Regisseur Stromberg: Zadek war ein Großmeister, aber kein Provokateur

Tom Stromberg im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Der Theaterregisseur Tom Stromberg hat seinen verstorbenen Kollegen Peter Zadek als Großmeister des deutschen Theaters gewürdigt. Ein Provokateur sei Zadek allerdings nie gewesen, sagte Stromberg.
Stephan Karkowsky: Peter Zadek ist tot. Der große deutsche Theaterregisseur starb in der Nacht zu heute im Alter von 83 Jahren. Wir wagen den Versuch einer Annäherung an sein Leben mithilfe eines jungen Kollegen, dem Theaterregisseur Tom Stromberg.

Seit August 2005 ist er bis heute zusammen mit Peter Zadek und Antje Landshoff-Ellermann Gesellschafter und Geschäftsführer der Theaterproduktionsgesellschaft Was ihr wollt Productions GmbH. Guten Tag, Herr Stromberg!

Tom Stromberg: Guten Tag!

Karkowsky: Als Sie angefangen haben, Theater zu machen, war Zadek bereits eine Legende. Können Sie sich daran erinnern, wie Sie ihn zuerst wahrgenommen haben?

Stromberg: Ich habe das heute versucht zu rekonstruieren natürlich noch mal, ich glaube, dass das erste, was ich gesehen habe "Andi" war, eine Geschichte eines jungen Mannes, der erschossen wurde, eine "Stern"-Titelgeschichte, die Zadek im Hamburger Schauspielhaus, ich glaube, 83 auf die Bühne gebracht hat.

Karkowsky: Also relativ spät. Peter Zadeks große Karriere begann ja bereits in den Sechzigern. Wussten Sie da bereits, wer das war, als Sie "Andi" erlebten?

Stromberg: Ja, da ich Sohn eines Theaterintendanten bin und mit dem Theater sehr früh vertraut war, wusste ich um Zadek, und ich hatte auch ganz früh das Gefühl, dass er der Regisseur ist, der mich am meisten interessiert. Ich habe natürlich alles gesehen, von Grüber, (..) von Stein und wie sie alle heißen, aber Zadek war eigentlich immer das Enfant terrible, das mich auch unheimlich fasziniert hat. Deswegen war es so interessant, als ich ihn dann sozusagen im hohen Alter sehr persönlich kennenlernte, noch mal mit ihm zusammenzuarbeiten.

Karkowsky: Was war denn das Interessante an diesem Enfant terrible?

Stromberg: Na ja, das war diese Unerbittlichkeit, Qualität zu machen, Qualität zu fordern von seinen Mitarbeitern, von allen Leuten, mit denen er zu tun hatte, und das Tollste für mich war eigentlich, dass er auf der Bühne Schauspieler erfunden hat, Leute auf die Bühne gebracht hat, die nicht mit ihrer schauspielerischen Brillanz, also mit ihren Fähigkeiten brillierten, sondern mit ihrer Persönlichkeit. Wenn ich mir überlege, dass er mit Ulrich Wildgruber und Angela Winkler eigentlich zwei Schauspieler und Schauspielerin erfunden hat, und viele andere natürlich, aber das waren für mich die beiden wichtigsten Leute, und denen zuzuschauen war einfach in jeder Inszenierung von Peter Zadek ein Vergnügen.

Karkowsky: Der ebenfalls legendäre Intendant Kurt Hübner, ebenfalls bereits verstorben, erzählte immer gern die Geschichte, dass Michael Degen zu ihm kam und sich beschwerte, weil Peter Zadek, das sei gar kein richtiger Regisseur, der sagt nämlich überhaupt gar nichts. War Zadek jemand, der Schauspieler vor allen Dingen an die lange Leine ließ?

Stromberg: Na ja, er ließ sie einfach ganz viel ausprobieren, ganz viel machen, aber man spürte, glaube ich, als Schauspieler, die Schauspieler haben gespürt, wenn was nicht richtig war, wenn was nicht zusammengepasst hat. Und er hat es immer weitergetrieben, bis es irgendwann ein wunderbares Zusammenspiel war. Das ist übrigens ähnlich mit dem ebenfalls gerade verstorbenen Regisseur, über dessen Probenarbeit, die man ähnlich beschreibt, nämlich Jürgen Gosch.

Karkowsky: Haben Sie in der Zeit, in der Sie Gelegenheit hatten, Peter Zadek näher kennenzulernen, rausfinden können, was diesen Mann tatsächlich angetrieben hat? Was war es, was ihn dazu getrieben hat, unbedingt ein anderes Theater zu machen als das, das er kannte?

