Reichsbürger in Brandenburg

Strategische Landnahme

09:34 Minuten
Das Ortseingangsschild des Lychener Ortsteiles Rutenberg: Zu sehen ist eine Landstraße, hinten einige Häuser.
In Rutenberg, einem Ortsteil von Lychen, siedeln sich gezielt Anhänger der Reichsbürger an. Der Zuzug spaltet die kleine Gemeinde. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Christoph Richter · 30.01.2023
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Im lauschigen Lychen in der Uckermark ist man in großer Sorge: Reichsbürger versuchen, sich dort anzusiedeln. Die Pläne sind sehr konkret. Zwar ist der Verfassungsschutz informiert, doch den Behörden sind derzeit dier Hände gebunden.
Es sollte ein idyllischer Platz zum Abschalten werden für Diane und Flo. Vor vier Jahren kauften die beiden Berliner mit Freunden das Grundstück in der Uckermark – im Dörfchen Rutenberg, ein Ortsteil von Lychen. Sanfte Hügel, Seen, Moore, kaum Menschen.
Und dann kam eine Genossenschaft von rechten Ökos, wie Diane sagt: „Neben uns ist die Fläche der Genossenschaft, wo sie eigentlich nur Container haben dürfen, wo sie ihre Arbeitsgeräte unterstellen. Aber die sind da den ganzen Sommer und übernachten da und hängen die ganze Zeit ab." Das seien Anhänger der sogenannten „Anastasia“-Sekte, meint Diane.

Die Polizei kam

Die Bewegung kommt aus Russland und verbindet ökologische Ansätze, sozialutopische Lebensgemeinschaftsformen, antidemokratische Strömungen und Formen der Verschwörungsesoterik. Keine Nachbarn, die sich Diane und Flo wünschen. Dann habe es zunächst Gespräche gegeben: "Da hat sich aber sehr schnell gezeigt, dass die Gespräche eben nicht zielführend sind und dass die Ideologien vertreten, mit denen wir nichts zu tun haben wollen. Dann haben wir uns eigentlich auch relativ schnell von denen distanziert."
Geduldet hätten sie sich dann: "Blieb uns ja auch nichts Anderes übrig. Dann aber ist es ab einem bestimmten Punkt ein bisschen eskaliert." Die Polizei wurde gerufen. "Weil wir angeblich zu laut waren, wenn wir mit unseren Kindern oder mit unseren Eltern hier waren."

Ein Milieu versucht sich anzusiedeln

Auf die Aktivitäten im Dorf Rutenberg ist auch das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz aufmerksam geworden. Man habe Erkenntnisse, dass sich hier das Reichsbürger-Milieu um Peter Fitzek anzusiedeln versuche, erklärt Michael Hüllen.

Peter Fitzek und seine Organisation haben sogenannte Strohmänner. Wir kennen diese Taktik auch aus anderen Bundesländern. So hat der Grund und Boden und Anwesen gekauft in Sachsen, zwei an der Zahl.

Michael Hüllen, Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz

"Und so versucht er es auch hier - über Strohmänner sozusagen -, sich viele Hektar Land anzueignen. Und er versucht das, indem er die Strukturen hier vor Ort, die genossenschaftlichen Strukturen, versucht zu beeinflussen.“

Parallelstrukturen im "Königreich Deutschland"

