Reichs-Panoptikum über die Jahrtausende

13.12.2012
Was können wir aus der Geschichte der Imperien für die Gegenwart lernen? Jane Burbank und Frederick Cooper schildern in ihrer Reise durch 2000 Jahre Historie den imperialen Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit.
193 Staaten plus Vatikanstaat: Das ist laut UN der Status quo der Weltgeschichte. Der mehr oder weniger homogene Nationalstaat wurde längst zum populärsten Herrschaftsgebilde. Bis in die Gegenwart zahlen Bevölkerungsgruppen mit starkem Zusammengehörigkeitsgefühl hohe Blutzölle, um Nationalstaaten zu werden - siehe Ex-Jugoslawien. Doch über Jahrtausende lebten die meisten Menschen in politischen Gebilden, die mehr als nur ein "Volk" repräsentierten. Jane Burbank und Frederick Cooper stellen sich in "Imperien der Weltgeschichte" die kühne Aufgabe, die Organisation solcher Großeinheiten, ihre Strategien zur Machtsicherung und vor allem ihren Umgang mit der Vielfalt und Differenz innerhalb der gigantischen Territorien zu untersuchen. Die Autoren konzentrieren sich auf Eurasien und beginnen mit Rom und China, nicht zuletzt, weil beide Imperien späteren Reichen als Bezugspunkte dienten, etwa dem Karolingerreich; China ist sich als Imperium bis heute selbst der zentrale Bezugspunkt.

Burbank und Cooper fokussieren die Eigenheiten im jeweiligen "Repertoire der Macht". Die chinesischen Kaiser regierten vor der Zeitenwende mittels starker Beamter und hielten den Einfluss der Feudalherren klein. Rom hingegen lockte mit politischer Teilhabe. Menschen im ganzen Reich konnten das Bürgerrecht erwerben, wenn sie nicht Frauen oder Sklaven waren oder zu den sogenannten Barbaren gezählt wurden. Die Zivilisation, die sich überlegen dünkte, stand im Prinzip allen (Besiegten) offen. Und sie verehrte viele Götter - bis das Christentum unter starken Verwerfungen Staatsreligion wurde.

Das Osmanische Reich wiederum, über das die Autoren auffallend oft Gutes sagen, moderierte die Religionsvielfalt erfolgreich, in dem es die diversen religiösen Eliten unter seiner Herrschaft stärkte. Spanien hingegen christianisierte seine Kolonien brutal - anders England. Und Russland hatte noch im 19. Jahrhundert Kreuzzugsgelüste, die im Krimkrieg mündeten. So lernt man mit Burbank und Cooper, wo sich Imperien bewusst oder unbewusst ähnlicher Mittel bedienten und wo ganz anderer Mittel. Knackige Imperiumsdefinitionen springen dabei nicht heraus. Das Buch ist kein analytisches Begriffs-Kunstwerk, sondern ein Reichs-Panoptikum über die Jahrtausende.

Und es ist eine Provokation. Burbank und Cooper wissen natürlich, dass "Imperien kein spontanes Bekenntnis zur Vielfalt" waren, sondern diese irgendwie managen mussten. Doch sie bezweifeln angesichts der Haltbarkeit vieler Riesenreiche, "dass der Nationalstaat natürlich, notwendig und zwangsläufig" ist. Sie geben zu bedenken, dass die Welt "noch immer unter den Folgen der stümperhaften Demontage des Osmanischen Reiches" leidet. Was umgekehrt heißt: Wenn es um die akuten "Wünsche nach politischer Zugehörigkeit, Chancengleichheit und gegenseitiger Achtung" geht, birgt die Geschichte der Imperien erhellendes Anschauungsmaterial. Von der Krise geplagte Europäer mag es trösten, dass laut Burbank und Cooper die EU die "innovativste der Großmächte von heute " ist.

Ist die EU auch ein Imperium? Das bleibt offen. Mag sein, dass es für ein Urteil zu früh ist. Da die Probleme aber gewiss imperiale Größe haben, wünscht man den "Imperien der Weltgeschichte" gerade in Brüssel viele Leser.

Besprochen von Arno Orzessek

Jane Burbank und Frederick Cooper: Imperien der Weltgeschichte. Das Repertoire der Macht vom alten Rom und China bis heute
Aus dem Englischen von Thomas Bertram
Campus Verlag, Frankurt am Main und New York 2012
612 Seiten, 39,90 Euro

Links im dradio.de:

Die Wahrheit würde keiner glauben - Jens Mühling: "Mein russisches Abenteuer"
Eine Langzeitgeschichte des Denkens - Silvio Vietta: "Rationalität"
Mehr zum Thema