Regisseurin über ihr Filmdebüt "Jetzt.Nicht."

Das leere Leben nach der Kündigung

Der Schauspieler Godehard Giese als Walter in Julia Kellers Film "Jetzt.Nicht."
Der Schauspieler Godehard Giese als Walter in Julia Kellers Film "Jetzt.Nicht." © W-Film/Heimatfilm
Julia Keller im Gespräch mit Patrick Wellinski · 04.11.2017
Walter wird in eine Situation geworfen, von der nicht weiß, wie er sie bewältigen soll: Er ist 45 Jahre alt und verliert seinen Job im Marketing. Vor ihrem Film "Jetzt.Nicht." habe sie kaum erahnen können, wie hart es in manchen Branchen zugehe, sagt die Regisseurin Julia Keller.
Ein Filmauschnitt: "Du, du hast doch neulich mal gesagt, dass sich bei euch in nächster Zeit einiges verändert in der Firma. Und wenn sich da was auftut, dann würde ich mich freuen, wenn du da an mich denkst!"
Patrick Wellinski: Und so klingt es, wenn Walter, ein 45 Jahre alter Marketing-Angestellter, aus heiterem Himmel erfährt, dass er entlassen wird, und daraufhin händeringend probiert, wieder in einen neuen Job zu kommen. Denn die Arbeit, das war für Walter sein Ein und Alles. Walter fällt in eine existenzielle Krise, die ihn letztlich bis zum Identitätsdiebstahl führt.
Das ist im Kern die Geschichte des Spielfilmdebüts "Jetzt.Nicht." von Julia Keller, mit der ich vor der Sendung über ihr Projekt sprechen konnte. Frau Keller, was hat Sie denn eigentlich dazu inspiriert, in Ihrem Debüt von einem Mann zu erzählen, der in der Mitte seines Lebens plötzlich entlassen wird?
Julia Keller: Das Drehbuch habe ich zusammen mit Janis Mazuch geschrieben. Und wir arbeiten schon recht lange oder haben sehr lange an dem Drehbuch gearbeitet und eigentlich kam so die erste Idee auf, als 2007 mit der Finanzkrise einfach Arbeitslosigkeit nicht mehr ein Thema für die Arbeiterschicht war, sondern vor allem auch die Führungsposition davon betroffen war. Und wir haben angefangen, uns mit Menschen zu beschäftigen, deren Leben davor aus Arbeit bestand und wo durch die Kündigung sozusagen ihre Identität weggefallen ist, ihr Selbstwertgefühl. Das war so der Anfangspunkt, dass man sich mit Menschen beschäftigt, die davor sich über Arbeit definieren, und was passiert, wenn die Arbeit wegfällt.

Wellinski: Und das sieht man ja auch. Weil dieser Walter, das hat ja schon etwas Tragisches, wenn er da entlassen wird, merken wir so peu à peu oder eigentlich auch relativ schnell, dass er ein Mensch ist, der eigentlich auch nur diese Arbeit kennt. Haben Sie ihn auch so angelegt als eine Figur, die dann in dem Moment, wo sie das verliert, alles verliert, obwohl er verheiratet ist?
Keller: Ja, das war so ein bisschen die Idee, dass man sagt, man zeigt jemanden, der sich über Arbeit definiert. Und in dem Moment, wo man diese Arbeit wegnimmt, bleibt nicht mehr viel übrig. Oder das, was übrig bleibt, dafür braucht man erst mal Zeit, um das wiederzuentdecken. Entschuldigung, ich weiß jetzt nicht, ob ich die Frage gerade so gut verstanden habe.

"Was macht einen Menschen eigentlich aus, wenn nicht Arbeit?"

