Regisseur der leisen Töne

Von Christian Geuenich · 28.11.2007
Der erfolgreiche Erzählungsband "Nichts als Gespenster" der Bestseller-Autorin Judith Hermann galt als kaum verfilmbar. Der 38-jährige Berliner Regisseur Martin Gypkens hat sich trotzdem daran gewagt. Er hat die verschiedenen Geschichten zu einer verwoben und erzählt stimmungsvoll von Menschen, die sich nach einem anderen Leben sehnen.
"Worum es glaube ich in den Stoffen, die ich entwickle, sehr viel geht, ist dieses zum einen sehr nah an dieser Realität dran sein und sehr authentisch sein und diese kleinen Details, die das Leben ausmachen zu beobachten und dahinter was anderes transparent zu machen, das, was Leben besonders macht, einzufangen."

Dining Room im Hotel Park Hyatt in Hamburg. Durch die Türe kommt ein hünenhafter 2,07 Meter großer, junger Mann mit längeren, braunen Haaren und gepflegtem Vollbart, der beim Eintreten unwillkürlich den Kopf einzieht. Am Abend wird Martin Gypkens seinen Film "Nichts als Gespenster" zum ersten Mal einem deutschen Publikum vorstellen. Trotzdem ist der 38-jährige Regisseur und Drehbuchautor entspannt, scheint in sich zu ruhen und lacht viel. Vielleicht auch weil Judith Hermann, die Autorin der Literaturvorlage, ihn schon für die filmische Umsetzung gelobt hat.

"Mich hat der Tonfall der Geschichten extrem berührt, das ist so ein ganz leiser Tonfall, der über relativ alltägliche Begebenheiten berichtet, und dahinter was anderes sichtbar macht oder fühlbar fast eher. Das Große im Kleinen, was sie da beschreibt, das hat mich sehr beeindruckt."

Denn Martin Gypkens ist fasziniert von Atmosphären und Zwischentönen, von kleinen Glücksmomenten zwischen den Problemen, Ängsten und Sehnsüchten seiner Protagonisten. "Nichts als Gespenster" handelt von Menschen, die sich nach einem anderen Leben sehnen und auf der Flucht vor ihrem Alltagsleben sind – egal ob sie nach Island, Jamaika, Venedig, in die USA oder die Provinz reisen. Sie alle sind auf der Suche.

"Nach verschiedenen Lebensentwürfen, nach der Liebe, nach Abenteuern, nach Glück und letztendlich wahrscheinlich nach sich selbst, wie wir das ja alle sind."

Filmszene:
" Nora: "Lass uns, 'Sich-so-ein-Leben-vorstellen' spielen, ja."
Christine: "Was für ein Spiel?"
Nora: "'Sich-so-ein-Leben-vorstellen'. Ist ganz einfach, es gibt auch keine Regeln. Ich fang an, ja? Also stell dir vor, dass ist das dein Kind in deinen Armen....""

Martin Gypkens ist in Bonn geboren und zur Schule gegangen. Als Jugendlicher schaut er alte Hollywood-Streifen, liebt die Filme der 60er Jahre wie "Bonnie und Clyde", "Psycho" oder "Rosemary’s Baby" und weiß schon mit 14, dass er später einmal Regisseur werden möchte.

"Wo das herkommt, weiß ich nicht, also das war einfach immer so in mir drin. Ich hab immer viele Filme geguckt schon, also alles Kino, aber auch alles an alten Klassikern, die im Fernsehen liefen, immer rauf und runter geguckt und viele so Biografien und Literatur darüber gelesen."

Nach Abitur und Zivildienst geht er für ein Jahr nach New York und arbeitet dort bei diversen Filmproduktionen, macht jeden Job vom Kabelträger bis hin zur Szenenbild-Assistenz. Seine Eltern - der Vater Versicherungskaufmann, die Mutter Hausfrau - machen sich Sorgen um ihn.

"Ich weiß noch, wie die mir in New York gesagt haben, so, ich soll jetzt mal zurückkommen und was Richtiges anfangen zu machen. Und dann habe ich ihnen einen langen Brief geschrieben und gesagt, das wäre was Richtiges, was ich hier mache, und wenn sie das nicht sehen würden, dann würden sie, glaube ich, alles, was ich die weiteren Jahre machen werde, auch als nichts Richtiges empfinden, und das haben sie aber verstanden und akzeptiert."

Anschließend zieht Martin Gypkens nach Berlin, sein langfristiges Berufsziel immer vor Augen. So arbeitet er zunächst als Innenrequisiteur, um möglichst nah am Drehort zu beobachten, wie der Regisseur die Schauspieler führt und inszeniert. Mit 27 beginnt er dann Drehbuch und Dramaturgie zu studieren an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Sein Abschlussfilm "Wir" ist ein melancholisches Generationenporträt von zehn Berliner Studenten Mitte Zwanzig. Genau wie in "Nichts als Gespenster" spielen Gypkens’ Figuren auch darin im Kopf durch, welche Möglichkeiten das Leben für sie bieten könnte.

"Ich glaube, wir träumen alle sehr gerne und haben auch so bestimmte, unklare Vorstellungen davon, wie unser Leben doch aussehen könnte oder sollte, und das kantet sich mit der Realität ganz gerne und dazwischen müssen wir uns halt irgendwie unser Glück einrichten, zwischen unserem Traumbild von uns selbst oder unserem Leben und der Realität."

Im Gegensatz zu seinen Figuren ist der Regisseur der leisen Töne mit seinem Leben gerade äußerst zufrieden, schließlich hat sich sein Traum, Regisseur zu werden, erfüllt. Natürlich gehe er gerne ins Kino, sagt der Filmemacher, manchmal habe er allerdings das Gefühl, dass ihn Literatur noch mehr inspiriere.

"In Bezug auf das aktuelle Projekt sind da ganz viele Tschechowsche Inspirationen mit drin, das ist einer meiner Lieblingsdramatiker, und die Art und Weise, wie er da diese Melancholie und gleichzeitig aber auch diese Leichtigkeit und diese Komödienelemente mit drin hat, das finde ich sehr schön."

Für "Nichts als Gespenster" hat Gypkens in fünf verschiedenen Ländern mit insgesamt 15 Protagonisten gedreht und die einzelnen Kurzgeschichten in mühevoller Kleinarbeit im Schneideraum kunstvoll zu einer einzigen großen Geschichte und vor allem Stimmung verwoben. Nach dieser langen, kräftezehrenden Arbeit ist er froh, endlich einmal in seiner Berliner Wohnung lange ausschlafen zu können, Freunde zu treffen und einfach ohne Pflichten in den Tag hineinleben zu können.

"Ich bin irgendwie so sehr ruhig und gemächlich, also ich faulenze gerne, ich schlender so durch die Stadt, guck mir Sachen an, geh in Ausstellungen, setz mich auf ne Wiese und les was, also ich sag dir, fünfeinhalb Monate am Drehort stehen, ist Hochleistungssport, und danach hab ich eigentlich nur Bedürfnis nach Ruhe."
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