Regionalwahl in Frankreich

Front National greift nach der Macht

Die Parteichefin des Front National, Marine Le Pen.
Die Parteichefin des Front National, Marine Le Pen. © afp/Charlet
Von Ursula Welter, Frankreich-Korrespondentin des Deutschlandradios  · 07.12.2015
Marine Le Pen profitiere von der Wutstimmung, die in Frankreich verbreitet ist, meint unsere Kommentatorin Ursula Welter. Außerdem schüre sie mit ihrer Polemik die Konflikte, von denen sie weiß, dass sie ihr nutzen.
Das war der erste Wahlgang. Nicht der zweite, nicht der entscheidende. Die Landkarte Frankreichs kann in der kommenden Woche schon anders aussehen. So oder so, das Wählervotum ist zu respektieren.
Die Unterlegenen sprachen sich heute Mut zu. In langen, teilweise kontroversen Politbürositzungen wurde die taktische Marschroute für den nächsten Sonntag ausbaldowert. Schadensbegrenzung: Um mehr kann es nicht gehen. Zu deutlich liegt der Front National, der jetzt auf nationaler Ebene die stärkste Kraft ist, vorne.
Wer sind die Verlierer? Alle, bis auf die le Pen Partei.
Mittlerer Blechschaden für die Sozialisten
Die republikanische Rechte hat, unter dem Rückkehrer Nicolas Sarkozy, ihr schlechtestes Ergebnis seit vier Jahren eingefahren. Für Sarkozy könnte es bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftswahl 2017 nun eng werden. Verloren haben auch die Sozialisten, die jetzt nur noch die dritte Kraft im Lande sind. Dabei können die Sozialisten noch von Glück sagen. Der starke Anstieg von Francois Hollande in der Popularitätskurve nach den Anschlägen vom 13. November hat vermutlich dazu geführt, dass seine Partei gestern statt mit einem Totalschaden mit einem mittleren Blechschaden davon gekommen ist.
Gelassen kann sich allein Marine le Pen zurücklehnen. Selbst, wenn ihre Hauptgegner, die sie gerne als Systemparteien denunziert, hie und da für den zweiten Wahlgang Bündnisse schmieden sollten, wird der FN die eine oder andere Region unter seine Kontrolle bringen. Denn unzweifelhaft hat Marine le Pen im Augenblick Oberwasser. Sie profitiert von der Wutstimmung, die in Frankreich verbreitet ist. Wut über die Untätigkeit angesichts einer Arbeitslosigkeit, die steigt und steigt , und die gerade jungen Menschen die Perspektive raubt. Seit Jahren leistet sich Frankreich den Skandal, dass jeder vierte unter 25 ohne Job ist.
Staat führt Handlungsunfähigkeit vor
Wut auch darüber, dass der Staat Tag für Tag seine Handlungsunfähigkeit vorführt, zum Beispiel in Calais, in der nordfranzösischen Stadt – da herrscht seit Langem Ausnahmezustand. Schlepperbanden geben den Ton an, nicht der Bürgermeister. Was Wunder, dass der FN in Calais fast 50 Prozent der Stimmen geholt hat.
Bei der gestrigen Wutwahl bedurfte es gar nicht mehr des Reflexes auf den 13. November. Natürlich behauptet der FN , dass der Terroranschlag eine Folge des Laxismus in der Inneren Sicherheit sei, den die etablierten Parteien zu verantworten hätten.
Tatsache ist, dass in all den brachialen Sprüchen, die die FN-Führerin pflegt, immer auch ein Korn Wahrheit ist. Mit gnadenloser Schärfe beschreibt le Pen die Probleme, unter denen Frankreich leidet. Zugleich schürt sie, und das ist das perfide, mit ihrer Polemik die Konflikte, von denen sie weiß, dass sie ihr nutzen. Was immer am nächsten Sonntag geschieht, die Botschaft ist schon nach dem ersten Wahlgang klar: Die europäischen Nachbarn müssen sich darauf einstellen, dass sich in Frankreich eine xenophobe und antieuropäische Protestbewegung eingenistet hat. Eine Bewegung, die nach der Macht greift.
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