Stromberg: Na ja, durch seine Biografie war natürlich klar, dass er sich immer als Außenseiter gefühlt hat, die Emigration nach England, er fühlte sich ja immer sozusagen, im Theaterleben wie im privaten Leben, wie der Shylock aus dem "Der Kaufmann von Venedig".

Karkowsky: Seine große Figur.

Stromberg: Seine große Figur. Er war der Jude, er war anders in der Gesellschaft, er fühlte sich immer ein bisschen am Rande, er fühlte sich immer auch nicht dem Theater zugehörig, selbst wenn er an dem Theater inszeniert hat. Er brachte seine eigenen Leute mit, seine Truppen mit. Er brauchte immer eine starke Phlanx um sich rum, um dann abgeschottet in seiner Arbeit seine besten Arbeiten zu machen.

Karkowsky: Und gleichzeitig ist er ja in Deutschland für den Shylock als Antisemit kritisiert worden, weil er ihn zu negativ dargestellt hat.

Stromberg: Ja, aber das ist doch eine seiner Qualitäten, dass er sich solche Dinge eben alle leisten konnte, und das Schönste war natürlich – für mich auch –, dass man sich einfach in seinem Theater nie langweilen konnte. Ich glaube, das ist seiner englischen Ausbildung geschuldet. Er wusste, egal, was er dem Publikum verkaufen will, ein Schuss Entertainment gehört dazu.

Karkowsky: Also, mit dem "Andi" haben Sie ihn quasi kennengelernt. Wie ging das dann persönlich weiter, wo kam der persönliche Kontakt zustande?

Stromberg: Ich hatte ihn mehrfach getroffen schon, und wir redeten über zusammenarbeiten, aber wirklich los ging es eigentlich, als sich Zadek anmeldete, um im Hamburger Schauspielhaus, das damals unter meiner Leitung stand, sich den "Othello" anzuschauen, der "Othello" von Stefan Pucher mit dem wunderbaren Alexander Scheer in der Rolle des Othello, und ich hatte natürlich einen riesigen Bammel – und die Schauspieler auch –, dass nun der große Zadek, der ja selber berühmte "Othello"-Inszenierungen gemacht hat, sich das anguckte.

Er saß in der Loge, blieb auch nach der Pause, blieb bis zum Ende. Der Schauspieler des Othello, Scheer, salutierte in die Loge und Zadek salutierte zurück, und ich dachte, na gut, ich beobachtete das Ganze natürlich heimlich aus dem Rang, ich dachte, das ist gut gelaufen, der Zadek wird das schon gut finden. Danach traf ich mich mit Zadek und der hat mich zwei Stunden zur Schnecke gemacht für diese Inszenierung.

Karkowsky: Wie fühlten Sie sich da?

Stromberg: Ja, tja, das war sozusagen der Anstoß zu einer intensiveren Beschäftigung, und das war auch der Anstoß von mir, zu sagen, wenn ich mit dir arbeite, Peter, und diese Was ihr wollt Production gründe und diese Shakespeare-Projekte machen soll, dann ist meine Bedingung, dass wir zusammen eine Akademie aufmachen, damit du konfrontiert wirst mit jungen Leuten, mit jungen Theaterschaffenden wie eben diesem Pucher oder noch jüngeren Leuten, und dann bin ich mal gespannt was passiert.

Karkowsky: Und das haben Sie ja dann auch gemacht. Nun gilt ja Peter Zadek – zusammen mit Peter Stein und anderen jungen Wilden – als Meister des Regietheaters. Um das Regietheater gab es ja in den letzten Tagen eine Menge Diskussion. Würden Sie denn auch sagen, dass Zadek in seinen letzten Tagen, also als älterer Regisseur, zurückgekehrt ist zu jemandem, der eher texthörig war und den Autoren gehorcht hat?

Stromberg: Nein. Zadek hat noch nie irgendjemandem gehorcht, außer sich selber, und diese ganze Regietheaterdiskussion finde ich wahnsinnig ärgerlich und überflüssig. Wenn man sie überhaupt führen wollte, dann müsste man sagen, Zadek war der Erfinder des Regietheaters. Und ob er dann in seinen letzten Arbeiten etwas zurückhaltender oder milder geworden ist, das ist vielleicht auch der Krankheit und dem Alter geschuldet.

Karkowsky: Sie hören den Theaterregisseur Tom Stromberg, er ist seit August 2005, man muss jetzt sagen, er war gemeinsam mit Peter Zadek Gesellschafter und Geschäftsführer von Was ihr wollt Productions. Herr Stromberg, Sie haben Zadek ja nun auch gerade in diesen letzten Jahren sehr, sehr intensiv kennengelernt. Hatten Sie den Eindruck, dass er immer noch dieses jugendliche Feuer hatte, für das ihn ja sein Theaterpublikum geliebt hat?

