Fünf Jahre Rehabilitierungsgesetz

Nur wenige Homosexuelle sind entschädigt worden

06:58 Minuten
Zwei ältere Männer stehen umarmt an einem Fluss und schauen aufs Wasser.
Können 3000 Euro für eine Verurteilung nach dem erst 1994 in der Bundesrepublik abgeschafften Paragrafen 175 für ein fast Lebenslanges Unrecht entschädigen? © imago/Westend61
Von Eva Gutensohn · 12.07.2022
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Vor fünf Jahren verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, nach dem schwule Männer eine Entschädigung beantragen konnten, die nach Paragraf 175 verurteilt wurden. Von mehreren Tausend Berechtigten haben nur 249 eine Entschädigung erhalten. Warum so wenige?
Der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas fand deutliche Worte. “Die Kriminalisierung von Homosexualität war aus heutiger Sicht ein Frontalangriff auf die Persönlichkeit der betroffenen Männer, ihre sexuelle Identität und auch ihre Menschenwürde”, sagte der Sozialdemokrat im Sommer 2017 im Deutschen Bundestag bei einem Festakt anlässlich der Rehabilitierung homosexueller Männer. “Ich freue mich, dass heute Betroffene, also Verurteilte, auf der Ehrentribüne dieses Plenarsaals sitzen und der Debatte folgen. Herzlich willkommen, das ist ihr Tag heute.”
Nach der überfälligen Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 mussten verurteilte Homosexuelle ganze 23 Jahre warten, bis ihnen Gerechtigkeit widerfuhr und der Makel ihrer Vorbestrafung aufgehoben wurde.
Ein erster Antrag auf Rehabilitierung, damals von der PDS eingebracht, wurde im Jahr 2000 abgelehnt, ebenso scheiterten diverse Versuche der LINKEN und von Bündnis 90/Die Grünen zwischen 2009 und 2013.

Das waren die Referenten im Justizministerium, die gesagt haben: ’Das, was ihr fordert, das geht gar nicht, auch aus juristischen Gründen.`

Georg Härpfer

Er war lange Jahre im Vorstand von BISS, der Bundesinteressenvertretung Schwuler Senioren, die sich 2015 gründete und die Rehabilitierung als eines ihrer Hauptanliegen definierte. Für dieses Anliegen hatten zu diesem Zeitpunkt immer mehr Politiker*innen ein offeneres Ohr. Die Zeit schien reif, trotz einiger juristischer Vorbehalte.
“Ich werde nie vergessen, als ich einmal bei Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer Sprecher der SPD, war und das ausgelotet habe, wie wir das Gesetz vielleicht auch noch verbessern können. Da ist Thomas Oppermann gekommen und er war ja damals der Fraktionssprecher der SPD und dann hat er sich vor mich aufgetan und gesagt, ob ich denn die Gewaltenteilung kenne.”

Auswirkungen einer Entscheidung von 1957

Das Argument der Gewaltenteilung brachten die Kritiker*innen am häufigsten vor: Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen darf nicht angetastet werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1957 entschieden, der Paragraf 175 sei mit der Verfassung vereinbar. Diese juristischen Bedenken aus dem Weg räumen sollte erst ein Gutachten des Juristen Professor Martin Burgi im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
“Die Idee war, das Grundgesetz als Rückenwind zu nutzen, dieser Rückenwind folgt daraus, dass der Staat eine Verantwortung trägt für die aus heutiger Sicht rechtswidrigen Verurteilungen aus der damaligen Zeit. Also unvereinbar mit dem höherrangigen Recht, dass die Menschen nach wie vor leben mussten mit einem – wir haben das Strafmakel genannt. Daraus folgt eine Schutzpflicht des Staates, diesen Menschen gegenüber, diesen Strafmakel zu beseitigen. Das führt wiederum dazu, dass die Urteile aufgehoben werden müssen und das legitimiert die Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes.”

3000 Euro Entschädigung für jede Verurteilung

Es folgte der Auftrag an Justizminister Heiko Maas, einen Gesetzesentwurf zur Rehabilitierung und Entschädigung bis Sommer 2016 vorzulegen. Am 22. Juli 2017 trat das Gesetz schließlich in Kraft und der Bund stellte 30 Millionen Euro zur Verfügung: 3000 Euro für jede Verurteilung und weitere 1500 Euro für jedes angefangene Gefängnisjahr mit einer ursprünglich geplanten Antragsfrist von fünf Jahren, also bis Juli 2022. Da nicht mehr alle Betroffenen ihr Urteil vorliegen hatten, sollte eine eidesstattliche Versicherung zur Antragstellung ausreichen. Georg Härpfer:
“Da waren die ersten Anwälte schon da, die gesagt haben, das machen wir für euch. Einer kam dann an: `Ich krieg da jetzt vielleicht 3000 Euro und was zahle ich dann meinem Anwalt?` Dann haben wir gesagt: Wir versuchen, eine Geschäftsstelle dafür einzurichten, haben dann auch die Möglichkeit gehabt, eine halbe Stelle zu initiieren, die das dann gemacht hat. Dann haben wir 0800-175-2017, also eine kostenlose Nummer eingerichtet, die haben wir dann in einem großen Empfang vom Familienministerium ganz groß rausgehangen und haben für diese 0800er Nummer sehr viel Reklame gemacht.”

Warum wurden nur wenige entschädigt?

Die ernüchternde Bilanz: Von den geschätzt damals noch lebenden 5000 Opfern haben gerade mal 249 Männer eine Entschädigung erhalten. Von den bereitgehaltenen 30 Millionen wurden insgesamt nur 860.000 Euro abgerufen. Warum so wenig?
“Bei Gesprächen, die wir hatten, ist einer aufgestanden und hat gesagt: ´Ich war betroffen, ich hatte eine Anklage, ich war sogar zwei Jahre im Gefängnis, aber ich habe keine Lust mehr, das Ganze auf mich zu nehmen. Das würde bei mir wieder so viel aufwühlen, ich bin jetzt 85 Jahre alt, ich habe meinen Frieden geschlossen.` Ich kann mich an zwei Personen erinnern, die gesagt haben: ´Die Entschädigungsleistungen, die sind mir einfach viel zu gering. Rehabilitiert – das ist mir viel wichtiger, das bin ich ja sowieso.` Und wir haben bestimmt ein paar Hundert einfach nicht erreicht, die es nicht wussten.” 

Auch andere Gruppen sollten bedacht werden

Das Bundeskabinett hat am 8. Juni 2022 eine Verlängerung der Antragsfrist um fünf Jahre beschlossen. Die Wahrscheinlichkeit dürfte gering sein, dass noch wesentlich mehr Männer eine Entschädigung abrufen; das verbleibende Geld würde im Sommer 2027 in den Bundeshaushalt zurückfließen.
Von politischer Seite ist die Verlängerung der Frist aber zumindest eine mutmachende Geste in Richtung der homosexuellen Community. Und wenn es nach Georg Härpfer ginge, würden die nächsten fünf Jahre intensiv genutzt, um sich für eine kollektive Entschädigung stark zu machen, zum Beispiel in Form einer Opferrente oder zumindest für die Finanzierung queerer Initiativen.
"Der Topf ist noch da und wir hoffen, dass der zumindest für diesen Bereich dann da bleibt. Wir haben das immer gefordert, dass dieser Topf von 30 Millionen auch auf der Lesbenseite und auf der Trans*seite ankommt. Da muss was gemacht werden. Hoffnungsfroh, dass das so läuft, bin ich allerdings nicht.”

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