2012 hat Peter Fitzek – der Verfassungsschutz nennt ihn einen "führenden Aktivisten der Reichsbürger-Bewegung" – den Fantasiestaat "Königreich Deutschland" am Stadtrand von Wittenberg gegründet. Keine Spinner, keine spaßige Angelegenheit, sondern eine demokratiefeindliche Idee, mit der Parallelstrukturen geschaffen werden sollten – von Kindergarten, Schule, Uni bis zu einer Bank.
Derzeit beobachte man die Gründung sogenannter "Gemeinwohldörfer". In denen sollen sich 200 bis 300 Menschen ansiedeln, um autark zu leben als Selbstversorger - weniger aus ökologischen Gründen, sondern um nichts mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu tun zu haben, so Michael Hüllen vom Brandenburgischen Verfassungsschutz: "Das heißt, die Menschen, die hier arbeiten, arbeiten de facto nur für das 'Engel-Geld', das heißt, sie können es nicht zurücktauschen."
Und Hüllen ergänzt: "Sie bekommen dafür vielleicht Naturalien, aber mehr auch tatsächlich nicht. Das ist nichts Anderes als Vasallentum, was Peter Fitzek hier tatsächlich durchführen will." Die Reichsbürger um Peter Fitzek suchen explizit verlassene Ländereien, leerstehende Gehöfte in abgelegenen Regionen. Mehr als 20 Gemeinden in Brandenburg hätten sie kontaktiert – darunter auch Rutenberg. Es gehe hier um 44 Hektar Land.

Die "Tochter der Taiga" in Brandenburg

"WaldGartenBau" nennt sich das Projekt. Im Internet firmiert es als "Staatsbetrieb im KRD". KRD steht hier für "Königreich Deutschland". "Wir sehen, dass er tatsächlich weitere Bestrebungen hat, hier entsprechende Gebäude aufzukaufen. Also die Bestrebungen sind bekannt. Und wenn sie diese Gebäude, die mehr oder weniger zusammenliegen, dann zusammenschließen, haben sie natürlich schon ein großes Grundstück mit entsprechenden Räumlichkeiten beziehungsweise Häusern drauf. Wo man dann die Ziele, die er hat, tatsächlich verwirklichen kann."
Laut dem Brandenburger Verfassungsschutz gibt es zudem enge Verbindungen zwischen der Reichsbürger-Szene und den völkischen Siedlern. Die hätten inzwischen im Bundesland vier Siedlungen aufgebaut.

Antisemitismus im Gewand von Öko-Siedlern

Was oft naturnah und ökologisch klingt, verbirgt dahinter antisemitische Ideen, erläutert Historikerin Laura Schenderlein. Autorin einer Broschüre zur "Anastasia"-Bewegung. Beauftragt und herausgegeben vom Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam.

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Ideologische Grundlage sei eine zehnbändige Roman-Reihe "Anastasia – Tochter der Taiga". Sie stammt aus der Feder des russischen Autors und Unternehmers Wladimir Nikolaevich Megre. „Der Kern der Idee ist die älteste Verschwörungstheorie: die Übermacht der Juden, die da im Hintergrund steht. Das ist etwas, das an verschiedenen Stellen der Bücher zum Tragen kommt.“

Demokratie ist für sie "Dämon Kratie"

Der Erfinder der "Anastasia"-Romanreihe bezeichnet die Demokratie als "Dämon Kratie", eine nur zum Schein freie Gesellschaft. "Es wird die Geschichte erzählt, dass wir alle manipuliert sind und in einer Art Schlaf befinden, aus dem wir erweckt werden müssen. Um eben zur Glückseligkeit zurückzukommen. Und die Demokratie ist die Manipulationstechnik, der wir unterworfen sind. Wo halt die Politiker:innen die Marionetten darstellen, die uns nach ihren Vorstellungen tanzen lassen. Und im Hintergrund steht eben eine Elite, die quasi die Fäden in der Hand hält.“
Was die Reichsbürger im brandenburgischen Rutenberg vorhaben, ist in einem dem Deutschlandradio vorliegenden Video zu sehen. Im November 2022 stand es auf einer Webseite der Reichsbürger, wurde dann wieder offline gestellt.