Stromberg: Ganz zum Schluss war das Feuer natürlich langsam am Erlöschen und von ihm gab es ja auch die Aussage, der gesagt hat: Wenn ich nicht mehr inszenieren kann, denn möchte ich auch nicht mehr leben. Aber nichts desto trotz war sein Charme, seine Intelligenz, sein Humor das, was ihn ausgezeichnet hat, bei jedem Gespräch, das man mit ihm geführt hat, und deswegen verzieh man ihm auch alles, weil er eben so versprühend war.

Die Gespräche mit ihm sind immer sehr anstrengend gewesen, weil man konnte mit ihm nicht einfach quatschen. Er erlaubte es einem nicht, irgendwas dahinzureden, sondern jedes Wort wurde genau geprüft und jeder falsche Satz, jede falsche Bemerkung konnte auch ein riesiges Unwetter loslösen.

Karkowsky: Nun durfte er noch weiter inszenieren. Er hat ja in diesem Jahr zuletzt noch eine Inszenierung gemacht. Hatte er noch Pläne, oder wusste er, dass es langsam zu Ende geht?

Stromberg: Es gab ja noch einen Plan, in Wien an der Oper zu inszenieren, aber ich glaube, in dem Moment, wo man spürt, dass die Kraft vielleicht nicht mehr reicht, um ein großes Haus in Bewegung zu setzen – und inszenieren heißt ja nicht nur, im Kleinen genau zu sein, sondern auch riesige Massen und ganze Apparate zu bewegen. Und wenn man das spürt, dass man das nicht mehr schafft, das ist für einen Regisseur, der so viel inszeniert hat und so in dem Theater dringesteckt hat, ist das glaube ich der Moment, wo man vielleicht – und das kann ich aber auch wirklich nur vermuten, ich habe mit Peter in den letzten Wochen über solche Dinge überhaupt nicht gesprochen –, aber ich glaube, dass man dann einfach irgendwann vielleicht die Kraft und die Lust verliert.

Karkowsky: War denn der Tod ein Thema zwischen Ihnen?

Stromberg: Der Tod ist im Theater ja jeden Tag ein Thema, denn es gibt ja kaum ein Theaterstück der Weltliteratur, in dem das nicht vorkommt. Aber Peter wollte nicht sterben, jedenfalls nicht so lange wir intensive Gespräche mit Studenten und über Projekte geführt haben, ganz im Gegenteil, er wollte eigentlich jetzt in diesem Jahr einen großen "Sommernachtstraum" Open Air mit Hunderten von Schauspielern, Statisten und so weiter bewegen. Die Pläne waren da, die Kraft vielleicht irgendwann nicht mehr.

Karkowsky: Und mit all den Attributen, die jetzt in den Nachrufen zu Zadek genannt werden – er sei ein unerschrockener Provokateur des bürgerlichen Bildungstheaters gewesen, ein provokanter Moralist, ein Großmeister des deutschen Theaters –, können Sie damit was anfangen?

Stromberg: Großmeister, damit kann ich was anfangen, mit Provokateur überhaupt nicht. Zadek hat kein Theater gemacht, um irgendein Bürgertum zu erschrecken, er hat das Theater gemacht, zu dem er Lust hatte und zu dem er und seine Schauspieler bereit waren. Das ging ihm, glaube ich, nicht darum, zu gucken, dass im Zuschauerraum sich irgendjemand darüber aufregt. So kann man nicht denken, so kann man nicht arbeiten, und ich glaube, so ist auch der sagenhafte und sagenumwobene – den ich aus Altersgründen nicht kenne, jedenfalls nicht live kenne – "Othello" in Hamburg, ist ja nicht entstanden, um irgendwie das Publikum in Hamburg vor den Kopf zu stoßen, sondern er ist entstanden, weil er mit Eva Mattes und Ulrich Wildgruber zwei Schauspieler hatte, mit denen er einfach etwas ganz Besonderes wagen konnte.

Karkowsky: Sagt uns Tom Stromberg, der langjährige Intendant des Schauspielhauses Hamburg, jetzt Leiter des Theaterfestivals "Impulse". Er hat mit Peter Zadek zusammen eine Produktionsgesellschaft gegründet, und Peter Zadek ist in der Nacht zu heute im Alter von 83 Jahren gestorben. Herr Stromberg, vielen Dank dafür.

Stromberg: Ich danke auch.