Regisseur Cédric Klapisch über "Einsam, zweisam"

Jung und verloren in Paris

10:34 Minuten
Filmstill aus dem neuen französischem Film "Einsam, Zweisam". Die Hauptdarstellerin Mélanie (Ana Girardot) sitzt alleine in der Badewanne.
Der neue Film des Regisseurs Cédric Klapisch "Einsam, Zweisam" erzählt von Mélanie (Ana Girardot), die allein in der Großstadt Paris lebt. © Studiocanal/Emmanuelle Jacobson-Roques
Cédric Klapisch im Gespräch mit Susanne Burg · 21.12.2019
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Zwei Singles in Paris - davon handelt Cédric Klapischs neuer Film "Einsam, zweisam". Der Regisseur, zu dessen Erfolgen unter anderem "L'Auberge Espagnole" zählt, untersucht darin die Einsamkeit in der Großstadt. Ein Thema, dem er sich nicht zum ersten Mal widmet.
Patrick Wellinski: Cédric Klapischs Filme knacken in Frankreich gerne mal immer wieder die Millionengrenze. Zu den größten Erfolgen des französischen Regisseurs gehört das Familienporträt "Typisch Familie" und die Studentenkomödie "L’Auberge Espagnole". Jetzt ist ein neuer Film von ihm im Kino: "Einsam, zweisam", und du, Susanne, du hast mit Cédric Klapisch, "Einsam, zweisam", über diesen Film gesprochen.
Susanne Burg: Ja, genau, über den Film und auch noch kurz über ein anderes Projekt, das er betreibt, nämlich "La CineTek", eine Streamingplattform für Filmklassiker, die in Frankreich recht erfolgreich läuft und auch in Deutschland langsam in Fahrt kommt.
Aber begonnen haben wir das Gespräch natürlich mit seinem neuen Film, der auf der Idee beruht, dass das Glück doch so nahe liegt, wenn wir es nur wüssten.
Es geht um zwei Singles in Paris, Rémy und Mélanie, um die 30, die in ihren jeweiligen Wohnungen vor sich hin leben, ziemlich direkt nebeneinander, ohne sich zu kennen, und die vieles gemeinsam haben. Sie sind einsam, auf der Suche nach Liebe, sie tindern und sind unglücklich, machen auch eine Therapie. Der Film erzählt das in einer Art Parallelstruktur. Wir sehen zum Beispiel zuerst Rémy bei der Therapie und dann Mélanie, und die Therapeutin von Mélanie äußert sich auch hin und wieder mal ziemlich direkt über das Onlinedating.
Therapeutin (Filmausschnitt): Ich bin nicht hier, um Ihnen meine Meinung zu sagen. Meine Meinung ist nur, dass die scheiß sozialen Netzwerke das Allerschlimmste sind, was man für soziale Beziehungen erfunden hat. Das, was ich hier höre, ist, dass offensichtlich der Einsatz von Tinder Sie in eine Situation von sofortiger Lusterfüllung versetzt hat. Das funktioniert auch, na klar, aber leider ist es nicht das, wonach Sie im Grunde zutiefst suchen, denn Sie haben eindeutig keine Lust mehr auf so etwas.
Burg: Soweit ein Ausschnitt aus "Einsam, zweisam". Cédric Klapisch selbst ist Jahrgang 1961, und als ich den Regisseur getroffen habe, habe ich ihn erst einmal darauf angesprochen, wie er vorgegangen ist, die Geschichte zu entwickeln über zwei Menschen, die halb so alt sind wie er, ob er da auch ein bisschen recherchieren musste.
Cédric Klapisch: Ja, ich bin etwa doppelt so alt wie sie, aber mir ging es in erster Linie darum, einen Film über Paris heute zu machen, über das heutige Paris. Da fand ich es einfach besser, wenn ich das anhand von 30-Jährigen versuche zu zeigen, und in der Tat musste ich doch einiges an Recherche unternehmen. Ich habe mich also mit sehr vielen jungen Männern und Frauen unterhalten, gerade was ihre Nutzung sozialer Medien oder aber auch solcher Dienste wie Tinder angeht, weil Tinder, das ist nun mal wirklich nicht mehr meine Generation. Das ist eine neue Art, wie man sich heutzutage kennenlernt, und dafür habe ich dann mit sehr vielen 20- bis 30-Jährigen gesprochen.
Regisseur Cédric Klapisch, aufgenommen beim 69. Filmfestival in Cannes im Jahr 2016 auf dem roten Teppich
"Die Einsamkeit der Großstädte, dieser ausgesetzt zu sein, das wollte ich zeigen, was das bedeutet", sagt Regisseur Cédric Klapisch.© imago/Starface
Burg: Wir haben über soziale Medien gesprochen, die gab es 1996 noch nicht, als "… und jeder sucht sein Kätzchen" herauskam. In dem Film ging es aber auch um Einsamkeit in der Großstadt. Was hat sich seitdem verändert, und was hat Sie daran interessiert, das Thema mehr als 20 Jahre später noch mal zu untersuchen?
Klapisch: Ich habe den Film "… und jeder sucht sein Kätzchen" vor 24 Jahren gemacht, glaube ich, und damals ging es mir darum, ein Viertel von Paris zu zeigen in einer Zeit, wo es noch kein Internet gab, keine sozialen Medien. Ich glaube, es gab noch nicht einmal Handys damals, und das war einfach eine andere Epoche, und ich zeige da eine 23-Jährige, die ihre Katze verloren hat und der es dadurch gelingt, weil sie diese Katze verloren hat, ihre Nachbarn und andere Menschen kennenzulernen.
Mir ging es darum aufzuzeigen, dass man in einer Großstadt sehr schnell auch einsam sein kann, sich allein fühlen kann, dass das aber eine andere Einsamkeit ist, als wenn man aus einem Dorf stammt, wo sowieso nicht viele Menschen leben. Also die Einsamkeit in einer Großstadt ist noch einmal etwas ganz anderes. Das hat mich damals interessiert, das interessiert mich immer noch.
Diese Anonymität, die einem die Großstadt bietet, hat ja einerseits etwas sehr Angenehmes, weil einen eben nicht alle kennen, und in meinem neuen Film, da ist ja die Figur, die François Civil spielt, er stammt ja eigentlich aus einem Dorf, dass es ihn genervt hat, dass ihn alle kannten, und sobald er mit einem neuen Mädchen ausgegangen ist, wussten alle Bescheid. Also diese Anonymität kann eine positive Freiheit darstellen, aber man braucht so ein Netzwerk an Leuten. Die Einsamkeit der Großstädte, dieser ausgesetzt zu sein, das wollte ich zeigen, was das bedeutet.

