, dass wir so etwas haben wie eine Verschwörungsesoterik. Das heißt, es mischen sich tatsächlich auch Verschwörungstheorien mit diesen esoterischen Inhalten und mit den Inhalten auch, die bei Reichsbürgern eine Rolle spielen.
Kassel: Aber das macht doch sicherlich Ihre Präventionsarbeit auch deutlich schwieriger. Ich meine, wie sieht die dann aus? Also wollen Sie nur warnen vor diesem, wie Sie ja schon beschrieben haben, sehr, sehr seichten Übergang zwischen harmloser Esoterik und so etwas wie der Reichsbürgerbewegung oder wollen Sie eigentlich die Menschen grundsätzlich vor der Esoterik dann warnen?

Wissenschaftler sprechen von Verschwörungsesoterik

Hüllen: Also wir müssen tatsächlich immer beides machen. Also in Brandenburg gibt es tatsächlich einige Gruppen oder auch Einzelpersonen. Ich denke da an eine Person aus Beeskow, die hat sich dem Galaxiengesundheitsrat angeschlossen. Das ist auch eine esoterische Bewegung, die wiederum steht auch der Anastasia-Bewegung nahe. Das ist eine sektiererische Bewegung aus dem russischen Raum, die hat Ansätze aus der Theosophie, Parapsychologie, Ufologie spielt da eine Rolle, Neuheidentum, Spiritismus, aber die sind auch ganz schnell dann beim Antisemitismus.
Das kann man sehr gut immer darstellen, weil das natürlich auch im Internet dann entsprechend kundgetan wird, und wir sehen auch in den Briefen derjenigen, die sich als Reichsbürger fühlen oder als Reichsbürger agieren an die Verwaltung beispielsweise, dass dieser Antisemitismus, der sich dann in dieser Verschwörungsesoterik entwickelt, tatsächlich auch aufgenommen wird, und das müssen wir dann natürlich in unseren Vorträgen und Diskussionen anbringen. Wir legen sozusagen den gesamten Hintergrund, ob er nun esoterisch ist oder tatsächlich politisch, der Reichsbürgerszene … decken wir auf.
Kassel: Michael Hüllen, stellvertretender Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit und Verfassungsschutz durch Aufklärung beim brandenburgischen Innenministerium über die Verstrickungen zwischen den so genannten Reichsbürgern und zumindest großen Teilen der Esoterikszene. Herr Hüllen, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Hüllen: Vielen Dank, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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