Regisseur on the road

Von Anke Leweke |
Von den Regisseuren, die sich in den 60er-Jahren auf den Weg machten, um das deutsche Kino zu erneuern, haben es zwei am weitesten gebracht: Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders. Fassbinder ist tot und ein Mythos. Wim Wenders gehört nach wie vor zu den produktivsten deutschen Filmemachern.
Zunächst feiert die Kamera die wüstenhafte Weite der amerikanischen Landschaft, dann taucht ein Mann mit roter Baseball-Kappe auf. Die erste Hälfte des Films wird er schweigen. Der von Harry Dean Stanton gespielte Travis aus dem 1984 gedrehten Film "Paris Texas" ist ein Wim Wenders-Held par exellence. Immer wieder handeln Wenders' Filme von Einzelgängern, die in der Welt kein Zuhause finden: Vom vereinsamten Regisseur in "Der Stand der Dinge" bis zu den verlorenen Engeln in "Der Himmel über Berlin". Vom verstörten Kunsthändler Tom Ripley in "Der amerikanische Freund" bis zum Cowboydarsteller, der in "Don't come knocking" seine Familie sucht. Schon in seinem Abschlussfilm der Münchner Filmhochschule "Summer in the City" von 1970 folgt er einem Ex-Häftling, der keinen Plan für seine Zukunft kennt und sich treiben lässt. Wie ein roter Faden zieht sich die Kontaktunfähigkeit seiner wortkargen Helden durch Wim Wenders' Werk.

"Ich denke, das ist die erste Erfahrung von einem der 1945 geboren ist, in einem sprachlosen Land, was mit sich selbst nicht kommunizieren konnte, das mit sich selbst im Unreinen war, wo es keinen Blick zurück gab, auch keine Kommunikation zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und oft auch keine Kommunikation mit Menschen, weil man sich nichts mehr zu sagen hatte."

Deutschland 1945 oder im Jahre Null. Mit den amerikanischen Soldaten kommt auch der Rock n'roll nach Deutschland. Gerne betont Wim Wenders seine amerikanische Sozialisation, erzählt von den Eisdielen mit den Jukeboxen, den Kneipen mit Billard und Flipper. Zur amerikanischen Populärkultur gehört natürlich auch das Kino. Eines seiner beliebtesten Genres ist das Roadmovie. Wie dessen Helden sind sie auch die von Wim Wenders meistens in Bewegung und bewahren sich dabei einen ganz eigenen Blick auf die Welt bewahrt. So entdeckt man mit dem Journalisten Winter in "Alice in den Städten" von 1974 eine ungeahnte Schönheit der Zechenlandschaft des Ruhrgebiets. Mit den beiden Freunden Bruno und Robert aus " Im Lauf der Zeit" aus dem Jahre 1975 fährt man entlang der Zonengrenze durch ein deutsches Niemandsland. Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Roadmovie Made in the US und einem Wenders-Film. Der amerikanische Held reist den amerikanischen Mythen hinterher, der Wenders-Held hingegen will bis heute die Welt der Bilder retten. So erklärt die Kinobetreiberin aus "Im Lauf der Zeit", warum sie ihr Kino geschlossen habe.

"Der Film ist die Kunst des Sehens, hat mir mein Vater gesagt, und deshalb kann ich die Filme nicht zeigen, die nur noch Ausbeutung sind, von allem, was man noch in den Augen und Köpfen der Menschen überhaupt noch ausbeuten kann. Aber ich lasse mich nicht zwingen, Filme zu zeigen, wo die Menschen erstarrt vor Dummheit nur noch herausstolpern, (wo ihnen jede Lust am Leben vernichtet wird) , wo ihnen jedes Gefühl von sich und der Welt absterben muss."

Bis heute ist der Kampf der Kinobetreiberin auch Wim Wenders' Kampf - gegen die vorfertigten und abgenutzten Bilder der Kinoindustrie. Die Fesseln dieser Industrie bekommt Wenders selbst zu spüren, als er dort 1982 den von Francis Ford Coppola produzierten Krimi "Hammett" dreht – und an den Produktionsbedingungen scheitert. In den letzten Jahren aber scheitert Wenders oftmals an sich selbst – am Widerspruch zwischen der eigenen Innerlichkeit und der Sehnsucht nach den großen Bildern. Seine schweigsamen Helden sind allzu beredt geworden. Sie erklären uns überdeutlich die Welt. Es bleibt nichts mehr zu entdecken. Dennoch wartet man gespannt auf jeden neuen Wenders. Vielleicht gibt es ja irgendwann auch ein Spätwerk zu entdecken, in dem dieser ewig suchende Regisseur noch einmal zu einem anderen Blick findet. Wim Wenders bleibt on the road.