Regisseur Hochhäusler über "Die Lügen der Sieger"

"Gegenwart ist vor allem Unübersichtlichkeit"

Der Regisseur Christoph Hochhäusler zu Gast im Deutschlandradio Kultur
Der Regisseur Christoph Hochhäusler zu Gast bei Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio/Maurice Wojach
Der Regisseur Christoph Hochhäusler im Gespräch mit Patrick Wellinski · 13.06.2015
Macht, Lobbyismus und die Medien: In "Die Lügen der Sieger" gerät ein renommierter Hauptstadt-Journalist in den Strudel der gemachten Information. Es habe ihn interessiert, die Wirklichkeit in eine allegorische Erzählung zu verwandeln, sagt der Regisseur Christoph Hochhäusler über seinen neuen Film.
Patrick Wellinski: Es ist jetzt schon etwas länger her, dass der letzte Christoph-Hochhäusler-Film im Kino zu sehen war. 2010 war das mit "Unter dir die Stadt", diesem Versuch die Welt der Banker zu ergründen. Donnerstag kommt nun mit "Die Lügen der Sieger" sein Blick auf die Welt der Lobbyisten und Spin-Doktoren in die Kinos. Darin wird ein investigativer Journalist von einer Gruppe von PR-Managern permanent auf die falsche Spur geschickt, bis er denkt er sei einer großen Geschichte auf der Spur.
Ich habe letzte Woche mit Regisseur Christoph Hochhäusler über seinen Film gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob dieser Film, der ja von verlorenen Illusionen spricht, auch seine Illusionen meint?
"Der Film handelt auch von meinen Illusionen"
Hochhäusler: Ja, klar, handelt der Film auch von meinen Illusionen, wobei ich jetzt nicht so ein traumatisches Erlebnis zitieren könnte, wo sozusagen mir wie Schuppen von den Augen gefallen ist, dass die Presse ja doch nicht die Wahrheit schreibt. Ich glaube, ich war da immer ein kritischer Leser, aber mir begegnet sehr viel eigentlich in der normalen Welt, sage ich mal, so eine Art grenzenloses Vertrauen, nicht nur in Presseerzeugnissen, sondern überhaupt in Autorität. Also die Deutschen sind schon noch immer obrigkeitlich, sie meckern zwar vielleicht, aber letztlich glauben sie, dass die, die lenken, schon alles gut meinen. Und das ist natürlich immer gefährlich.
Wellinski: Ich weiß, dass Ihren Filmen häufig eine sehr intensive Recherche am Stoff vorhergeht, also für "Unter uns die Stadt" haben lange sehr intensiv in der Bankenwelt geforscht, gemeinsam mit Ihrem Drehbuch-Koautoren Ulrich Peltzer. Wie sah das denn bei den Vorbereitungen für diesen Film aus, haben Sie sich als Praktikanten in PR-Firmen oder Redaktionen geschlichen?
Hochhäusler: Na, ich hab jetzt nichts under cover gemacht, aber ich hab ehemalige und auch amtierende sozusagen Lobbyisten beziehungsweise, wie sie sich selber verstehen, Kommunikationsexperten befragt. Das war sehr aufschlussreich, gerade auch dadurch, als dass sie, jedenfalls die, die noch im Dienst sind, eigentlich gar nichts erzählen – aber das so wortreich über Stunden, dass man auch wieder viel erfährt darüber, was sie eben machen, nämlich verschleiern und kommunikative Probleme lösen oder kreieren, je nachdem, was gefragt ist.
Florian David Fitz als Journalist Fabian Groys in einer Szene des Kinofilms "Die Lügen der Sieger" (undatiertes Foto). Der Film startet am 18.06.2015 in den deutschen Kinos.
Florian David Fitz als Journalist Fabian Groys in einer Szene des Kinofilms "Die Lügen der Sieger" von Robert Hochhäusler© picture-alliance / dpa / Heimatfilm GmbH&Co.KG / NFP
Wellinski: Fabian Groys, der Journalist, der uns in diese Welt führt, der hat gerade einen Fall, sein Spezialgebiet ist Verteidigung, er war auch lange Zeit Kriegsberichterstatter, und im aktuellen Fall recherchiert er vor allem auch posttraumatische Belastungsstörungen bei ehemaligen Afghanistansoldaten, es geht aber auch um Machenschaften der Atomlobby beziehungsweise Giftmüll, und das sind ja Sachen, die Sie durchaus auf realen Tatsachen basieren lassen.