Parallelgeschichte von zweien, die einsam sind

Burg: In "Einsam, zweisam" geht es nun um zwei Menschen, die nebeneinander wohnen, ohne sich zu kennen und ohne zu wissen, dass sie eigentlich ähnliche Dinge tun und Themen beschäftigen. Wie haben Sie diese Parallelstruktur konstruiert.
Klapisch: Ja, das war sehr kompliziert, und darin bestand eigentlich auch die Herausforderung, weil ich musste zwei Geschichten erzählen und ich musste gegen ein Klischee anfilmen. Im Französischen sagt man immer, ja, zwei Leute, die sich ähneln, die finden auch zueinander. Damit bin ich eigentlich gar nicht einverstanden. Insofern bestand die Herausforderung meines Films immer, ich erzähle zwei Parallelgeschichten, aber die Frage ist, wann treffen die beiden sich.
Ich habe eigentlich in meinem Bekanntenkreis eher herausgefunden, dass das Gegenteil eher war, es ist so, dass sich Gegensätze anziehen, also Leute, die relativ wenig miteinander zu tun haben, ein Paar bilden. Auch hier ist es ja so, die beiden gehören unterschiedlichen sozialen Klassen an, sie leben in unterschiedlichen Häusern, der eine in einem modernen Haus, die anderen in einem Altbau, ihre Wohnungen sehen anders aus. Alles trennt sie, und trotzdem gibt es da eine gewisse Chance, dass die beiden sich vielleicht kennenlernen könnten. Darum ging es mir, das zu zeigen, dass es eine Anziehung gibt, auch wenn man sich eigentlich nicht so sehr ähnelt.
Burg: Ein anderes Thema, das in Ihren Filmen immer wieder auftaucht, ist, dass junge Menschen danach suchen, autonom zu werden, einen Platz in der Welt zu finden und einen Partner oder eine Partnerin. Das ist natürlich ein beliebtes Thema im Kino, aber was fasziniert Sie an diesem Thema?
Klapisch: Ich drehe sehr viel über das Leben junger Leute, und eigentlich ist es auch gar keine Absicht. Da steckt unter anderem dahinter, dass ich sehr gerne mit jungen Schauspielern arbeite, die ich gerne kennenlernen möchte. Das Problem des Erwachsenwerdens ist schon etwas, was mich sehr interessiert. Was passiert im Alter zwischen 15 und 35 Jahren. Da stellt man sich die Fragen, wer bin ich, was möchte ich einmal werden, mit wem möchte ich leben, und wenn man älter ist, 40, 50, 60 ist, dann ist man irgendwo angekommen im Leben, man hat sich irgendwo gesetzt. Da ist weit weniger interessant, finde ich, gerade auch als Kinothema. Dynamischer ist man auf jeden Fall so zwischen 20 und 30.

