Reichhaltiges Kuriositätenkabinett

05.07.2013
Jean Paul war ein Zeitgenosse von Goethe und Schiller, er bevorzugte selbst aber eher unklassische Schreibweisen, wie etwa die Gelehrtensatire. Seine vielleicht berühmteste, "Dr. Katzenbergers Badereise", ist nun zum Jubiläum als ungekürztes Hörbuch erschienen.
"Dr. Katzenbergers Badereise" ist der geschlossenste, unterhaltsamste und deshalb hörbuchtauglichste Roman von Jean Paul. Der aber auch lebt von den kleinen Abschweifungen, Vorfällen und Wunderlichkeiten zwischendrin. Unterwegs sein ist alles bei der Jean-Paul-Lektüre. Auch Doktor Katzenberger ist unterwegs.

Der Professor der Anatomie macht sich mit seiner Tochter Theoda auf nach Bad Maulbronn, allerdings nicht, um dort zu kuren, sondern um den Brunnenarzt Strykius gründlich zu therapieren. Der hat es nämlich gewagt, Katzenbergers medizinische Abhandlung "Über Missgeburten" zu verreißen.

"Und er reise ja überhaupt nur nach dem Bad-Neste, um da einen unreifen Rezensenten ( ... ) auf jene Weise zu versüßen, wie man nach Doktor Darwin unreife Äpfel süß mache, nämlich durch Zerstampfen."

Katzenberger ist geizig. Um Reisekosten zu sparen, bietet er eine Mitfahrgelegenheit an, worauf sich ein gewisser Herr Nieß meldet. Bei dem handelt sich um den inkognito reisenden, aber sehr berühmten Theaterdichter Theudobach, der in Bad Maulbronn einen spektakulären Auftritt plant. In der Maske des Nieß genießt er Theodas Verehrung. Jean Paul liefert die Dekonstruktion eines ungeheuer narzisstischen Literaten:

"Er konnte sein Haar nicht auskämmen, ohne daran zu denken, welch feurigen Kopf der Kamm regle, lichte, egge und beherrsche. ( ... ) Ja, er konnte zuletzt in Hotels voll Gäste schwer auf einem gewissen einsitzigen Orte sitzen, ohne zu bedenken, welches Eden vielleicht mancher mit ihm zugleich im Gasthof übernachtenden Jünglingsseele, die noch jugendlich die Autor-Achtung übertreibt, zuzuwenden wäre, wenn sie sich darauf setzte und erführe, wer früher da gewesen."

Wie eine komödiantische Antithese sitzen sich in der unterwegs schon mal umkippenden Kutsche der schwärmerische Poet und der prosaische Naturwissenschaftler gegenüber. In Maulbronn läuft es dann auf eine Verwechslungskomödie hinaus. Der Dichter bekommt unerwartet Konkurrenz in Gestalt eines stämmigen preußischen Hauptmanns, eines echten Kriegers, der dummerweise ebenfalls Theudobach heißt und Theodas Brauseherz höher schlagen lässt. Auch Katzenberger kommt nicht auf seine Kosten; der Verriss-Verfasser Strykius ist eine Enttäuschung.

"Einen rauhen, widerhaarigen, stämmigen Mann hatte er zu finden gehofft, dem der Kopf kaum anders zu waschen ist als durch Abreißen oder Abhaaren desselben, wenigstens einen Mann, der wie ein Teich unter seinen Wasser-Blüten scharfgezähnte Hechte verberge - aber er, so ein gebogenes, wangenfettes, gehorsamstes, untertänigstes Zier-Männchen, das noch niemand ein hartes Wort gesagt als etwa Frau und Kindern ... Nichts erbittert mehr als anonyme Grobheit eines abgesüßten Schwächlings."

Im Gegensatz zum Höhenflug des Schwärmers pflegt Katzenberger die "Vogelperspektive von unten" (später hat man das Nihilismus genannt). Dennoch ist auch er ein Visionär, ein Phantast des Abnormen und Ekligen. Er sammelt Missgeburten und Monstrositäten, hält Vorträge über die Natur des Widernatürlichen und liebt es, Menschen vor den Kopf zu stoßen.

"Er hatte nämlich zufolge allgemein bestätigter Erfahrungen und Beispiele ( ... ) im ganzen Wirtshause (dem Kellner schlich er deshalb in den Keller nach) umher gestöbert und gewittert, um fette, runde Spinnen zu erjagen, die für ihn Landaustern und lebendige Bouillon-Kugeln waren, die er frisch aß."

All diese saftigen Formulierungen lassen sich gut hören. Christian Brückner ist als Vorleser nicht auf amerikanische Lakoniker beschränkt, er liebt ebenso die große sprachliche Gebärde und das Skurrile. Jean Pauls bildkräftiges Starkdeutsch fügt seiner Palette neue Töne hinzu.

Thomas Mann-Leser dürften sich bei Katzenberger an den herb-herzlichen Medi-Zyniker Hofrat Behrens erinnert fühlen, wie überhaupt manche medizinische Pointe des "Zauberbergs" bei Jean Paul angelegt ist, wenn etwa Katzenberger die Redewendung vom schweren Herzen wörtlich nimmt.

"'Bei der Trennung von Ihrer Geliebten mag Ihnen doch im Mondscheine das Herz schwer geworden sein?' sagte der Edelmann. 'Zwei Pfund - also halb so schwer als meine Haut - ist meines wie Ihres bei Mond- und Sonnenlicht schwer', versetzte der Doktor'."

Christian Brückner bringt eine verspielt-umständliche Humoristik zum Klingen, er liest sich mit Emphase durch Sätze, die mit ihren Assoziationswildnissen, ihrer barocken Fülle von Anspielungen und Metaphern das Gegenteil der heutigen Stil-Ideale der Knappheit und Verständlichkeit sind. Dieses Hörbuch ist die Einladung in eines der reichhaltigsten Kuriositätenkabinette der deutschen Literatur.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Jean Paul: "Dr. Katzenbergers Badereise"
Ungekürzte Lesung von Christian Brückner
Parlando Verlag, Berlin 2013, 5 CDs
390 Min, 19,99 Euro
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