Wellinski: Doch, doch, das ging genau in die Richtung, eine Existenz, die vor allem auf einer Sache beruht, die dann ganz viel ausfüllt, aber vielleicht nicht nur acht Stunden am Tag.
Keller: Ja, genau. Ich glaube, dass heutzutage einfach die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem immer mehr verschmelzen. Man arbeitet zu Hause, man ist überall erreichbar, auch vielleicht die Beziehung sogar zu deinem Partner wird über Arbeit bestimmt. Und natürlich ist es dann umso härter, wenn das wegfällt, weil dadurch natürlich auch einfach das Selbstwertgefühl oder auch, was einen selber ausmacht, damit sofort wegfällt. Und was dann bleibt, ist so ein bisschen die Frage: Was macht einen Menschen eigentlich aus, wenn nicht Arbeit?
Die erfolgreiche Frau als Spiegel: Loretta Pflaum und Godehard Giese in Julia Kellers Film "Jetzt.Nicht."
Die erfolgreiche Frau als Spiegel: Loretta Pflaum und Godehard Giese in Julia Kellers Film "Jetzt.Nicht."© W-Film/Heimatfilm
Wellinski: Bei Walter ist es ja so, dass er noch eine sehr erfolgreiche Frau an seiner Seite hat, in dem Moment, wo er den Job verliert, fungiert sie auch so ein bisschen als Spiegel. Er sieht sie an und beneidet sie auch irgendwie so ein bisschen dafür, dass sie eben weiter ihren Job hat. Und sie sagt ihm einmal: Nutz doch mal die Entlassung als Chance. Und dann sehen wir in seinem Gesicht, dass er diesen Satz nicht so wirklich begreift. Was heißt das, als Chance? Also da ist ja wieder quasi das, was Sie gerade gesagt haben, da spiegelt sich doch noch mal, dass er eigentlich nichts … Er kann damit nichts anfangen, nicht zu arbeiten.
Keller: Ja, ich glaube auch, in dem Moment ist es natürlich von Nicola auch so ein bisschen eine Farce zu sagen, begreif es doch als Chance. Weil, natürlich kann man das so sehen, aber so sieht es glaube ich jemand, der gerade entlassen wurde, nicht, weil das natürlich erst mal ein wahnsinniger Einbruch in dem seinem Leben ist. Und ich glaube, es braucht auch einfach Zeit, dass man ein neues Ziel in seinem Leben schafft, also dass man das irgendwie begreift, dass Arbeit jetzt nicht alles ist, sondern was kann da überhaupt noch sein. Und da ist in dem Moment Walter noch gar nicht bereit dafür, das zu erkennen.
Wellinski: Wir folgen dieser Figur dann etwas weiter, wie er quasi durch seinen neuen Alltag stolpert. Er versucht, alte Kontakte wieder aufzugreifen, die ihm vielleicht noch einen Job vermitteln können, und dann passiert etwas sehr Interessantes, er bekommt nämlich eine Chance. Er begegnet einem Mann, der ihn im Auto mitnimmt, und dann passiert etwas, - jetzt will ich gar nicht verraten -, was genau, das Walter erlaubt, die Identität dieses Mannes anzunehmen. Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen, die ja sehr sympathisch auch an Patricia Highsmith zum Beispiel erinnert mit "Der talentierte Mr. Ripley", dass da jemand ist, der quasi Identitätsklau begeht?

"Die Person, in dessen Identität er schlüpft, ist ja eine Spiegelfigur"

