Regisseur seiner selbst
Von Matthias Nöther · 02.01.2008
Viel hatten der Literat Karl Kraus, der gediegene bildungsbürgerliche Vorleser Gert Westphal und der exzentrische Schauspieler Klaus Kinski sicherlich nicht gemeinsam. Und doch nannten sie und viele andere große Sprechkünstler des 20. Jahrhunderts zeitlebens ein gemeinsames Vorbild für ihre Kunst: den österreichischen Schauspieler Josef Kainz.
"Liebe Eltern,
gestern abend ist bei uns etwas vorgefallen, das vielleicht noch nicht da war, solange Theater bestehen. Ein junger siebzehn- bis achtzehnjähriger Mensch sagt laut vor dem Direktor, er getraut sich, den Faust zu spielen. Der Direktor geht auf den Witz ein und sagt ihm die Rolle zu. Der Holdig, der den Faust spielen sollte, dankt Gott, dass er ihn losgeworden ist. Der junge Mensch mit dem großen Maul war - ich. Und so werde ich denn am neunten Dezember 1875 mit Fräulein Rosa Frauenthal als Gretchen den Faust am Marburger Stadttheater spielen."
Josef Kainz, am 2. Januar 1858 geboren, war in Wien aufgewachsen und hatte sich ursprünglich gleich am Wiener Burgtheater vorgestellt. Dort empfahl man den vorlauten jungen Mann in die deutsche Provinz. Dabei blieb es nicht lange. Fünf Jahre nach dem spontanen Faust-Debüt in Marburg gab Kainz bereits Privatvorstellungen vor Ludwig II. in München. Und auch der bekam es schnell mit dem künstlerischen Stolz und Eigensinn des Jungschauspielers zu tun. Als der exzentrische Bayernkönig mit ihm in die Schweiz fuhr und nachts auf dem Rütli vom todmüden Kainz verlangte, er solle nun bitte Szenen aus Schillers "Wilhelm Tell" sprechen, weigerte dieser sich entschlossen.
"Seitdem habe ich vom König nichts mehr gehört. Mir scheint, er geruhte, mich in Ungnade fallen zu lassen. Weh hat mir bis jetzt dieser Fall nicht getan. Ich spiele mehr als je schöne Rollen und schlafe des Nachts ganz gut, wie früher."
Doch das alles war erst der Anfang. Enthusiastische Erfolge, wie sie selbst für den starfixierten Hoftheaterbetrieb des späten 19. Jahrhunderts ungewöhnlich waren, erreichte Kainz ab 1883, als er aus München an das neu gegründete Deutsche Theater in Berlin wechselte. In der rasant wachsenden Hauptstadt merkten Kritiker und Publikum bald, dass dieser nervöse Schnellsprecher ihre eigene Gegenwart abbildete - etwas, das für die pathetisch deklamierenden Heldendarsteller über Jahrzehnte hinweg unwichtig gewesen war. Über die Modernität von Josef Kainz schrieb der dänische Schriftsteller Herman Bang ein ganzes Buch.
"Die Ungeduld lebt in uns und um uns. Sie steigt Tag für Tag durch die sozialen Gegensätze, die wir sehen, ohne sie versöhnen zu können. In der Kunst treffen wir die Ungeduldigen überall, und auf der Bühne heißt diese Ungeduld: Josef Kainz. Er ist ihr Abbild. Seine Nerven zittern davon. Seine Worte haben daher ihre Hast. Daher die Blitze des Blicks, das Sichballen der Hände. Daher der ungleiche Flug seiner Rede. Die Ungeduld ist die Seele seiner Rollen."
Als Kainz 1902 für den Hamlet-Monolog vor den Phonographen gebeten wurde, war er bereits vom Deutschen Theater an das eher traditionalistische Wiener Burgtheater übergewechselt. Mit seiner sehr eigenwilligen sprecherischen Überformung der Klassikertexte war es Kainz schwer gefallen, sich in das radikale Ensemblespiel unter dem Naturalistenpapst Otto Brahm einzufügen, der in Berlin bereits die Weichen für das konzeptuelle Regietheater Max Reinhardts stellte. Josef Kainz war hauptsächlich Regisseur seiner selbst. Gerade deswegen aber wussten junge Reinhardt-Schauspieler wie etwa Friedrich Kayßler genau, wie viel sie Kainz zu verdanken hatten.
"Er konnte über eine weite Ebene von gleichgültigen Worten hintanzen, um sich dann auf ein einziges Merkwort zu stürzen, das er hoch für sich allein stehen sah, auf einen Hügel vom Dichter gestellt. An dieses Wort hing er sich dann mit aller Wucht wie an eine Glocke, so dass jeder wusste: Das war es, was wir wissen mussten, der Kern, der Sinn des Ganzen, das pochende Herz dieses Aktes. Seine Kunst gab Übersicht, Ausblicke, Fernblicke, Panoramen. Das Ganze gab er, und das war das Große an ihm."