"Hallo, liebe Freunde des Königreichs Deutschland und des Gemeinwohls. Jetzt die heutige Zeit können wir alle sehen. Es ist angebracht, sich Fans in der eigenen Scholle hinwegzubewegen und starke Gemeinschaften zu bilden. Und jetzt gibt es eine Premiere. Es gibt eine Gemeinschaft, die schon einige Zeit besteht, jetzt in unserem Rechte-Kreis wechselt mit ihren Gütern mit ihrem Land, und sie sind schon in dem Bereich Landwirtschaft tätig. Und sie werden dann Stück für Stück das noch weiter ausbauen, um auch die Lebensmittel-Eigenversorgung des Königreichs Deutschland immer weiter zu steigern (und ein Beispiel zu geben, wie bestehende Gemeinschaften, die den Wunsch haben, nach mehr Autarkie den Wunsch haben, neue Wege zu gehen, unabhängig vom alten System, wie diese sich lösen können und wie sie im Rechte-Rahmen des Königreichs Deutschland einen neuen Rahmen finden können, um endlich diese Dinge zu tun, die sie möglich machen wollen und nicht abhängig zu sein vom alten System)…"

Auszug aus einem mittlerweile depublizierten Video der Reichsbürger

Nachfragen zu den Expansionsplänen, sowohl bei der Rutenberger Genossenschaft als auch beim "Königreich Deutschland", blieben bislang unbeantwortet.

Sensationstouristen suchen Reichsbürger

"Ich bin immer wieder überwältigt, wie viele Leute wieder zu diesem Thema hier zusammenkommen. Es freut mich wahnsinnig. Man sieht aber auch, wieviel Bewegung dieses Thema gerade hier in Rutenberg auslöst." Die Anwohnerinnen und Anwohner des 180 Einwohner großen Rutenberg sind besorgt. Zu einer Informationsveranstaltung ist fast das gesamte Dorf gekommen.
Wenn Rutenberg zu einem bundesweit bekannten Standort der Reichsbürgerszene werden würde, dann bestehe die Gefahr, dass das friedliche Miteinander im Dorf Schaden nähme, sagt Rosemarie Langlott. Sie wohnt ihr ganzes Leben schon im Ort, ist Kunsthandwerkerin und hat eine Keramikwerkstatt in Rutenberg: "Die ersten Sensationstouristen sind schon gekommen und fragen, wo ist denn jetzt der Königssitz in Rutenberg. Solche Sachen passieren. Das ist nicht gut."
Doch – das muss auch gesagt werden – es gibt im Dorf Stimmen, die sagen: Toll, dass Menschen kommen, die sich ansiedeln, das Dorf wiederbeleben.

Normale Nachbarn von gegenüber

"Es ist eine Aufhetze für normale Bürger, die eine andere Lebensform haben. So sehe ich das. Und wir leben ja in einer Demokratie. Da kann ja jeder so leben, wie er möchte." Ihren Namen möchte die frühere Krankenschwester nicht nennen. Sie sagt, sie sei nach dem Mauerfall aus Westberlin nach Rutenberg in die Uckermark gekommen und kenne die neuen Rutenberger, die sich ihrem Grundstück gegenüber angesiedelt haben. Sie sehe da "auch keine extremistischen Tendenzen".
Rosemarie Langlott aber schüttelt energisch den Kopf: Die neuen Siedler brächten ihre Kinder mit, aber: "Man sieht, dass die Kinder nicht zur Schule gehen." Und das sei seit 2018 schon so. Demnächst gründen sie vielleicht noch ihre eigene Schule, spekuliert die Anfang 60-Jährige.

Die Kommune kann nicht viel tun

Da müssen die Behörden besser hinschauen, fordert Rosemarie Langlott. Auf Nachfrage im Brandenburger Bildungsministerium heißt es, man habe die Aktivitäten im Blick, könne aber keine Details nennen.
Auf der Informationsveranstaltung in Rutenberg ist auch die Lychener Bürgermeisterin Carola Gundlach, parteilos. Ihr seien die Hände gebunden, sie könne wenig tun, sagt sie: "Als Kommune selber kannst du nur gucken in den Bereichen, wo man zuständig ist, dass die Gesetze eingehalten werden. Ich sage mal: Melderecht, wo man kann. Das heißt für mich: Man muss schon aufpassen, wie es hier weitergeht."
Im Februar wollen Landesbehörden, Verfassungsschutz und Landkreis zusammenkommen, um sich, wie es heißt, über das weitere Vorgehen zu besprechen.
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