Hochhäusler: Also mehr oder weniger alles, was in dem Film vorkommt, ist in der ein oder anderen Form schon passiert. Um ein paar Beispiele zu nennen: Es geht dann im Verlaufe des Films um eine Gefahrenstoffverordnung – ich erinnere an diese Apothekerlobbyaffäre: Die Apothekerlobby, die einen für das Gesundheitsministerium arbeiteten IT-Experten bestochen haben und auf diese Weise Zugang hatten zum gesamten Datenverkehr des Ministeriums. Das fiel erst auf, als sie eben doch ein bisschen zu gut informiert waren, vor dem Minister von Entwürfen wussten. Das ist schon interessant. Jetzt sehen wir ja gerade, dieser große Bundestagshack, ich hab keine Ahnung natürlich, wie alle anderen auch nicht, was dahintersteckt, aber es ist schon die Verwundbarkeit, die elektronische, ist schon unglaublich.
Wellinski: Stoff für mindestens einen Dokumentarfilm, jetzt haben Sie das aber alles in die Fiktion überführt, in einen Spielfilm. Wo sind da die Schwierigkeiten, wenn man so stark recherchiert in der Gegenwart, das dann in einen gewissen Spielfilmfluss zu bringen?
"Ich will nicht dokumentarisch arbeiten"
Hochhäusler: Na ja, man muss ganz klar sagen, wir haben viel recherchiert, ja, aber immer entlang unserer Interessen. Das heißt, wir haben uns schon bedient in der Wirklichkeit für eine Erzählung, die wir schon in etwa im Kopf hatten. Natürlich haben sich bestimmte Sachen auch geändert durch die Recherche, aber im Mittelpunkt steht für mich das allegorische Erzählen. Ich will jetzt nicht dokumentarisch arbeiten, das wäre sicher auch interessant, entspricht einfach nicht so meinem Naturell.
Wellinski: Aber das führt dazu, dass "Die Lügen der Sieger" sehr gegenwärtig geworden, und ich will das noch mal betonen, weil ich finde, das ist selten eigentlich im deutschen Film, dass ich einen Film sehe, und weiß, aha, der spielt jetzt genau in der Zeit, auf der Straße, auf der ich jetzt gerade ins Kino gegangen bin. Das führt zwar dazu, dass Fabian in einem Nachrichtenmagazin arbeitet, dass "Die Woche" heißt, aber es kommen Kollegen von der "Berliner Zeitung" vor, vom "Kölner Stadt-Anzeiger", das ist schon eine Ausnahme. War Ihnen das wichtig, dass man diese Gegenwart sofort spürt?
Hochhäusler: Mir ist es total wichtig gewesen. Ich finde auch, es findet viel zu wenig Gegenwart statt im deutschen Kino. Warum, hat viele Gründe, ein Grund ist sicherlich auch die Langwierigkeit dieses Systems. Ich meine, das ist uns ähnlich gegangen – bis das finanziert war und jetzt, bis es rausgekommen ist, hat der Film schon eine Weile gelegen. Da kann es einem natürlich passieren, dass ein Film dann nicht mehr aktuell ist, weil irgendwas sich geändert hat. Da zittert man dann auch manchmal. Aber ganz allgemein finde ich toll, wenn – wie Fritz Lang mal gesagt hat – Filme so was wie Zeitkristalle sind, sodass man wirklich ablesen kann, was ist gerade los, wo leben wir, in welchen Gefühlen auch.
Wellinski: "Die Lügen der Sieger" ist ein Ermittlerfilm, ein sogenanntes Procedural, mit Menschen über Schreibtischen gebeugt, die nachts lange arbeiten, Post-its, die an Wände geklebt werden – das ist auch eine Art Genrefilm, ein Genre, das es in Deutschland auch nicht gibt. Also haben Sie den Film vielleicht gemacht aus einer Sehnsucht heraus?
