Regisseur Matteo Rovere über "Giulias großes Rennen"

"Wollte einen mitreißenden Actionfilm drehen"

Stefano Accorsi (l), Matilda De Angelis und Matteo Rovere
Die Schauspieler Stefano Accorsi (l) Matilda De Angelis und Regisseur Matteo Rovere stellen ihren Film "Veloce come il vento - Giulias großes Rennen" im April 2016 in Mailand vor. © imago/Matteo Gribaudi
Matteo Rovere im Gespräch mit Patrick Wellinski · 10.06.2017
Der italienische Film "Giulias großes Rennen" erzählt die Geschichte der 17-jährigen Giulia, die eine erfolgreiche Rennfahrerin werden möchte. Als ihr Vater stirbt, taucht auf einmal ihr drogenabhängiger Bruder auf - gespielt vom italienischen Star Stefano Accorsi.
Patrick Wellinski: Die Zeiten sind ja vorbei, in denen italienische Regisseure wie Rossellini, Fellini oder Antonioni regelmäßig mit ihren Filmen in die deutschen Programmkinos gelangt sind. Das italienische Kino ist auf unseren Leinwänden kaum mehr präsent. In dem ganzen Dschungel von französischen Komödien und Superheldenspektakeln ist da wohl kein Platz mehr für das Filmland Italien. Seit Donnerstag können Sie aber wieder einen italienischen Spielfilm sehen, der in Italien selber gleich mit mehreren nationalen Filmpreisen überhäuft wurde. Der Film heißt "Giulias großes Rennen" und ist, wie der Titel es schon vermuten lässt, ein Rennfilm.
Im Zentrum von "Giulias großes Rennen" steht die 17 Jahre alte Giulia, die im Motorsport ganz groß rauskommen möchte, doch eines Tages stirbt während eines Rennens ihr Vater. Sie und ihr kleiner Bruder sind kurz davor, in eine staatliche Obhut zu kommen, da erscheint plötzlich Loris, der verlorene große Bruder, mittlerweile ein Junkie, der ehemals selbst ein ganz großes Renntalent war, und gemeinsam versuchen nun Bruder und Schwester die großen Rennen der Saison zu gewinnen.
Der Spielfilm stammt von Regisseur Matteo Rovere, den ich vor der Sendung sprechen konnte, und da der Film auf einer wahren Geschichte basiert, wollte ich zunächst von ihm wissen, was denn der reale Hintergrund überhaupt ist und wie er davon erfahren hat.

"Geschichte eines italienischen Rally-Piloten der 80er-Jahre"

Matteo Rovere: Dieser Film erzählt die Geschichte eines italienischen Rally-Piloten der 80er-Jahre, Carlo Carbone. Es ist nicht genau seine Geschichte, aber ich wollte dieser Gestalt meinen Respekt zeigen. Wenig bekannt, ist er aber doch legendär, und wie bin ich drauf gestoßen: Nun, ich wollte einen starken mitreißenden Actionfilm drehen mit einer sehr besonderen Persönlichkeit im Mittelpunkt, und so stieß ich eben auf diesen Carlo Carbone. Ich habe mich mit seiner Geschichte näher befasst und dann nach und nach daraus das Drehbuch entwickelt.
Wellinski: Jetzt ist der Spielfilm ja zwei Dinge: Das eine ist ein Familiendrama einer kaputten Familie, die wieder zusammenkommt, auf der anderen Seite ist es ein ganz klassischer Rennsportfilm. Also er funktioniert auf der emotionalen Ebene, aber auch auf der visuellen Ebene. Als Regisseur, welche Ebene hat Sie denn mehr gereizt?
Rovere: Genau so ist es: In dem Film leben zwei Seelen, die für mich aber irgendwie auch dieselbe sind. Ich wollte einerseits wirklich einen starken, packenden Actionfilm liefern mit mitreißenden Bildern, die auf der großen Kinoleinwand voll zur Geltung kommen. Also wollte ich die Sprache dieses Genrefilms verwenden, zugleich aber wollte ich die Welt der Rennautos einfangen, diese Pisten, schildern.
Andererseits wollte ich die Geschichte der aus den Fugen geratenen Familie erzählen, wo nur Kinder miteinander zurechtkommen müssen, die alle unterschiedlich alt sind, die ohne Eltern aufwachsen und die dann nach und nach diese große, diese unglaubliche Geschichte in Händen halten. Im Laufe dieser Geschichte entdecken sie dann die Werte der Familie und auch ihrer Beziehungen zueinander wieder.