Streamingdienst mit dem Anspruch eines Museums

Burg: Kommen wir zu einem anderen Thema. Vor vier Jahren ist die Streamingplattform "La CineTek" in Frankreich online gegangen, die Sie, Pascale Ferran und Laurent Cantet gegründet haben. Sie konzentrieren sich dabei auf Klassiker und auf das Kuratieren. Das heißt, Sie lassen Regisseure aus aller Welt ihre liebsten Filme aussuchen. Ein ganz anderer Ansatz ist das als der von kommerziellen Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime. Fühlen Sie dennoch, dass der Druck stärker geworden ist, jetzt, da auch noch Apple und Disney als große Player auf den Markt drängen?
Klapisch: Genau das ist das Problem. Es findet heute wirklich ein Kampf zwischen der Kultur und den finanziellen Interessen der Filmbranche statt, und wenn solche großen Wirtschaftsunternehmen wie Apple, wie Disney, wie Netflix oder wie Amazon angetreten sind, Filme zu vermarkten, dann geht es ihnen um wirtschaftliche Interessen. Es geht ihnen darum zu sagen, wir haben die Rechte an diesen und diesen Filmen und deswegen streamen wir sie. Das Problem dabei ist, dass wir dann auf einer Plattform vielleicht drei Filme von Hitchcock finden, auf einer weiteren noch weitere vier und auf einer dritten eventuell zwei.
Wir bei "CineTek" sagen, der kulturelle Anspruch ist uns viel wichtiger, und was wir uns wünschen, ist, dass auf einer einzigen Homepage beispielsweise alle Filme von Hitchcock zu sehen sind. Wir haben da eher den Anspruch eines Museums. Ein Museum des Impressionismus oder ein Museum der Renaissance versucht ja auch, alles zu zeigen, was nur möglich ist in dieser Kunstgattung. Die Welt ist zurzeit eine andere, die wird von Wirtschaftsinteressen geprägt, aber wir in Frankreich, wir glauben noch an die kulturelle Hoheit und an den kulturellen Anspruch, und wir glauben daran, dass es möglich sein wird, alle Filme von Godard, von Antonioni oder von Hitchcock auf einer einzigen Plattform zu streamen.

"Wir helfen dem Weltkino damit"

Burg: Inwieweit hat Frankreich da in Europa eine Sonderstellung, wenn es darum geht, das Kino als Kultur zu stärken?
Klapisch: Auch da glaube ich, dass die beiden Motoren in Europa, die beiden Länder, die da wirklich ausschlaggebend sind, Deutschland und Frankreich sind. Aus diesem Grund hat man ja den deutsch-französischen Kulturkanal Arte gegründet, eben um eine kulturelle Ausnahme, die "exception culturelle", wie wir das in Frankreich nennen, zu schaffen. Es kann eben nicht sein, dass die Kultur den Wirtschaftsinteressen eindeutig unterstellt wird.
Deswegen hat Frankreich sehr darum gekämpft, dass die Autorenrechte gewahrt werden auf europäischer Ebene. Es ist ein Gesetz in der EU verabschiedet worden, dass sich die großen Streamingplattformen wie Netflix an die Landesgesetze halten müssen. Netflix muss die deutschen und die französischen Gesetze einfach achten und sich ihnen auch unterwerfen. Das sind sehr schwierige Kämpfe, die wir da führen, und man wirft uns natürlich auch vor, dass wir öffentliche Gelder dafür ausgeben, um kommerzielle Filme in Frankreich zu drehen, aber dem ist ja nicht so. Es werden ja auch iranische, russische und ganz andere Filme aus ganz anderen Gebieten der Welt unterstützt mit französischen Geldern.
Ich kann nur sagen, ich als Franzose bin stolz darauf, aber nicht, weil wir nur französische Filme drehen, sondern weil wir der Kultur helfen und weil wir dem Weltkino damit helfen. Kultur ist eben mehr, als nur zu sagen, das ist ein Film, der wird nicht sehr viele Zuschauer machen, und deswegen lohnt es sich nicht, ihn zu finanzieren. Da bin ich einfach anderer Meinung.
Burg: Lacinetek.de, das ist die Plattform, auf der man die Filme in Deutschland sehen kann. Der Film "Einsam, zweisam", der läuft jetzt im Kino. Regie geführt hat Cédric Klapisch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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