Rehasport und Corona

Ausnahme mit gefährlichen Folgen

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Rückenansicht einer älteren Dame, die von einer Trainerin angeleitet wird. Der Sport findet wegen der Coronakrise und der Ansteckungsgefahr im Freien statt.
Trainerin leitet eine Sportgruppe älterer Damen an. © imago images / photothek / Ute Grabowsky
Von Peter Kolakowski · 22.11.2020
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Viele Sportangebote sind derzeit ausgesetzt, mit einer Ausnahme: Rehasport. Doch hier könnten Risikogruppen infiziert werden, warnen Fachleute. Was ist besser: Inaktivität als Schutz vor Corona – oder Bewegung im Genesungsprozess?
Während alle anderen Sportangebote in Gruppen derzeit einem Total-Lockdown unterliegen haben einige Bundesländer Rehasport-Angebote ausdrücklich erlaubt.
Eine Entscheidung, die bei Sportverbänden wie dem nordrhein-westfälischen Landesportbund auf Unverständnis stößt, wie Pressesprecher Frank-Michael Rall erläutert:
"Es geht bei dem Lockdown light darum, die Kontakte niedrig zu halten und zu beschränken. Da passt es nicht ganz ins Bild, dass jetzt Rehasportgruppen sich treffen sollen dürfen."

Ausweichen in größere Räume

Dabei hatten die Sportvereine und -verbände nach dem ersten Lockdown zwischen März und Mitte Mai intensiv an Hygienekonzepten gearbeitet, um Ansteckungen gerade von Rehasport-Patienten zu verhindern. So auch beim Bergisch-Gladbacher Sportverein TV Refrath, wie Sportdirektor Jakob Eberhardt berichtet:
"Wir sind nicht nur in Sporträume ausgewichen, sondern in Veranstaltungssäle, die dann wirklich groß sind. Man hat genug Platz, was mit Abstand zu machen."
Auch Präventions- und Reha-Mediziner wie Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule in Köln wiesen darauf hin, gerade solche Gruppenangebote am "Laufen zu halten", um den Genesungsprozess bei Menschen mit Lungen-, Herz-, Gefäß- oder orthopädischen Erkrankungen nicht zu unterbrechen.
Die Lockdown-Maßnahmen angesichts von Covid-19 hätten erheblichen psychosozialen Stress ausgelöst. "Das fängt an mit Vereinsamung, Isolation …"
Doch das Virus erweist sich als hochaggressiv, die Ansteckungsrate schnellt nach oben. Bereits beim ersten Lockdown hatte der Deutsche Behindertensportverband DBS, der die Angebote zertifiziert und deren Durchführung kontrolliert, vor dem immensen Risiko gewarnt, dem Patienten mit Vorerkrankungen gerade im Rehasport ausgesetzt seien. Reinhard Schneider vom DBS und zuständig für den Landesverband NRW.
"Wenn Sie an besondere Zielgruppen denken, Menschen mit geistiger Behinderung, wenn Sie an Menschen denken, die an chronischen Erkrankungen wie der Atemwege leiden, dann sind die teilweise, und das muss man so sagen, noch von der aktiven Teilnahme ausgeschlossen."

Unwissenheit über Rehasport

Gleichwohl hatte das nordrhein-westfälische Kabinett Rehasportangebote Anfang November vom Lockdown ausgenommen. Im Einzelfall könne der gesundheitliche Nachteil durch das Aussetzen eines Kurses größer sein als das infektiologische Risiko. Dies gelte es jeweils individuell abzuwägen, heißt es auf Nachfrage. Genauso sehen das offenbar auch die Landesregierungen unter anderem in Berlin, Sachsen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hamburg.
Olaf Röttig vom Behindertensportverband Rheinland-Pfalz berichtet, "dass vielen Entscheidungsträgern nicht bekannt ist, was Rehasport genau ist. Deshalb wurde gesagt: Rehasport ist ärztlich verordnet, es ist zulässig, aber es war nicht bekannt, dass Rehasport in der Gruppe stattfindet."
Auch die Geschäftsführerin Sabrina Bittkau von Herz InForm, der Hamburger Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ist empört. Die Übungsleiterin organisiert und trainiert Herzsportgruppen. Nicht auszudenken, wenn eine Trainerin oder ein Trainer sich, ohne es zu wissen, zum Superspreader entwickelt und das Virus an Lungen- oder herzkranke Menschen weitergibt.
"Weil viele dieser Personen natürlich mehrere Gruppen und mehrere Risikogruppen betreuen", erläutert Bittkau. "Da kam die begründete Befürchtung der Übungsleiter auf, dass sie sich gerne zurückhalten würden, weil sie eben zu viele Kontakte haben."
Fachärzte und Rehatrainer sprechen mittlerweile von einem gesundheitspolitischen Skandal. Die Entscheidung der betreffenden Länderministerien sei nicht nur kurzsichtig und bar jeder Sachkenntnis, sondern höchst fahrlässig und im schlimmsten Falle sogar tödlich. Keines der angefragten Ministerien war zu einer Stellungnahme vor dem Mikrofon bereit. Einige haben diesbezügliche Anfragen einfach ignoriert.
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