Regisseur Porumboiu über "La Gomera"

Eine herrlich verrückte Krimipersiflage

10:06 Minuten
Filmstill: Der Polizist Cristi (Vlad Ivanov) hat die Hände im Rücken mit einem Strick zusammengebunden und bekommt einen Tritt in den Rücken.
Der Polizist Cristi (Vlad Ivanov) lässt sich mit der Mafia ein, fliegt auf - und landet auf der titelgebenden Insel "La Gomera". © Vlad Cioplea / Alamode Film
Corneliu Porumboiu im Gespräch mit Patrick Wellinski · 08.02.2020
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Eine antike Pfeiffsprache auf der Insel Gomera inspiriert eine Gruppe Gangster, einen Banküberfall zu planen. Doch das Erlernen von „El Silbo“ gefährdet den Plan. Regisseur Corneliu Porumboiu hat mit „La Gomera“ einen lustigen Agententhriller gedreht.
Patrick Wellinski: Im Mittelpunkt des von "Toni Erdmann"-Regisseurin Maren Ade produzierten Films "La Gomera" des mehrfach ausgezeichneten Regisseurs Corneliu Porumboiu steht "El Silbo". Wie sind Sie auf diese antike Pfeiffsprache gestoßen?
Corneliu Porumboiu: Ich war vor zehn Jahren in Frankreich und dort lief abends im Fernsehen eine Dokumentation über Gomera. Ein Teil der Dokumentation beschäftigte sich auch mit dieser alte Pfeiffsprache El Silbo. Mich hat dieses Pfeiffen fasziniert. Schon damals habe ich begonnen, ein Drehbuch daraus zu machen. Aber der erste Entwurf lag dann lange in der Schublade. Ich war unzufrieden damit. Zwischendurch habe ich einen anderen Film gemacht. Jetzt habe ich beschlossen, dass die Zeit reif war, um mich wieder mit El Silbo auseinanderzusetzen.
Wellinski: Was fasziniert sie denn an El Silbo?
Porumboiu: Am Anfang fand ich diese Sprache poetisch und auch lustig. Als ich dann angefangen habe zu recherchieren, habe ich erfahren, dass es noch andere Orte auf der Welt gibt, wo die Menschen in einer Pfeiffsprache kommunizieren. In der Türkei gibt es ein Dorf, in Griechenland auch – auf jedem Kontinent gibt es solche Arten der Sprache. Aber ich wollte nicht zu viel wissen. Mir reicht meine Neugier.
Für mich war das eine Vorstufe unserer Sprache, die unsere Vorfahren genutzt haben, bevor wir unsere heutige Art zu sprechen entwickelt haben. In meinem Film wollte ich diese antike Sprache mit unserer Gegenwart konfrontieren. Eine Welt, in der alles kontrolliert und überwacht wird. Mich hat interessiert, welche Möglichkeiten des Erzählens sich daraus für mich ergeben.

El Silbo bringt eine innere Reise in Gang

Wellinski: Ihr Film ist aber keine anthropologische Dokumentation über Sprache und El Silbo, sondern ein postmoderner Agententhriller. Wie haben sie die Geschichte um ihre Faszination mit El Silbo konstruiert?
Porumboiu: Ich habe vor zehn Jahren in meinem Spielfilm "Police, Adjectiv" von dem Polizisten Cristi erzählt, der einen Haschisch rauchenden Teenager beschattet und langsam den Sinn seiner Arbeit hinterfragt. Auch damals spielte Sprache eine zentrale Rolle für mich. Cristi spukte noch lange durch meinen Kopf. Er fasziniert mich. Also taucht er in meinem neuen Film auch auf.
Cristi und El Silbo – das war der Beginn des Films. Ich wollte so von einer doppelten Bewegung erzählen. Cristi lernt El Silbo, um etwas Kriminelles zu machen. Aber in diesem Prozess ändert sich seine Motivation. So beginnt für Cristi auch eine innere Reise. Er entdeckt diese antike Pfeiffsprache; damit erfährt er auch etwas Neues über sich selbst.
Wellinski: Sie haben einen ausgeprägten Sinn fürs Linguistische. Diese Faszination mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Sprache interessiert Sie in jedem Ihrer Filme …
Porumboiu: Ja, da ist was dran. In "La Gomera" glauben die Figuren nicht mehr an die Sprache. Sie nutzen sie einfach, um sich einen gewissen Vorteil zu verschaffen, um ihr kriminelles Ding zu drehen. In meinem Debütfilm "12:08 östlich von Bukarest" nutzen die Figuren die Sprache noch, um sich selbst in der rumänischen Geschichte zu verorten. Welchen Wert hatte die Revolution von 1989? Was ist von Ceausescu in ihrem Sprechen und Denken übriggeblieben? Solche Fragen waren wichtig.
In "Police, Adjectiv" ging es mir um die ideologischen Grenzen der Sprache und ihren autoritären, bürokratischen Charakter. In meinem dritten Film "Metabolismus" traut die Hauptfigur der Sprache dann gar nicht mehr. Es tritt eine Desillusionierung ein, die jetzt in "La Gomera" alle ergriffen hat. Die Sprache wird nur noch als Waffe benutzt.
Um diesen Zynismus zu fassen, habe ich als Vorbereitung viele Film Noirs gesehen. Denn dort ist diese Weltsicht in Reinform vorhanden. Die Figuren leben dort in einer Welt, in der jeder nur noch nach sich selbst schaut. Doppelzüngigkeit und Doppelmoral sind allgegenwärtig. Diese Konfrontation mit dem Film Noir hat mein Drehbuch besonders geprägt.