Das war, im Herbst 1910, bereits der Nachruf. Es war mehr als nur eine bittere Ironie der Theatergeschichte, dass Josef Kainz auf dem Sterbebett die Ernennung zum Burgtheater-Regisseur erhielt, für die er die letzten Jahre seines kurzen Lebens gekämpft hatte.
gestern abend ist bei uns etwas vorgefallen, das vielleicht noch nicht da war, solange Theater bestehen. Ein junger siebzehn- bis achtzehnjähriger Mensch sagt laut vor dem Direktor, er getraut sich, den Faust zu spielen. Der Direktor geht auf den Witz ein und sagt ihm die Rolle zu. Der Holdig, der den Faust spielen sollte, dankt Gott, dass er ihn losgeworden ist. Der junge Mensch mit dem großen Maul war - ich. Und so werde ich denn am neunten Dezember 1875 mit Fräulein Rosa Frauenthal als Gretchen den Faust am Marburger Stadttheater spielen."
Josef Kainz, am 2. Januar 1858 geboren, war in Wien aufgewachsen und hatte sich ursprünglich gleich am Wiener Burgtheater vorgestellt. Dort empfahl man den vorlauten jungen Mann in die deutsche Provinz. Dabei blieb es nicht lange. Fünf Jahre nach dem spontanen Faust-Debüt in Marburg gab Kainz bereits Privatvorstellungen vor Ludwig II. in München. Und auch der bekam es schnell mit dem künstlerischen Stolz und Eigensinn des Jungschauspielers zu tun. Als der exzentrische Bayernkönig mit ihm in die Schweiz fuhr und nachts auf dem Rütli vom todmüden Kainz verlangte, er solle nun bitte Szenen aus Schillers "Wilhelm Tell" sprechen, weigerte dieser sich entschlossen.
"Seitdem habe ich vom König nichts mehr gehört. Mir scheint, er geruhte, mich in Ungnade fallen zu lassen. Weh hat mir bis jetzt dieser Fall nicht getan. Ich spiele mehr als je schöne Rollen und schlafe des Nachts ganz gut, wie früher."
Doch das alles war erst der Anfang. Enthusiastische Erfolge, wie sie selbst für den starfixierten Hoftheaterbetrieb des späten 19. Jahrhunderts ungewöhnlich waren, erreichte Kainz ab 1883, als er aus München an das neu gegründete Deutsche Theater in Berlin wechselte. In der rasant wachsenden Hauptstadt merkten Kritiker und Publikum bald, dass dieser nervöse Schnellsprecher ihre eigene Gegenwart abbildete - etwas, das für die pathetisch deklamierenden Heldendarsteller über Jahrzehnte hinweg unwichtig gewesen war. Über die Modernität von Josef Kainz schrieb der dänische Schriftsteller Herman Bang ein ganzes Buch.
"Die Ungeduld lebt in uns und um uns. Sie steigt Tag für Tag durch die sozialen Gegensätze, die wir sehen, ohne sie versöhnen zu können. In der Kunst treffen wir die Ungeduldigen überall, und auf der Bühne heißt diese Ungeduld: Josef Kainz. Er ist ihr Abbild. Seine Nerven zittern davon. Seine Worte haben daher ihre Hast. Daher die Blitze des Blicks, das Sichballen der Hände. Daher der ungleiche Flug seiner Rede. Die Ungeduld ist die Seele seiner Rollen."
Als Kainz 1902 für den Hamlet-Monolog vor den Phonographen gebeten wurde, war er bereits vom Deutschen Theater an das eher traditionalistische Wiener Burgtheater übergewechselt. Mit seiner sehr eigenwilligen sprecherischen Überformung der Klassikertexte war es Kainz schwer gefallen, sich in das radikale Ensemblespiel unter dem Naturalistenpapst Otto Brahm einzufügen, der in Berlin bereits die Weichen für das konzeptuelle Regietheater Max Reinhardts stellte. Josef Kainz war hauptsächlich Regisseur seiner selbst. Gerade deswegen aber wussten junge Reinhardt-Schauspieler wie etwa Friedrich Kayßler genau, wie viel sie Kainz zu verdanken hatten.
"Er konnte über eine weite Ebene von gleichgültigen Worten hintanzen, um sich dann auf ein einziges Merkwort zu stürzen, das er hoch für sich allein stehen sah, auf einen Hügel vom Dichter gestellt. An dieses Wort hing er sich dann mit aller Wucht wie an eine Glocke, so dass jeder wusste: Das war es, was wir wissen mussten, der Kern, der Sinn des Ganzen, das pochende Herz dieses Aktes. Seine Kunst gab Übersicht, Ausblicke, Fernblicke, Panoramen. Das Ganze gab er, und das war das Große an ihm."
Das war, im Herbst 1910, bereits der Nachruf. Es war mehr als nur eine bittere Ironie der Theatergeschichte, dass Josef Kainz auf dem Sterbebett die Ernennung zum Burgtheater-Regisseur erhielt, für die er die letzten Jahre seines kurzen Lebens gekämpft hatte.