"Ein eigentlich sehr amerikanisches Genre"
Hochhäusler: Ja, eigentlich, ehrlich gesagt, arbeite ich immer so. Ich will Filme sehen und betrauere dann, dass es sie nicht gibt, und da ich ja Filmemacher bin, kann ich dann versuchen, sie selber zu machen. Und ja, das stimmt, es knüpft an, an ein eigentlich sehr amerikanisches Genre, es gibt schon auch Beispiele aus Frankreich und Italien, 60er-, 70er-Jahre, die da vielleicht noch eine Rolle spielen können, aber im US-amerikanischen Kino ist dieser Journalist als Held schon sehr früh etabliert worden, das gab es schon in den 20er-Jahren, in den 30er-Jahren, da gibt es so ein paar stilbildende Filme. Einer ist natürlich "His Girl Friday" von Howard Hawks, ein anderer ist "All the President's Men" von Alan J. Pakula und viele andere, und die spiegeln sich sicherlich in irgendeiner Weise in dem Film. Ich versuche nie, Filme nachzumachen, wir haben uns in den Film auch nicht noch extra angeguckt, aber ich verstehe mich schon als jemand, der da Resonanzen aufnimmt und weiterarbeitet an einer Sache, an der andere Kollegen schon mal waren.
Wellinski: Das Tolle ist an dieser Figur des ermittelnden Journalisten, dass er uns Zuschauer ja reinnimmt mit in Räume, in die er vielleicht so gar nicht reinkommt. Dieser Journalist ist noch spielsüchtig, da gibt es so eine Spielhölle irgendwo an der Berliner U-Bahn, wir gehen dann zu Obduktionsärzten, sind also immer unterwegs und betreten diese Räume, und Ihr Film hat einen ganz gewissen Look, also Sie arbeiten auch sehr stark mit Lens-Flare-Effekten, auch das ungewöhnlich, auch das sehr interessant. Vielleicht können Sie erklären, wie Sie beim Look des Films vorgegangen sind.
"Einen Film machen, der besonders viel Gegenwart hat"
Hochhäusler: Ja, wir wollten auch da einen Film machen, der besonders viel Gegenwart hat. Was ist Gegenwart? Gegenwart ist vor allem Unübersichtlichkeit. Das heißt, der Film sollte keine Tableaus haben, die man lange anschauen kann und wo man sich sicher ist, aha, hier ist also die Türe und da ist der Böse, sondern es sollte alles so in Bewegung und Schwingung geraten, dass man sich nie ganz sicher sein kann, was man sieht, was passieren wird, und auch das Bild selbst sollte analog zum Thema sozusagen bedroht sein, also gestört werden. Es gibt so bestimmte Distortionseffekte, die wir auch gesucht haben, das ist also mit einem altmodischen Anamorphoten gedreht, die sehr stark verzeichnen. Und diese Verzeichnung und ihre Reaktion, ihre Fehler, wenn Sie Gegenlicht haben, haben wir dann auch noch verstärkt – das ist das, was Sie mit Lens Flare meinten. Und so versucht der Film auch auf einer ästhetischen Ebene, das Thema aufzunehmen und zu verarbeiten.
Wellinski: Das macht ihn sehr vital, nicht nur sehr verspielt. Interessanterweise, wenn Sie sagen, eine Welt voller Irritationen, voller Unübersichtlichkeit, führt das auch dazu, dass den Figuren so eine Art Begehren abgesprochen wird. Also zwischen Groys und der Volontärin, mit der er zusammenarbeitet, gibt es eine Art Beziehung, und es gibt eine sehr schön – wie ich finde – geschnittene Szene, wo sein Begehren plötzlich in Szene tritt, wo er denkt, er küsst sie, aber er tut's gar nicht, weil er nur mit ihr an der Tür steht. Warum sprechen Sie den Figuren dann doch diesen Weg, es ist ja nur eine Vorstellung, ins Begehren ab?
Hochhäusler: Na ja, ich glaube, das ist einfach nicht der Film dafür. Das kann es ja geben, ich würde gerne mal einen Liebesfilm machen, aber das ist eigentlich eine Arbeitsbeziehung, also das Sexuelle ist eigentlich nur so eine Nebenbemerkung. Da entsteht Hitze und man baut sie ab, aber das hat gar nichts Romantisches, das führt auch nirgendwo hin, die werden nicht heiraten und glücklich werden, sondern die haben sich schon verloren, als der Film zu Ende ist.
Wellinski: Ein Film, der uns auf jeden Fall die Augen öffnet. "Die Lügen der Sieger" ist ab kommenden Donnerstag endlich in den deutschen Kinos zu sehen. Ich sprach mit Christoph Hochhäusler, vielen Dank!
Hochhäusler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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