Kino als eine Art Geheimsprache

Wellinski: Sie sprechen von den Hard Boiled Noirs aus dem klassischen Hollywood?
Porumboiu: Ja, genau, die ganzen Meisterwerke wie "Gilda", "Frau ohne Gewissen", "Der Malteser Falke", "Tote schlafen fest" …
Wellinski: … den ja keiner so richtig versteht …
Porumboiu: … doch den kann man verstehen, so wie man den "Malteser Falken" versteht – so nach der dritten Sichtung. Das Spannende ist, dass man als Regisseur solcher Stoffe permanent Entscheidungen treffen muss. Man muss Informationen zurückhalten. Das führt auch dazu, dass man in "La Gomera" manchmal etwas verloren und verwirrt ist. Das hat Vor- und Nachteile. Aber für mich war das zum Beispiel eine Möglichkeit, in der Mitte des Films das Verhältnis von Cristi zu seiner Mutter zu thematisieren. Das ist für ihn als Figur zentral, gehört aber nicht in die Krimihandlung. Es ist ein Irritationsmoment, der sehr gut mit den Mustern des Film Noir zu erzählen ist.
Wellinski: Also ist Kino auch eine Art Geheimsprache. Denn ihr Film ist nicht nur voller Film-Noir-Verweise und Zitate, sondern auch der Western wird zitiert?
Porumboiu: Ja, ich nutze das um die Geschichte besser zu erzählen. Für mich ist die Kamera immer eine Möglichkeit, etwas zu erzählen - aber auch ein Mittel der Überwachung und Beobachtung. Das ist auch etwas, das mich am Film Noir interessiert. Aber das Zitat ist doch längst allgegenwärtig in unserer Popkultur. Kaum ein Verweis, der sich nicht auf einen Kinofilm oder etwas Filmisches bezieht.
Wir reden, denken und träumen in Filmzitaten. Es ist ein Spiel. Auch meine Figuren spielen dieses Spiel. Sie nutzen es, um ihren Krimiplot zu strukturieren. Aber sie verlieren sich so sehr darin, dass sie irgendwann nicht mehr wissen, ob sie nicht selbst Teil eines größeren Spiels bzw. Films sind. Ich wollte Figuren, die ihr Figurendasein selbst reflektieren. Ein postmoderner Ansatz. Aber einer, der auch eine gewisse Ehrlichkeit und auch Action ermöglicht.

Angelehnt an die Komik eines Buster Keaton

Wellinski: Ist das auch der Grund, wieso ihre Figuren in "La Gomera" so obsessiv auftreten. Sie lernen El Silbo recht obsessiv. Überhaupt gilt das für alle Figuren in ihren Filmen. Die Obsession prägt ihre Werke, die Figuren verlieren sich darin, machen Fehler, werden unachtsam. Das ist auch manchmal sehr lustig. Was fasziniert sie an diesen Obsessionen?
Porumboiu: Vielleicht hat es auch etwas mit mir zu tun. Eine Art von Therapie vielleicht. Nein, im Ernst: Es ist meine Weltsicht. Wir nehmen unser Leben immer so ernst und bilden uns wirklich ein, dass wir unser Schicksal selbst in der Hand hätten. Aber das ist nicht so. Ich mache mich über diese Ernsthaftigkeit lustig. Und diese ganze Anstrengung, die dahinter steckt, produziert auch eine Art von Humor.
Meine Figuren sind in ihrem Ernst stark angelehnt an der Komik eines Buster Keaton. Sie probieren, in einer rauen Welt zu überleben, und machen das sehr streng und penibel genau. Dabei misslingen ihnen Kleinigkeiten, was absurde Momente hervorbringt, über die wir gerne Lachen.
Wellinski: Jeder Ihrer Filme setzt sich auch mit der rumänischen Gesellschaft auseinander. Selbst "La Gomera", der zunächst so verspielt ist, erzählt viel von Korruption, Überwachung und Machtmissbrauch. Oder erliege ich da einem Klischee, dass rumänische Filme angeblich immer sich mit der rumänischen Politik auseinander setzten?
Porumboiu: Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Ich komme aus Rumänien also ist in meinen Filmen immer Rumänien drin. Aber so ist das nicht. Das Kino codiert die Realität. Dahingehend ist jede filmische Entscheidung eine politische. Jede Kameraposition ist eine politische Entscheidung. Selbst wenn Sie einen rein eskapistischen Film drehen, machen Sie damit eine politische Entscheidung. Dahingehend äußere ich mich natürlich über das Rumänien von heute, aber auch unsere Welt im Allgemeinen.
"La Gomera" ist unterm Strich ein Film über eine Gruppe von Menschen, die 40 Millionen Dollar hinterherjagen. Es ist ein Blick auf eine Welt nach einer Wirtschaftskrise. Der Antrieb aller Figuren ist fehlendes Geld oder Geld, das man haben möchte oder braucht. Das treibt nicht nur meinen Film an, sondern auch klassische Hollywood-Komödien. Aber auch die heutige Hollywood-Komödie arbeitet sich letztlich nur an unseren kapitalistischen Auswüchsen ab.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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