"In die Welt des Motorsportes das Weibliche hineinbringen"

Wellinski: Interessant ist ja auch, dass Sie mit Giulia eine junge 17 Jahre alte Frau ins Zentrum des Films gesetzt haben. Das verschiebt auch so ein bisschen den Blick auf den Rennsport an sich, denn der Rennsport, auch bestimmt in Italien, ist ja vor allem männerdominiert. Warum war Ihnen diese weibliche Figur im Zentrum Ihres Films so wichtig?
Rovere: Richtig, für mich war es sehr, sehr wichtig, hier eine weibliche Hauptgestalt zu haben. Es war sogar grundlegend aus einer Reihe von Gründen. Erstens, im Motorsport gibt es tatsächlich viele Pilotinnen, die mit den Männern direkt in Wettbewerb treten. Es ist eine der wenigen Sportarten, in denen Männer und Frauen in derselben Kategorie gegeneinander antreten, und gerade im GT-Sport, also in der Motorsportart, mit der wir uns hier befassen, gibt es einige Frauen in Italien, die tatsächlich gegen Männer fahren und auch immer wieder gewinnen.
Zugleich wollte ich in diese Welt des Motorsportes auch das Weibliche hineinbringen, die Werte des Weiblichen, diese Hartnäckigkeit, diese Intelligenz, den Scharfsinn, die Sensibilität. Mir schien das ganz wichtig, diese scheinbar entgegengesetzten Welten miteinander in Kontakt zu bringen, weil ich eben glaubte, dass das Weibliche hier die Geschichte vorantreibt, das Weibliche und die Welt des Motorsports zusammen. Was dann daraus entstanden ist, damit bin ich sehr, sehr zufrieden.
Wellinski: Nach dem Tod von Giulias Vater kommt ja auch plötzlich der verlorene Sohn der Familie wieder. Loris, der große Bruder von Giulia, ein Junkie, und er beginnt, ihr plötzlich zu helfen, und ich habe mich gefragt, warum macht er das. Ist das Bruderliebe oder will er sich selber was beweisen?
Rovere: Ich habe versucht, die Geschichte von Loris mit großer Ehrlichkeit zu erzählen, ausgehend davon, dass er eben ein Junkie ist, dass er abhängig ist, und sein einziger Grund, sich hier einzuschalten, ist es, das Vaterhaus wiederzugewinnen und auch seinen Teil des Erbes zu erhalten. Er verlangt ja sogar von Giulia, dass er ein Honorar bekommt, dass er vergütet wird für seine Arbeit als Mechaniker.
Der Unfall, der die ganze Geschichte auslöst, hat natürlich mit seinem Status als Abhängiger zu tun, und in der Welt der Abhängigen spielt Geld eine so ganz entscheidende Rolle. Davon ausgehend entdeckt er dann aber etwas anderes: Er entdeckt die Schwester, er entdeckt, dass es etwas anderes gibt, er überwindet seine Abhängigkeit und entdeckt allmählich die Welt der Geschwisterlichkeit.

"Als Fahrer musst du ständig am Limit fahren"

Wellinski: Vielleicht ja auch, die Kontrolle zu behalten, denn einen Rennwagen zu fahren bedeutet ja auch, Kontrolle zu haben, und Giulia und Loris haben die Kontrolle über ihre Autos, aber nicht so wirklich über ihr Leben. Ist Ihr Film vielleicht auch ein Film darüber, wie es ist, wieder die Kontrolle über sein eigenes Leben zu bekommen?
Rovere: Sagen wir es mal so, es gibt da unter den italienischen Rennfahrern ein geflügeltes Wort: Wenn du alles unter Kontrolle hast, bedeutet das, dass du zu langsam wirst. Das enthält praktisch schon im Keim die gesamte Wahrheit des Rennsports. Es bedeutet nämlich, als Fahrer musst du ständig am Limit fahren. Die großen Piloten riskieren ständig Kopf und Kragen, sie schweben zwischen Leben und Tod, aber das macht eben auch den Unterschied zwischen einem normalen Rennfahrer und einem echten Champion aus, und diese Metapher wollte ich übertragen in die innere Geschichte dieser Personen. Ich wollte das zur schlagenden Schlüsselszene machen, dass sie eben, weil sie so schnell fahren wollen und schnell fahren müssen, auch einen Teil der Kontrolle verlieren müssen.
Wellinski: Kommen wir vielleicht zur Besetzung Ihres Films, denn die ist sehr spannend. Loris, der Junkiebruder wird von einem sehr bekannten italienischen Schauspieler gespielt, Stefano Accorsi, den kennen wir in Deutschland zum Beispiel aus Nanni Morettis "Das Zimmer meines Sohnes". Er hat schon viele Preise gewonnen. Bei Ihnen ist er jetzt so verwahrlost, so heruntergekommen. Warum wollten Sie mit ihm arbeiten? Weil er so wandlungsfähig ist?
Rovere: Das ist richtig. Das Publikum kennt Stefano Accorsi seit vielen Jahren in Rollen, die einander mehr oder minder gleichen. Daran wollte ich rangehen, das wollte ich aufknacken und ihn herausfordern, aber nicht nur ihn selbst, sondern auch den Zuschauer. Ich habe ihm gesagt, lass uns doch mal schauen, ob wir eine Gestalt hinkriegen, die von dir vollkommen unterschiedlich ist, eine ganz unglaubliche Gestalt, und schauen wir doch einmal, ob du das schaffst.
Das haben wir aufgenommen, und auch für den Zuschauer stellt sich die Herausforderung, der natürlich gewohnt ist, den Stefano immer in einer bestimmten Optik zu sehen, vor allem, weil er eben ein großer Star ist. Ich wollte das komplett umstürzen, und ich muss sagen, Stefano hat diese Aufgabe mit großem Talent, mit großer Hingabe gemeistert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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