Keller: Ich weiß gar nicht, wie wir darauf gekommen sind, aber es war so von Anfang an komischerweise, in jeder Fassung war das mit inbegriffen, dass er irgendjemanden trifft und in die Identität von dem schlüpft. Wie dann die Identität aussieht, war noch nicht so klar, das ist ja jetzt eigentlich Anton. Also die Person, in dessen Identität er schlüpft, ist ja eine Spiegelfigur, macht ihm ja eigentlich wieder sein Leben vor, was er davor gelebt hat. Und dadurch erkennt er, dass es vielleicht so nicht unbedingt weitergehen muss. Wir fanden das einfach spannend, auch mit so einer kleinen Überhöhung sozusagen zu spielen: Was könnte diesem Mann noch passieren, was führt dazu, dass er vielleicht sich selber auch ein bisschen näher wieder kommt?
Wellinski: Dann beginnt ja etwas sehr Interessantes, er geht ja mit dieser Identität noch weiter, er versucht, sich da fast schon neu zu erfinden. Es gibt da eine sehr interessante Szene in einem, ja, Muskelmannkostüm, nenne ich es mal, wo quasi Walter nicht nur sich selbst in dieser Grenzüberschreitung des Identitätsklaus neu erfindet, sondern auch irgendwie als Mann versucht, neue Arten oder Facetten seiner Männlichkeit irgendwie wieder nachzuspielen, neu zu spielen. Was passiert da mit ihm?
Keller: Ja, ich glaube, das ist so ein fast kindliches Bedürfnis, dass irgendjemand seine Stärke messen oder seinem Trieb da noch mal irgendwie nachgeht und dabei auch wieder einfach Kontakt zu sich selber aufnimmt. Was passiert da mit seiner Männlichkeit? Vielleicht einfach auch wieder das zulassen, was man gerne mal machen möchte oder was man vielleicht auch in jüngeren Jahren oft mehr zugelassen hat, dass man einfach mal über die Grenze geht, und was man sich wahrscheinlich im Laufe seines Lebens immer mehr so ein bisschen … ja, verbietet ist vielleicht zu viel, aber sich nicht mehr traut.
Wellinski: Jetzt sollten wir vielleicht auch noch ein wenig über den Look des Films sprechen. Ich würde jetzt anfangen, ihn ungefähr so zu beschreiben, dass er mir sehr streng zum einen vorkam, aber auch sehr glasklar. Wir sind sehr häufig auch in Autos, dann blickt man quasi wie durch eine, ja, Autoglasscheibe auf diesen Menschen, auf diesen Walter. Was war Ihnen eigentlich wichtig am Look Ihres Debütfilms? Wie wollten Sie, dass "Jetzt. Nicht." aussieht?
Keller: Der Kameramann Janis Mazuch und ich, wir arbeiten schon seit Längerem zusammen, haben auch unsere Diplomfilme zusammen gedreht und die waren noch viel, viel strenger. Da hatten wir immer nur eine Einstellung, auf gar keinen Fall einen Gegenschnitt und die Kamera hat sich gar nicht bewegt und die Schauspieler mussten immer die ganze Zeit irgendwelche Marken treffen. Diesmal haben wir versucht, uns ein bisschen aufzulockern, hat nur so halb geklappt, würde ich mal so sagen. Ich glaube, wir sind einfach an grafischen Bildern oft interessiert, manchmal vielleicht auch an Bildern, die versuchen, so ein bisschen das Innenleben von Walter nach außen zu tragen. Trotzdem haben wir versucht, bei den Spielszenen, also bei Szenen, wo einfach viel zwischen den Figuren passiert, sehr lange Einstellungen zu machen und Plansequenzen, wo einfach die Schauspieler mehr Möglichkeit haben, sich auch zu bewegen und nicht die ganze Zeit irgendwelche Marken zu treffen.
"Ein fast kindliches Bedürfnis" - Protagonist Walter im Muskelmannkostüm
"Ein fast kindliches Bedürfnis" - Protagonist Walter im Muskelmannkostüm© W-Film/Heimatfilm
Wellinski: Ihr Debütfilm ist auch durchaus eine One Man Show, im wahrsten Sinne des Wortes. Godehard Giese spielt den Walter. Man neigt dazu zu fragen: Haben Sie die Rolle extra für ihn geschrieben? Das vermute ich eher nicht, aber wie wichtig war es dann jemanden wie ihn zu haben, der dann diese Rolle auch ausfüllt? Weil er ja letztendlich in fast jeder Einstellung zu sehen ist.
Keller: Ja, wahnsinnig wichtig. Und Godehard ist halt ein ganz toller Schauspieler, der einfach technisch sehr, sehr gut ist und sehr facettenreiches Spiel einfach anbietet. Und das war einfach total toll, mit dem zusammenzuarbeiten.
Wellinski: Jetzt haben Sie eingangs erzählt, dass der Ursprungsimpuls für "Jetzt. Nicht." eine Entlassungswelle war, die jetzt nicht nur die Arbeiterklasse erwischt hat, dass Sie sich mit der Arbeitslosigkeit auch in höheren Unternehmenspositionen auseinandergesetzt haben. Das habe ich dann auch verstanden als eine Annäherung an ein Problem. Können Sie jetzt sagen, nachdem Sie diesen Film zu Ende gedreht haben, dass Sie dieses Phänomen irgendwie besser verstanden haben, anders begriffen haben?
Keller: Weiß ich nicht, weil … Zu der Zeit ist auch ein Bekannter von mir entlassen worden, und zwar noch viel harscher als Walter. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich jetzt nach dem Film einen total anderen Einblick habe, außer vielleicht in diese Branche vom Marketing, dass es da wirklich so ist: Wenn man mit Ende 30 - Anfang 40 nicht sozusagen den Schritt nach oben schafft, dann ist man einfach irgendwann raus, weil nach unten immer Neues nachwächst. Ich glaube, dadurch, dass ich nie für einen großen Konzern gearbeitet habe oder so, war das was, was auf jeden Fall für mich neu war. Und vielleicht doch im Sinne von 'Diese verschiedenen Ansätze von Trauern', - also wenn jemand entlassen wird in der Position, ist es oft so, dass die Menschen denken, sie kriegen sofort wieder eine neue Position, ohne Probleme, vor allem, wenn sei sehr lange in einem Unternehmen tätig waren. Und erst wenn sie sozusagen rausgehen, realisieren sie, dass es gar nicht mehr so einfach ist, irgendwo Fuß zu fassen. Und je größer dieser Gap wird zwischen angestellt und nicht mehr angestellt, desto schwieriger ist es eigentlich, irgendwo noch mal reinzukommen. Das hat sich schon verändert, dieser Blick darauf, wie hart es eigentlich einfach ist in manchen Branchen.
Wellinski: Von der Arbeitslosigkeit zur Identitätskrise, Julia Keller war unser Gast, Regisseurin des Spielfilmdebüts "Jetzt. Nicht.", der ab Donnerstag in unseren Kinos zu sehen sein wird. Frau Keller, vielen Dank für Ihre Zeit!
Keller: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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